Lucian Plessner bearbeitete die „West Side Story“ von Leonard Bernstein für Gitarre. Beim Shalom-Festival jüdischer Musik führt er es am 18. August im Wallraf-Richartz-Museum auf.
„West Side Story“ bei Shalom-Musik in Köln„Wenn ich ein Stück bearbeite, muss ich es von Grund auf erforschen“
Leonard Bernstein hat Ihnen grünes Licht gegeben, die „West Side Story“ für die Gitarre zu bearbeiten. Wie kam es dazu?
Ich hatte ich ein Engagement an der Oper Köln. Eine Sängerin fragte mich, ob ich den Zyklus von fünf Kinderliedern von Bernstein kenne. Daraufhin habe ich mir das angeguckt, aber gleich gedacht, dass die Gitarre besser zum Gesang passen würde als die Klavierbegleitung. Dann habe ich die Songs bearbeitet und mit einer Sängerin hier aufgenommen.
Um was damit zu machen?
Ich habe die Aufnahme einem Agenten zugeschickt, den ich aus Israel kannte. Er war das Schweizer Uhrwerk im Musikbetrieb und gab mir eine Telefonnummer mit dem Hinweis, dass ich mich an Harry Kraut, Bernsteins Manager wenden müsse. Das habe ich gemacht und bekam den Auftrag, Charlie Harmon, zuständig für publishing rights, meine Partituren und eine Aufnahme von mir zu schicken.
Aber wie kam es von den Kinderliedern zur „West Side Story“?
Ich hatte eine Solobearbeitung der „Maria“ unter die Aufnahme geschmuggelt. Drei Monate später klingelte das Telefon. Charly Harmon war dran und sagte, dass Bernstein sich das Band im Auto angehört habe und meinte, ich solle einen ganzen Zyklus von Solostücken bearbeiten, wir sollten uns bald treffen. Bernstein bereitete hier gerade eine Tournee mit dem Bundesjugendorchester vor. Im Oktober sollte er in der Philharmonie sein. Die Tournee hat er drei Tage vorher abgesagt. Und fünf Tage später, am 14. Oktober 1990, ist er gestorben. Also getroffen habe ich ihn nie …
... aber sich daraufhin intensiv mit seiner Musik befasst. Sieben Jahre lang.
Ich war dann einige Monate später in New York, sie haben mich in sein Haus in Dakota eingeladen. Wir sind durch sein Arbeitszimmer gegangen, und Charlie hat mir seine handgeschriebenen Noten gezeigt und gefragt, ob das ein g oder sonst was sei. Es war Bernsteins Wort dahinter, das wird so bis heute einfach befolgt. Ich habe jüngst seine Tochter Jamie in Bonn getroffen, dort gibt es im Beethoven-Haus ja gerade eine Bernstein-Ausstellung. Der Kontakt zur 'Bernsteinfamily“ ist seit damals da.
Wie ging die Story mit der „West Side Story“ weiter?
Charlie Harmon hat mich zum Verlag in New York geschleppt. Dort hat die Sekretärin Noten aus dem Keller geholt und gesagt, „kopiere dir das, was du glaubst, brauchen zu können“. Aber das reichte nicht. Wenn ich ein Stück bearbeite, muss ich es von Grund auf erforschen, hinter die Partitur kommen. Die Sekretärin wurde an die 25 Mal runtergeschickt und fragte entnervt, ob wir nicht eine Liste machen könnten.
Und, hat sie eine bekommen?
Nein… Man schlug mir dann vor auch Stücke aus seinem Musiktheaterstück MASS zu kopieren. Ich sagte, dass ich mit der Partitur leben, sie mitnehmen und haben müsse. Es war die einzige Partitur, die es gab. Alle schauten sich an, und Charlie Harmon fragte, wann ich wieder in New York sei. Es war Dezember, und ich sagte, im März. Und dann haben sie mir die ganze Partitur gegeben.
Das ist ja, als bekäme man leihweise einen Piet Mondrian.
Oder einen Mark Rothko. Und es war Dezember, es gab einen Blizzard in New York. Es fuhr keine U-Bahn, es gab keine Taxis. Die Ampeln hingen horizontal im Wind, Fenster fielen aus dem 70. Stock, und Polizisten haben ältere Leute über die Straße eskortiert. Ich habe die Partituren wie ein Baby unter dem Mantel getragen. Zu Fuß von der 24. Bis zur 91. Straße. Zu Hause habe ich mir erst einmal eine Dose Campbell's Tomatensuppe heiß gemacht.
Nach sieben Jahren waren Sie mit den Bearbeitungen für Gitarre fertig, Andreas Kowalewitz hat den Orchesterpart übernommen.
Als ich fertig war, ist mir klar geworden, dass ich jeden Morgen mit dem Gefühl aufgewacht bin, dass ich Leonard Bernstein jetzt gerecht werden muss. Und ich bin abends mit der Frage ins Bett gegangen, ob ich dem gerecht geworden bin.
Sie werden das Stück am 18. August, im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums gleich drei Mal spielen. Es ist die deutsche Erstaufführung. Wie war die Reaktion in anderen Ländern?
In Indianapolis gab es die Uraufführung. Tags darauf wurde das Konzert wiederholt, und eine Konzertbesucherin kam anschließend zu mir und sagte, dass sie am Vortag schon da gewesen sei und mit Tränen in den Augen gegangen sei. Heute habe sie geweint. Ein schöneres Kompliment kann es für mich nicht geben.
Warum fiel Ihre Wahl gerade auf die Ausschnitte „Prologue“, „Maria“, „Mambo“, „Cha cha“, „Tonight“, „I feel pretty“, „One Hand, one Heart“, „A Boy like that“ und „Somewhere“?
Es ging mir um die Balance, dass die Gitarre nicht nur als Soloinstrument gesehen wird, die vom Orchester begleitet wird. Wichtig war mir, dass auch das Orchester zum Zuge kommt und nicht einfach nur der Dirigent dem Solisten hinterherpinseln muss. Und wenn ich die Frage vorwegnehmen darf, warum „Amerika“ nicht dabei ist? Es ist das einzige Stück in der „West Side Story“, in dem eine Konzertgitarre dabei ist. Die ließ sich einfach für ein Solo nicht bearbeiten.
Das Gittarrenspiel brachte sich Lucian Plessner selbst bei und gab im Alter von fünfzehn Jahren seinen ersten Soloabend. Nach seinem Studium an den Musikhochschulen in Köln und Aachen lebte er fünf Jahre in Spanien (Córdoba, Andalusien). Dort wurde er 1987 von einer spanischen Konzertagentur für eine Solotournee durch das ganze Land engagiert. Seinen prägendsten Unterricht erhielt er vom Amadeus Quartett, Geiger Chaim Taub, sowie den Pianisten Alexis Weissenberg und Alicia de Larrocha.
Am 18. August ist Bernsteins Musical West Side Story für Girtarre und Orchester, um 15, 16 und 17 Uhr im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums zu hören. Der Eintritt ist frei.
www.shalom-musik.köln