Mads Mikkelsen beim Filmfest Köln„Wir haben Trinken als Kickstarter benutzt“
Köln – Er war als James Bonds Gegenspieler Le Chiffre in „Casino Royale“ sowie als feingeistiger Kannibale in der NBC-Serie „Hannibal“ zum Fürchten. Doch beim Film Festival Cologne sah man den dänischen Weltstar Mads Mikkelsen nun als Schmerzensmann in Thomas Vinterbergs Film „Another Round“. Der soll hierzulande am 28. Januar unter dem Titel „Der Rausch“ anlaufen.
Hauptdarsteller wie Regisseur wurden am Donnerstagabend in Köln mit Hauptpreisen geehrt. Ihr Film handelt von vier ausgebrannten Lehrern. Am schlimmsten hat es Mikkelsens Figur erwischt, die der Schauspieler im Gespräch so umreißt: „Martins Batterie ist leer, sein Zug ist abgefahren, er steht am Bahnsteig und schaut hinterher.“ Mit drei Kollegen will er diesem Missstand über kontrolliertes Alkohol-Doping entkommen.
Die Tragikomödie wurde vor Corona gedreht, „und wir hatten Angst, dass sie nun ein bisschen blasphemisch wirkt. Denn letztlich geht es darum, dass man das Leben umarmen soll.“ Und der Alkohol? „Wir wollten Alkohol weder moralisch verdammen, noch die dunklen Seiten verschweigen.“ Tatsächlich werden die Unterrichtsstunden der beschwipsten Pauker zunächst kreativer, bis die Sache kippt. Mikkelsen interessiert der leicht animierte Zustand davor. „Daher das Experiment, ob nicht etwas Magisches im Alkohol liegt, wenn es eben nur zwei und nicht zehn Biere sind. Wenn man in der Zone ist, wo man den Pfeil perfekt wirft und nicht in der, wo man die Scheibe verfehlt. Letztlich muss man Lebensfreude natürlich anders finden, aber hier haben wir das Trinken als Kickstarter benutzt.“
Wie das Kino die Krise übersteht
Im Finale hat Vinterberg ein Stück von Mikkelsens Biografie eingebaut: Martin tanzt, und der heute 54-jährige Mime hat seine Künstlerkarriere als Tänzer begonnen. „Ich war sehr zögerlich gegenüber dieser Szene, hatte Angst, sie könnte prätentiös wirken. Thomas hörte zu und widersprach hartnäckig. Heute glaube ich, dass das eine kluge Entscheidung war, weil der Tanz Martins Katharsis unmittelbar zeigt.“ Wobei sich der Ex-Tänzer 30 Jahre später schon fragte: „Bin ich damals nicht höher gesprungen?“
Die Preise
Mads Mikkelsen bekam zum Festival-Finale den International Actors Award, Sandra Hüller wurde als beste Schauspielerin geehrt. Für den besten Spielfilm wurde Thomas Vinterberg geehrt, Radu Ciorniciuc siegte in der Dokumentarsparte. Dominik Graf bekam den Filmpreis Köln, der Filmpreis NRW ging an „Mit eigenen Augen“. (EB)
Was glaubt er, wie das Kino die Corona-Krise übersteht? „Ich weiß es nicht. In Dänemark gehen die Leute ins Kino, es sind harte Zeiten, aber wir überleben. Wir sind ja nicht die einzigen, die leiden, das gilt für Friseure, Geschäftsleute, alle.“ Es sei zwar ein Klischee, „aber es stimmt: Wir dürfen die Therapie nicht schlimmer machen als die Krankheit“.
Im Film sieht man die Schüler nach den Prüfungen jubeln, einander umarmen, küssen. „Das war vor einem Jahr, und heute zucken wir schon zusammen, wenn wir das sehen und fragen: Ist das erlaubt? Das ist beängstigend. Wir müssen zu einem normalen Leben zurückkehren, hoffentlich auf sichere Weise.“
Wie wichtig war der Bond-Film für ihn? „Als Karriere-Plattform schon sehr wichtig. Ich habe in Interviews stets gelogen und gesagt, ich hätte alle Bonds gesehen – tatsächlich kannte ich keinen. Ich wusste nicht, wie groß der Hype ist, doch dann hatten wir Premiere am Leicester Square, und 50 000 kamen. Da war mir klar: Das sind die Kronjuwelen des englischen Kinos.“
Was spielt er lieber: Schurken oder normale Menschen? „Es muss bei beiden verschiedene Schichten geben. Du musst die Schwächen der Guten und die positiven Seiten der Bösen finden. Das reizt mich.“
Mit einem Umzug nach Hollywood hat er nie geliebäugelt. „Ich war 30, als ich meinen ersten dänischen Film machte, Hollywood kam später. Und alle amerikanischen Filme, in denen ich mitgespielt habe, wurden in Europa gedreht. Da hätte dann meine Familie in L.A. gesessen, während ich in Rumänien war.“ Außerdem möchte er auf die Arbeit seiner skandinavischen Freunde und Kollegen partout nicht verzichten.
Wie bedeutsam sind Festivals in Corona-Zeiten? „Es ist sehr schwierig, so etwas jetzt zu organisieren. Wenn das wie in Köln gelingt, sollten wir auch alles dafür tun, physisch zu kommen und zeigen: Wir sind noch da.“