Mafia-Experte Roberto Saviano eröffnet mit seinem neuen Buch „Treue“ die 25. Ausgabe der lit.Cologne.
Starker Auftakt zum JubiläumRoberto Saviano bei der 25. Ausgabe der lit.Cologne

Roberto Saviano bei seinem Auftritt in der Kölner Flora.
Copyright: Thomas Brill
Das ist ein starker Auftakt der lit.Cologne, die in diesem Jahr zum 25. Mal stattfindet: Neben Caroline Darian, der Tochter von Gisèle Pelicot, stellt am Eröffnungstag auch Roberto Saviano sein neues Buch „Treue“ vor.
Seitdem der Italiener sich 2006 in seinem Buch „Gomorrha“ mit dem organisierten Verbrechen seiner Heimat angelegt hat, erhält er Personenschutz und lebt versteckt an wechselnden Orten. Dies hält den 45-Jährigen nicht davon ab, weitere Bücher über Mafia und Co. herauszubringen und öffentlich aufzutreten wie gestern in der Kölner Flora.
Hang zu Dramatik
Und das macht er richtig gut: charmant, eloquent, bisweilen fast lausbübisch und dabei sehr auf den Effekt aus: Seiner Übersetzerin Paola Babon gibt er zum Teil nur einzelne Sätze vor und sorgt so für dramatische Pausen. Hier wird jede Äußerung zum Cliffhanger. Man merkt, dass die beiden ein eingespieltes Team sind, die Moderatorin und Mailand-Korrespondentin der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, Karen Krüger, wird da fast zur Stichwortgeberin degradiert.
Mitreißender Bühnenprofi
Andererseits: Wenn man einen Profi wie Saviano auf der Bühne hat, lässt man ihn am besten Kapriolen schlagen. Das Kölner Publikum dankt es ihm mit begeistertem Applaus.
In seinem neuesten Werk beschäftigt sich Saviano laut Untertitel mit den „Frauen in der Mafia“. Doch das ist eine Mogelpackung, denn Frauen spielen auf der Mehrzahl der rund 240 Seiten nur eine Nebenrolle wie auch in den Organisationen. Wir lernen sie nicht kennen, manchmal sogar noch nicht einmal ihren Namen. Schon gar nicht erfahren wir etwas über ihre Beweggründe, außer vielleicht, dass sie in die Organisationen hineingeboren werden.
Töchter, Ehefrauen, Geliebte
Überall sind sie Töchter, die innerhalb des Clans verheiratet werden, um Verbindungen herzustellen oder zu festigen. Oder sie sind Ehefrauen, die in erster Linie Kinder, am besten natürlich Jungs, auf die Welt bringen sollen. Höchstens wenn der Gatte im Knast sitzt und sich sonst niemand Besseres findet, dürfen sie die kriminellen Zügel in die Hand nehmen. Oder sie sind Geliebte.
„Bei der Cosa Nostra ist der Beweis für die Vertrauenswürdigkeit die Loyalität des Bosses gegenüber seiner Frau, bei der Camorra gilt die umgekehrte Logik: Dem Boss, der mehrere Frauen hat, sind viele treu er demonstriert damit seine Führerschaft“, so Saviano.
Jede Menge Namen und Orte
In den meisten Fällen beschäftigt sich der Autor deshalb nicht mit den Frauen, sondern mit den Männern und ihren Machenschaften. Dafür holt er weit aus, rattert Namen und Örtlichkeiten im Stakkatotempo herunter. Man verliert sehr schnell den Überblick, nicht zuletzt, weil alles so austauschbar scheint.
Darüber hinaus schwelgt er seitenlang in Gewaltszenarien. Er erklärt lang und breit, wer mit wem und vor allem wer gegen wen. Welche Familie hat wie lange und warum eine Fehde mit einer anderen. Und vor allem wie viel Blut, aber auch Tränen dabei geflossen sind.
Buchhalter verspielt Ehefrau
Da erzählt Saviano von dem Buchhalter Lou, der beim Kartenspielen seine Frau als Pfand setzt, nachdem seine Mitspieler sie anhand eines Fotos als für attraktiv genug befunden haben. Als Lou verliert, muss er zuschauen, wie seine Frau eine Nacht lang von zwei Männern vergewaltigt wird.
Das Leid der Frau steht bei Saviano außen vor: „Ist es so weit gekommen, dass man seine Frau verkauft, kann man jeden verkaufen, auch seine Kumpane, den Boss, die ganze Familie, die Bankgeheimnisse.“ Ihr Schicksal? Dient nur zur Illustration der Grausamkeit der Strukturen.
Barbara Auer liest deutschen Part
Schauspielerin Barbara Auer trägt diese und einige andere Passagen auf Deutsch vor. Allerdings so souverän, dass man schnell vergisst, dass es hierbei nicht um Fiktion, sondern um Realität handelt. Kein Wunder, viele der Geschichten sind spannend wie Krimis.
Später stehen auch mal Frauen im Mittelpunkt, wenn er von den „TikTok-Königinnen“ Antonella und Sabrina berichtet. Sie leiten zwei chilenische Clans, im Gefängnis werden sie ein Paar. Allerdings ohne Happy End: Die eine landet im Gefängnis, die andere wird erschossen, „Fleisch auf dem Asphalt, menschliche Rückstände am Boden eines eingebrannten Topfes, Schabereste, Ausschuss.“
Sprachlich wie ein Groschenroman
Sprachlich bewegt Saviano sich im besten Sinn des Wortes in Richtung Groschenroman, sowohl was die Thriller-Aspekte betrifft, als auch in Sachen Liebe und Romantik. Über zwei Familien, die sich durch die Ehe zweier Kinder verbinden, schreibt er: „Es ist nur noch eine Frage von Wochen, dann wird das zweiköpfige Monster nur noch einen Kopf haben und damit noch furchterregender werden.“
Und von einer frisch geschlossenen Ehe heißt es: „Auf dem Grund dieses schlammigen Flusses, einem Gemisch aus Dreck, Blut, zerstückelten Leichen und gebrochenen Knochen, hat eine kleine Auster ihre Schale geöffnet, und darin liegt eine Perle.“ Kitschiger geht’s kaum.
Roberto Saviano: Treue. Liebe, Begehren und Verrat Die Frauen in der Mafia. Deutsch von Anna Leube und Wolf Leube. Hanser. 272 S., 24 Euro.