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lit.Pop„Kleine coole Schwester“ der lit.Cologne mausert sich zum Publikumsmagneten

Lesezeit 5 Minuten
Autorin Alice Hasters.

Die Kölner Autorin Alice Hasters war eine der neuen Stars, die auf der lit.Pop vor allem über Themen der jungen Generation diskutierten.

An zwei Tagen lud die lit.Pop junge und ältere Literaturfans in den Kölner Stadtgarten ein, um neue angesagte Autorinnen und Autoren zu aktuellen Themen zu erleben.

Pickepackevoll sind die drei Veranstaltungssäle am Samstagabend im Kölner Stadtgarten. Zumeist junge Literaturfans sitzen auf dem Boden, knien vor den Bühnen und warten auf ihre Stars. Echte Festivalatmosphäre also. Die lit.Cologne lud abermals zu „ihrer coolen, kleinen Schwester“ ein, wie Literaturkritikerin und Moderatorin Miryam Schellbach die lit.Pop zum Start von Tag zwei liebevoll beschrieb.

Dass dieses junge, inspirierende Format in diesem Jahr gleich an zwei Tagen in der Kulturstätte an der Venloer Straße 40 stattfand, lag nicht zuletzt an dem großen Erfolg seiner Erstausgabe im letzten Jahr. Und damit hinein ins Getümmel am Samstagabend mit einem furiosen Start im großen Saal des Stadtgartens. Die Kölner Bestsellerautorin Alice Hasters (34) redete mit Miryam Schellbach über Identität, besser gesagt über Identitätskrisen. Denn dieser Begriff ist der Titel von Hasters' neuem Buch.

Die Frage, wer ich bin, beschäftigt mich schon mein ganzes Leben.
Alice Hasters (34), Autorin

„Ich kann nicht mehr!“ – eine Aussage, mit der die Autorin stellvertretend beschrieb, was in unserer Gesellschaft „aktuell los ist“. „Eine Krise folgt der nächsten. Zudem ein Auseinanderdriften von ambitionierten Zielen der Gesellschaft, gegen Rassismus, Ungleichheit oder für mehr Klimaschutz, und den dabei erzielten Ergebnissen – bestückt mit hohem Frustpotenzial, weil die Ziele nicht erreicht werden. Dazu das ständige Hinterfragen der eigenen Identität. Das führt auf Dauer zu Unzufriedenheit, Wut und Traurigkeit“, formuliert Hasters ihre Eindrücke, die sie für ihr Buch gesammelt hat.

Was sie beim Schreiben über sich selbst erfahren habe, hakte Schellbach nach. „Die Frage, wer ich bin, beschäftigt mich ja schon mein ganzes Leben“, antwortete Hasters. Als schwarze Deutsche sei sie von Geburt an schon ein lebender Widerspruch, der sie geprägt habe. Heute sei ihr klar, dass sich Identitäten durch gesellschaftliche, politische Vorgaben und persönliche Erfahrungen permanent ändern. Dass viele von außen formulierte Erzählungen nicht stimmen.

Fakt sei: Das Leben und die Welt wandeln sich. Permanent. Auch eine AfD kann das gar nicht aufhalten.
Alice Hasters, Autorin

Die AfD beispielsweise spiele einzig und allein mit den Ängsten der Menschen, die durch Veränderungen bei vielen entstehen. Diese Partei suggeriere den Leuten, dass ihre Politik das Gewohnte und die alten identitätsstiftenden Dinge bewahren würde. „Aber diese Erzählung stimmt nicht. Sie ist großer Unsinn.“

Im Gegenteil – Fakt sei: Das Leben und die Welt wandeln sich. Permanent. Auch eine AfD kann das gar nicht aufhalten. „Die Lösung ist vielmehr, die Widersprüchlichkeiten der Welt und auch die persönlichen Ängste, die damit verbunden sind, zu akzeptieren und damit umzugehen. Ich versuche das“, wurde Hasters am Ende nachdenklich, aber auch angenehm versöhnlich.

