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lit.PopAktuelle junge Literatur im Kölner Stadtgarten

Lesezeit 4 Minuten
Autorin Ciani-Sophia Hoeder mit Moderatorin Tessniem Kadiri auf der lit.Pop.

Autorin Ciani-Sophia Hoeder mit Moderatorin Tessniem Kadiri auf der lit.Pop.

Junges Literatur-Festival - Die lit.Cologne Pop begeistert auch in der dritten Auflage ihr Publikum im Kölner Stadtgarten. An zwei Tagen sprechen Autorinnen und Autoren über aktuelle gesellschaftliche Themen, die vor allem das junge Publikum ansprechen.

„Kleiner Bruder“ oder „Coole Schwester“ der lit.Cologne? Die lit.Pop ist in jedem Fall etwas Besonderes innerhalb des großen Kölner Literatur-Festivals. Zum dritten Mal lud der Stadtgarten an der Venloer Straße am vergangenen Samstag und Sonntag in seine Konzert- und Clubsäle ein. Gelesen und diskutiert wurde dabei über moderne gesellschaftliche Fragen, die vor allem die jüngere Generation bewegen.

Den sehr launigen Anfang am Samstagnachmittag machte die Kölner Social-Media-Künstlerin Svea Mausolf. Die Queen der „Memes“, wie die ebenfalls gut aufgelegte Moderatorin Miriam Zeh sie zu Beginn vorstellte, hatte spürbar viele Fans im Publikum. Kein Wunder, mit ihren unterhaltsamen kommentierten Fotos hat sie auf Instagram fast 300.000 Follower und könnte damit das Rheinenergie-Stadion mehr als fünfmal füllen.

So viel Literatur, die Köln als Schauplatz hat, gibt es ja leider nicht.
Miriam Zeh, Moderatorin der lit.Pop

Mausolf ist direkt, provoziert und lacht viel, wenn sie erzählt – und das ist ansteckend. In ihrem Debütroman „Image“ beschreibt sie den Alltag von „Peggy Brinkmann“, einer „gemeinen Lesbe“, wie die Autorin gegenüber Zeh schmunzelnd erläutert, die sich überdies wegen Geldnöten Wohnung, Küche und Bad mit Hetero-Armleuchter-Mitbewohner „Martin“ teilen muss. Höhepunkt von Peggys Familien- und Neureichen-Trauma ist schließlich die Verlobungsfeier ihrer Schwester und „Christfluenzerin“ Jenny. Dass der Roman im Milieu des rechtsrheinischen Köln spielt, hebt Moderatorin Zeh am Ende noch hervor. „So viel Literatur, die Köln als Schauplatz hat, gibt es ja leider nicht.“

Festgefahrene ungerechte Klassenunterschiede

Nach diesem komödiantischen Feuerwerk folgte im Stadtgarten-Konzertsaal die nicht minder eloquente Journalistin und Autorin Ciani-Sophia Hoeder. Die Gründerin des Online-Lifestyle-Magazins „RosaMag“ stellte zusammen mit Moderatorin Tessniem Kadiri ihr neues Buch „Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher“ vor. Dort kritisiert sie die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten durch festgefahrene Klassenunterschiede in Deutschland. „Die meisten privilegierten Menschen wissen gar nicht, dass sie privilegiert sind – oder wollen es nicht wissen.“ Von oben herab werden Menschen, die arm sind, immer noch als zu faul oder zu dumm abgestempelt, so Hoeder. Das sei aber die Mär derjenigen, die sich um Geld wenig Sorgen machen müssen. „Denn vor allem unsere Strukturen sorgen dafür, dass arme Menschen auch arm bleiben.“

Die meisten privilegierten Menschen wissen gar nicht, dass sie privilegiert sind – oder wollen es nicht wissen.
Ciani-Sophia Hoeder, Autorin und Journalistin

