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Literaturnobelpreis„Han Kang ist eine angenehme Überraschung“

Lesezeit 4 Minuten
Die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang erhält den Literaturnobelpreis.

Die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang erhält den Literaturnobelpreis.

Literaturnobelpreis für Südkoreanerin Han Kang. Die Autorin war noch im Frühjahr zu Gast auf der lit.Cologne.

Als erste Südkoreanerin überhaupt wird die Schriftstellerin Han Kang mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Die 53-Jährige erhält den wichtigsten literarischen Preis der Erde „für ihre intensive poetische Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt“, wie die Schwedische Akademie in Stockholm bekanntgab.

„In Ruhe Tee trinken“

Han Kang ist die 18. Frau, die den Literaturnobelpreis erhält – und die erste Frau unter den bislang verkündeten Nobelpreisträgern dieses Jahres. Han habe scheinbar einen ganz gewöhnlichen Tag gehabt und gerade mit ihrem Sohn zu Abend gegessen, als er sie telefonisch zu Hause in Seoul erreicht habe, berichtete der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, bei der Preisbekanntgabe in der Altstadt von Stockholm. „Sie war auf das hier nicht wirklich vorbereitet“, sagte er.

Man freue sich sehr, sie im Dezember bei der Preisverleihung in Stockholm begrüßen zu dürfen. In einem Telefon-Interview, das die Nobelstiftung auf der Online-Plattform X veröffentlichte, erklärte Han, sie sei sehr überrascht und fühle sich geehrt. Den Preis werde sie nach dem Telefonat in Ruhe in Gesellschaft mit Teetrinken feiern.

Han Kang wurde 1970 im südkoreanischen Gwangju geboren, zog als junges Mädchen aber mit ihrer Familie in die Hauptstadt Seoul. Bereits ihr Vater war ein renommierter Autor. Ihr Debüt feierte die Südkoreanerin 1993 mit in einer Zeitschrift erschienenen Gedichten, zwei Jahre später veröffentlichte sie eine erste Sammlung an Kurzgeschichten.

Durchbruch mit „Die Vegetarierin“

Ihren großen internationalen Durchbruch erlebte sie dann 2007 mit dem Werk „Die Vegetarierin“, in der die weibliche Hauptfigur gewalttätige Konsequenzen aus ihrem direkten Umfeld erlebt, weil sie sich weigert, Fleisch zu essen. „Han Kangs körperliche Empathie für die verletzlichen, oft weiblichen Leben ist spürbar und wird durch ihre metaphorisch aufgeladene Prosa verstärkt“, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees für Literatur, Anders Olsson, bei der Bekanntgabe.

Sie verfüge über ein einzigartiges Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Körper und Seele sowie den Lebenden und den Toten. „Mit ihrem poetischen und experimentellen Stil ist sie zu einer Innovatorin der zeitgenössischen Prosa geworden“, sagte Olsson. Seit 2017 ist der Literaturnobelpreis immer abwechselnd Frauen und Männern zugesprochen worden – bei dieser abwechselnden Abfolge bleibt es somit auch diesmal.

Im vergangenen Jahr hatte ihn der Norweger Jon Fosse erhalten, davor mit der Französin Annie Ernaux ebenfalls ein großer Name der Weltliteratur. Sowohl Fosse als auch Ernaux hatten zuvor jeweils zum engeren Favoritenkreis gezählt – Kang dagegen hatte vor der Preisbekanntgabe kaum jemand auf dem Zettel gehabt. In ihrem Heimatland löste der Preis Begeisterungsstürme aus. Der Buchhandel war offensichtlich nicht auf die immense Nachfrage vorbereitet, die Webseite von Südkoreas führendem Buchhändler brach kurzzeitig zusammen. Kangs deutscher Verlag zeigte sich „überglücklich“.

„Kraftvolle Stimme“

Sie sei „eine der kraftvollsten und eigenständigsten Stimmen der Weltliteratur“, sagte die Leiterin der Literaturabteilung der Aufbau Verlage in Berlin, Friederike Schilbach. „Es gelingt ihr, die gewaltigsten Themen durch ihre poetische Sprache erzählbar zu machen. Das Zärtliche verbindet sie mit dem Revolutionären und schafft so Literatur, die nur sie so schreiben kann.“ Die Auswahl der Preisträgerin sei eine Überraschung, aber eine angenehme, sagte der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck. „Die Akademie hat eine glückliche Hand bewiesen“, sagte er kurz nach der Preisbekanntgabe der dpa. Han Kang sei eine absolut nobelpreiswürdige Autorin, die ganz wunderbare Geschichten geschrieben habe.

Den Kölner Literaturfreunden dürfte noch ihre Lesung Mitte März im Klettenberger Brunosaal in Erinnerung sein. Dort war sie auf der lit.Cologne zu erleben und stellte ihren Roman „Griechischstunden“ vor. „Sie ist eine sensationelle Autorin und wir können die Entscheidung der Jury voll unterschreiben“, sagte Tobias Bock aus der Programmplanung des Literaturfestivals der Rundschau.

„Aber wir wussten damals natürlich noch nichts von ihrem jetzigen Erfolg, hätten sie aber auch ohne den Nobelpreis eingeladen. Sie schreibt lyrisch und ungemein zart, erinnert mich manchmal an Kafka.“ Im Frühjahr solle ein neues Buch von ihr erscheinen, auf das man sehr gespannt sein. Auf die Frage, ob man sie erneut zur lit.Cologne einladen wolle, sagte Bock: „So ein Preis ändert ein Autorenleben fundamental. Ich glaube, wir müssen uns alle erst einmal sortieren.“

Weltweite Wettgemeinde

Lebhaft ist die weltweite Wettgemeinde und Mutmaßungen, wer es diesmal wird, waren bei den Literaturfreunden bis zuletzt im Gange. Hoch im Kurs standen Salman Rushdie, der australische Autor Gerald Murnane und die chinesische Autorin Can Xue. „Wir beteiligten wir uns gar nicht mehr an den Spekulationen, wer denn den Literaturnobelpreis diesmal erhalten könnte“, sagt Bock und erinnert sich an den Besuch von Olga Tokarczuk. Die polnische Autorin hatte erst am Vortag erfahren, dass sie den Literaturnobelpreis erhält. Aus Südkorea war bislang noch keiner Frau ein Nobelpreis zugesprochen wurde. In den wissenschaftlichen Preiskategorien Medizin, Physik und Chemie gingen die Preise in diesem Jahr zuvor ausschließlich an Männer.

Die letzten deutschen Preisträger waren Herta Müller vor 15 Jahren und Günter Grass vor 25 Jahren, der letzte deutschsprachige der Österreicher Peter Handke vor fünf Jahren. (mit dpa)