Marius Müller-Westernhagen und Friedrich Dönhoff, der ein Buch über ihn geschrieben hat , sprechen mit Bettina Böttinger auf der lit.Cologne.
lit.CologneMarius Müller-Westernhagen als bescheidene Ikone
Es fängt schon prima an. „Redest du gerne über dich?“, fragt Bettina Böttinger Marius Müller-Westernhagen in der Kölner Oper. „Nein!“. „Gut, war’n schöner Abend!“
Autogramme von der Bühne weg
Und es hört nach 90 Minuten noch besser auf. Mit der Ankündigung, dass der 74-Jährige nach dem Gespräch im Rahmen der 23. lit.Cologne das Buch, das Friedrich Dönhoff über ihn geschrieben hat, nicht signieren werde. Was er, genau genommen ja auch gar nicht kann. Das Porträt, das bei Diogenes erschienen ist, ist eins über ihn. Nicht von ihm.
Aber dafür gibt es etwas viel Besseres. Statt sich hinterm Büchertisch zu verschanzen, gibt Westernhagen Autogramme direkt von der Bühne weg, auf der ansonsten derzeit Verdis Luisa Miller leidet. 17 Minuten lang. Auf alles, was geht: Schallplatten, CDs, Fotos, Blöcke, Bücher.
Während er sich mit den Leuten unterhält, sich bereitwillig von und mit ihnen fotografieren lässt. Unnahbar geht anders. Und als Bonustrack gibt’s Familienanschluss: Ebenso charmant wie effizient assistiert ihm seine Frau Lindiwe Suttle. Die Aufforderung, doch jetzt bitte den Saal zu räumen, muss mehrfach erfolgen. Und hätte es die nicht gegeben: Wer weiß, wie lange Müller-Westernhagen noch weiter nicht signiert hätte.
Der Musiker, Autor Dönhoff, der neben Romanen und Biografien auch Krimis schreibt, und die durch ihre TV-Talkshows bekannte Moderatorin sind ein Dreamteam. Das sind drei, die sich mögen, ohne sich deshalb permanent gegenseitig Sahne ums Maul schmieren zu müssen. Selten vergingen 90 Minuten auf der lit.Cologne so schnell. Alles im Fluss. Alles spannend.
Bericht über den Vater
So erklärt Westernhagen, warum er kein Superstar (mehr) ist: „Je älter man wird, desto weniger wichtig nimmt man sich. Derjenige, der da auf den Stadion-Bühnen rumgehupft ist, der ist für mich keine Realität mehr. Mit dem Superstar, dem Megastar habe ich mich nie identifiziert. Das passiert einfach, du musst es einfach geschehen lassen. Es war für mich nicht wirklich real: Ich dachte: Hast du sie nicht mehr alle?“
Und er regt sich über Opportunismus auf: „Nicht viele Leute haben den Mut, von dem zu reden, was sie bewegt. Das sind alles nur noch Zitate, alle versuchen, sich anzupassen. Das wird mir zu uniform, zu wenig individualistisch.“
Dann berichtet er über seinen Vater, den Schauspieler Hans Müller-Westernagen, der traumatisiert aus dem Krieg heimkehrte, unter Depressionen litt, Kettenraucher und Alkoholiker war: „Was ich nie erlebt habe: den gesunden, kraftstrotzenden, jederzeit eine Entscheidung treffenden Vater. Das hat mir nicht geschadet. Ich bin nicht so einer, der sagt: Mein Leben war so schwierig, ich hatte diesen Vater…“.
Der ihm aber zwei Dinge mit auf den Weg gab: Demut und Bescheidenheit. Und ihm die Schule ersparte, als er Angst vor dem prügelnden Französischlehrer hatte: „Angst zu haben ist nicht der Sinn der Schule.“
Erster Kuss beim Flaschendrehen
Es geht aber auch um Fallstricke des Star-Daseins: „Jeder Verführung standhalten, das ist eine große Aufgabe, Ich bin kein Drogensüchtiger. Ich bin kein Alkoholiker. Ich hab’ noch ’ne relativ klare Birne. Das ist mein größter Erfolg.“ Darum, dass er nie Schauspieler werden wollte, was er eine Zeit lang aber trotzdem war: „Ich wollte immer was mit Sport machen.“ Auch die Pubertät wird Thema: „Ich hab’ mit 14 meinen ersten Kuss bekommen, beim Flaschendrehen.“
Darauf Bettina Böttinger: „Ich auch. Und auch in Düsseldorf.“ Und aktuelle Popmusik: „Früher war das nicht nur Unterhaltung. Es gab Texte von Bob Dylan und von Van Morrison, die haben dich sozialisiert. Popmusik ist heute wie Papiertaschentücher: Da schnäuzt du rein – und dann wirfst du sie weg.“ Aber auch der Autor des Porträts kommt zu Wort. „Ich denke, du bist jetzt nicht der geborene Rock’n’Roller…“, wendet sich Bettina Böttinger an Friedrich Dönhoff. „Nee“, sagt der mit Bestimmtheit und bekommt dann erstmal einen infernalischen Lachanfall.
Internat statt Rock’n’Roll
Bevor er das Projekt in Angriff nahm, kannte er Westernhagen kaum. Während letzterer mit 18 in Düsseldorf rumrannte, freakige Klamotten trug und mit seiner Band auch mal für eine Flasche Martini auftrat, besuchte der fast 20 Jahre jüngere Dönhoff ein Internat. „Ist man nicht so’n bisschen neidisch auf diese Wildheit?“, fragt Böttinger. „Neidisch ist das falsche Wort. Beneidenswert trifft es eher. Diese Offenheit!“ Dönhoffs Erscheinung ist die eines Feingeists. Im Gespräch hält er sich eher zurück, Kraftausdrücke kommen bei ihm nicht vor. Was Westernhagen an seinem Porträtisten am meisten bewundert hat, will Böttinger wissen. „Seine Schönheit“, sagt der. Ob er die äußere oder die innere meint oder beide, das sagt er nicht.
Friedrich Dönhoff: Marius Müller-Westernhagen. Ein Porträt. Diogenes, 251 S., 25 Euro