Ein Beispiel für diese festgefahrene „Ordnung“ sei verblüffenderweise das Dating auf Kennenlern-Plattformen. Dort herrsche wie beim Heiraten Endogamie, so Hoeder. „Wir schauen heute bei unseren potenziellen Liebespartnern meist doch auf diejenigen, die aus den gewohnten sozialen Gruppen und Kategorien stammen.“ Früher heiratete klassisch der Chefarzt die Krankenschwester und der Chef die Sekretärin. Das sei zwar aus feministischer Sicht kein zeitgemäßes Modell mehr, sorgte aber damals für soziale Aufstiege bei einigen Frauen. „Heute bleib das Geld da, wo es sowieso schon ist: Der Manager-Mann sucht sich die Manager-Frau.“

Männliche Inkompetenz mit einigen Lichtblicken

Was passiert mit einem Mann in den besten Jahren, wenn er „super einsam“ ist? Eine Antwort gibt der Schauspieler, Musiker und Neu-Autor Anton Weil in seinem gleichnamigen Debütroman. „Super einsam“ ist tatsächlich ein Ereignis szenischer Milieu-Beschreibung und einer männlichen hybriden Psyche. Weil trägt in gekonnter Lesung vor, wie sein Held Vito trotz Jobaussicht sich dann doch für einen Alkoholnachmittag in seiner Eckkneipe in Berlin-Kreuzberg entscheidet. Selten wurde so unterhaltsam und nachvollziehbar beschrieben, wie gut das erste, zweite und auch noch das dritte Pils schmeckt, wenn die Kneipe, die Wirtin und der Mut zum sinnlosen Betrinken stimmen.

Dass „Held“ Vito aber neben seiner männlichen Inkompetenz auch andere Seiten zulasse, mache diesen gelungenen Debütroman so interessant, wie Moderatorin Duygu Agal im Gespräch mit dem Autor herausstellt. So ist dann das Kapital „Bi-Day“ auch einer der eindrucksvollsten Texte an diesem Literatur-Samstag im Kölner Stadtgarten. Ein Mann, der fest daran glaubte, hetero zu sein, flirtet mit einem portugiesischen Imbissmitarbeiter, den er am Ende sogar küsst und das auch noch genießen kann. Am Ende erfahren die Leser und Leserinnen auch noch, warum Vito möglicherweise so ist, wie er ist. Er hat seine geliebte an Krebs leidende Mutter verloren, was er bis jetzt nicht verwinden konnte.

"Politische Zaubersprüche" gegen Sprachlosigkeit bei sexualisierter Gewalt

Duygu Agal lobte aber nicht nur Anton Weil überschwänglich an diesem ersten Veranstaltungstag der lit.Pop. Die schweizer Autorin Laura Leupi war im Jaki-Clubsaal zu Gast mit ihrem preisgekrönten Werk „Das Alphabet der sexualisierten Gewalt“. Für Agal findet diese autofiktionale Spurensuche Leupis Sprache und Begriffe für Tabubereiche der sexuellen Gewalt, für die Betroffene, Täter und Opfer, zumeist keine Worte finden. In ihrer Recherche, so die Autorin, habe sie selbst viele Klischees und Vorurteile ablegen können. Dass „gute“ Sexualität nichts mit Machtverhältnissen und Gewalteinflüssen zu tun habe, stimme so sicher nicht. Wichtig sei, dass darüber in richtiger und konstruktiver Weise gesprochen werde.

Laura Leupi spricht auf der lit.Pop über ihr Buch ‚Das Alphabet der sexualisierten Gewalt‘.

Laura Leupi spricht auf der lit.Pop über ihr Buch 'Das Alphabet der sexualisierten Gewalt'.

Mit Hilfe von „fantastischen Geschichten und politischen Zaubersprüchen“, wie es auf dem Klappentext ihres Buches beschrieben wird, schaffe es die Autorin, dass ihre Leserinnen und Leser beginnen, über sexuelle Gewalt und ihre Auswirkungen ernsthaft nachzudenken. Sie habe zwar auch keine Lösungen parat, wie Leupi zugibt, aber Nachdenken stehe immer am Anfang eines ehrlichen Umgangs mit einem äußerst schwierigen Thema.