Schon als Student faszinierten ihn antike Skulpturen, Fresken und Malereien der Stadt Rom. Nun hat Manfred Lütz über die Geschichte der Menschheit und die ewige Sinnsuche in der Kunst geschrieben. Jan Sting sprach mit dem Arzt und Theologen, der am Montag
Manfred LützDurch Kunst den Sinn des Lebens entdecken
Krieg, Krise, Klima – wie kann Kunst uns heute wieder Orientierung geben?
Gerade in der gegenwärtigen Situation, in der sich die Kirchen selbst zerlegen und die Krisen zunehmen, suchen die Menschen nach Orientierung. Die Polarisierung, die in der Gesellschaft zunimmt, geht ja häufig über die Sprache. Schon wie jemand spricht, lässt oft vermuten, welcher Richtung er angehört. Dagegen glaube ich, dass Kunst Menschen verbinden kann. Die Grundthese meines Buches ist, dass jeder Mensch in wirklich großer Kunst den Sinn des Lebens sehen kann. Ich bin der Überzeugung, dass dann, wenn ein Rechtsradikaler und ein Linksradikaler sich lange in die Pietà von Michelangelo vertiefen, sie anschließend netter, menschlicher, miteinander umgehen werden.
Immer wieder und auch gegenwärtig wurden Kunstwerke, Monumente oder auch Schriften zerstört. Was steckt dahinter?
Das ist eine Form der Barbarei. Wir spüren gerade in unseren Tagen, dass die dünne Schicht Zivilisation, die über unserer Gesellschaft liegt, löchrig wird. Dass Grausamkeit auf Menschen attraktiv wirken kann, wie das bei den im alten Rom bejubelten blutigen Gladiatorenkämpfen der Fall war, erleben wir heute wieder bei Putin und Medwedew, die unheimlich kaltblütig daherreden und dadurch Anhänger gewinnen. Putin will, dass man weiß, dass er seine Gegner brutal ermorden lässt und die Grausamkeit der Hamas am 7. Oktober hat ihr auch Beifall beschert. Es gab immer schon und es gibt wieder Menschen, für die ist der Sinn des Lebens, sich gewaltsam durchzusetzen. Auch das kann man in dem Buch sehen.
Sie haben Bestseller zu den Themen Psychologie, Theologie und Philosophie geschrieben und dann eine neunjährige Pause eingelegt. Was war der Motor, jetzt das Buch über die Kunst, den Sinn des Lebens zu schreiben?
Ich habe mich gefragt: Wozu bin ich noch kompetent? – Und: Was suchen Menschen heute besonders? Ich kenne seit 50 Jahren Rom, habe dort gelebt. Und wenn ich Führungen durch diese Stadt gemacht habe, war mir immer wichtig, dass sich ganz normale Menschen von den ergreifenden Aussagen der Kunstwerke wirklich berühren lassen. Und wenn viele Menschen heute auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind – hier kann man ihn finden. In Rom haben die bedeutendsten Künstler dabei ihr Bestes gegeben.
Für wen haben Sie das Buch geschrieben?
Für 80 Millionen Deutsche, denn die Künstler haben ihre Kunst ja nicht für irgendwelche Kunstexperten geschaffen, sondern für ganz normale Menschen. Die mittelalterlichen Menschen konnten zumeist gar nicht lesen und schreiben. Sie haben den Sinn des Lebens nur sehen können, nämlich in den Bildern ihrer Kirchen und auch heute ist die Instagram-Generation wieder auf Bilder fixiert. Deswegen war es mir wichtig, dass die Bilder des Buches toll sind.
Die Kreuzigung Petri von Peter Paul Rubens wurde in der Franzosenzeit 1794 von Köln nach Paris gebracht. Als das Bild 1815 in der preußischen Zeit wieder in die Stadt zurückgeholt wurde, war das mit einer Prozession durch die Stadt verbunden. Hat Kunst heute noch so eine Bindekraft?
Kunstwerke rufen immer wieder Diskussionen hervor. Denken Sie an das Richterfenster im Kölner Dom. Kardinal Meisner hat sich empört. Andere wiederum empörten sich, dass sich Kardinal Meisner empörte.
Was macht die Kunst denn mit uns, wie wirken die Bilder?
Ich glaube, dass ein Atheist, der sich lange genug die Pietà von Michelangelo anschaut, Christ werden kann. Denn da kann man das ganze Christentum buchstäblich sehen. In den Gewandfalten sieht man noch all das Leid der Madonna, aber dem Gesicht zu werden die Falten ruhiger und dann sieht man plötzlich, dass sie leicht lächelt. Es ist nicht das stolze gleichzeitige Lächeln der Mona Lisa. Diese Mutter, die ihren toten Sohn auf dem Schoß hat, lächelt, weil sie an die Auferstehung glaubt. Und im wunderschön gebildeten Leib Christi kann man sehen, was Menschwerdung, Fleischwerdung Gottes heißt.
Was war für Sie persönlich ein ganz prägendes Kunsterlebnis?
Als Psychotherapeut hat mich immer die Berufung des Matthäus von Caravaggio tief berührt. Mit der rechten Hand zählt der geldgierige Zöllner Matthäus noch Münzen auf den Tisch, doch da kommt Jesus in den Raum und deutet mit seinem Arm auf Matthäus, mit der linken Hand zeigt Matthäus fragend auf sich, aber mit den Augen hat er verstanden: Ich bin berufen, ich werde mein Leben ändern. Und diese Frage hat doch jeder irgendwann: Wozu bin ich berufen, was ist mein Weg, was ist der Sinn meines Lebens? Was kann die Kunsttherapie bewirken? Sie kann die Kreativität anregen, die in jedem Menschen steckt. Künstliche Intelligenz dagegen ist nie kreativ, sondern nur gescheit.
Was schlagen Sie vor, wenn jemand keine Affinität zur Kunst hat, oder einfach schon lange nicht mehr im Museum war. Wie kann er sich annähern?
Gerade für solche Menschen ist das Buch geschrieben, ich habe versucht, diese großartige Kunst ganz normalen Menschen verständlich zu machen.
Im Gespräch mit der Moderatorin Bettina Böttinger stellt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Autor mehrerer Bestseller, Manfred Lütz, am kommenden Mittwoch, 20. März, 19 Uhr, sein neues Buch „Der Sinn des Lebens“ im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums vor. Die kostenfreie Veranstaltung wird von der Bensberger Thomas-Morus-Akademie ausgerichtet, die allerdings um eine vorherige Anmeldung unter akademie@tma-bensberg.de oder telefonisch unter 02204/ 40 84 72 bittet.
Manfred Lütz: Der Sinn des Lebens, Kösel, 365 S., 30 Euro.