Heiterer ging es bei Ole Liebl (31), Autor und Social-Media-Publizist, zu. Moderatorin Maria Popov und Liebl plauderten in ungezwungener und umarmender Weise über Freundschaft von Frauen, Männern und queeren Menschen. Das Reizwort in dem jüngst erschienenen Buch „Freunde lieben“ von Liebl ist „Freundschaft plus“. Der Autor stellt dabei unverblümt die Frage, warum nicht eine tiefe Freundschaft auch eine sexuelle Seite haben kann, ohne sich dabei auf eine romantische Beziehung einzulassen.

Warum sollen Zweier-Konstellationen, die Sex miteinander haben, stets so enden wie in den Romance-Comedy-Filmen der 1990er Jahre, in denen sich beide dann doch verlieben und ein Paar werden?
Ole Liebl (31), Autor und Cocial-Media-Publizist zu Bezeihungsform "Freundschaft plus"

„Warum sollen Zweier-Konstellationen, die Sex miteinander haben, stets so enden wie in den Romance-Comedy-Filmen der 1990er Jahre, in denen sich beide dann doch verlieben und ein Paar werden?“ Menschen und Beziehungen seien doch immer anders. „Im Grunde ist allein deswegen alles erlaubt und möglich“, ist sich Liebl sicher und die Moderatorin stimmt ihm zu. Das Publikum ist dankbar für diese Aussagen. Viele kennen Ole Liebl über Instagram und TikTok, wo der studierte Philosoph und Informatiker mittlerweile eine beachtliche Fangemeinde hat. Laut einer jungen Besucherin beherrscht er die Kunst, Tabuthemen rund um Sexualität und die unterschiedlichen Geschlechter neugierig machend und inspirierend anzusprechen.

Am Ende liest Liebl einen Appell an die Freundschaft aus seinem Buch vor. Es ist ein überraschend emotionaler Moment, weil der Autor beim Lesen von seinen Gefühlen übermannt wird. Unterstützender Applaus und viel Zuneigung aus dem Publikum ist die Folge. Liebl wird mit seiner offenen eloquenten Art weitere Follower gewinnen.

Die Journalistin Yasmine M'Barek und im Anschluss Klimaaktivistin Lea Bonasera setzten sich in zwei weiteren Lesungen mit der Verantwortung, Sinnhaftigkeit und den Formen des Protests auseinander. Auch Theater und Film wurde auf der diesjährigen lit.Pop geboten. „Verlust des Selbst-Seins in der Liebe“ und die „Suche nach eigener Identität zweier aus Syrien geflüchteter Transgender-Teenager“ waren hier die existenziellen Themen.

Künstlerin und Autorin Moshtari Hilal.

Künstlerin und Autorin Moshtari Hilal.

Nicht weniger psychologisch und traumatisch ging es zum Abschluss des lit.Pop-Programms in dem Gespräch der Bestsellerautorin Mithu Sanyal mit der Künstlerin und Schriftstellerin Moshtari Hilal zu. Was ist hässlich? Was ist schön? Und inwieweit wird Schönheit kommerzialisiert? „Als ich 14 wurde, zeigte mir meine Mutter 14 Fotos aus der Kindheit. 14-mal lernte dabei, dass ich hässlich bin“, las Hilal aus ihrem neuen Buch „Hässlichkeit“ vor.

Große Nase als Makel im Gepäck

Ursache dieser schamvollen und bedrückenden persönlichen Aussage sei ihre große Nase, die nicht dem westlichen Schönheitsideal entspreche. Wer schön sei, entscheide die Mehrheitsgesellschaft und die Ökonomie. Letztere nutze das Verlangen der Menschen aus, schön zu sein. „Und da ,sehr schön’ ein exklusiver Club ist, fühlen sich die meisten von uns schlecht und versuchen dies mit Konsum oder Schönheits-OPs zu kaschieren“, sind sich Hilal und Sanyal einig.

Umgekehrt grenzt man den ebenfalls exklusiven Club der definierten Hässlichen aus. „Diese manipulierte Ausgrenzung ist auch ein Tor zum gesellschaftlichen Rassismus“, formuliert Hilal. Diese Ausgrenzung sei toxisch. Worauf es vielmehr zwischenmenschlich ankäme, stellt sie am Ende des Gesprächs klar heraus: Als Mensch möchte man nicht nur als schön, sondern vielmehr komplett angesehen und genauso geliebt werden.