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Lesungen bei Lit.Cologne in KölnPetković und Hitzlsperger sprechen über dunkle Seiten und das Leben nach dem Sport

Lesezeit 5 Minuten
Thomas Hitzlsperger, damaliger Vorstandsvorsitzender der VfB Stuttgart 1893 AG, nimmt an einem Gespräch der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in einem Raum des Clubzentrums des Bundesligisten teil. Thomas Hitzlsperger hat sich vor fast zehn Jahren für ein Coming-out entschieden. (zu dpa: «Hitzlsperger lobt Entwicklung: Clubs «bekennen sich zu Diversität»») +++ dpa-Bildfunk +++

„“Thomas Hitzlsperger veröffentlicht sein Buch Mut proben.

Andrea Petković und Thomas Hitzlsperger reflektieren in ihren Büchern über das Ende ihrer Sportkarrieren – und das „Danach“

Egal ob Opernsängerin oder Handwerker: Wenn der Körper nicht mehr mitmacht, muss das (Berufs)Leben neu definiert werden. Profis im Sport und im Tanz eint, dass sie Spitzenleistungen nur eine sehr begrenzte Zeit erbringen können, Karrieren enden oft zu einem Zeitpunkt, an dem man in anderen Berufen danke mehrjähriger Erfahrung höhere Weihen genießen kann.

Mit Ex-Tennisspielerin Andrea Petković und Ex-Fußballer Thomas Hitzlsperger beschäftigen sich zwei Sportgrößen mit den Umbrüchen, die das Aus auf dem Rasen oder auf dem Platz mit sich bringt. Ihre Bücher, die beide Donnerstag erscheinen, stellen sie auch auf der lit.Cologne vor.

Hitzlspergers erstes Buch

Die größte Überraschung an „Mut proben“ ist die Tatsache, dass es Thomas Hitzlspergers erstes Buch ist. Zu sehr hat man sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Prominente ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen zwischen zwei Buchdeckel packen und auf den Einzug in Bestsellerlisten hoffen.

Nicht so „The Hammer“. Er hat im Januar 2014 nur der „Zeit“ das Interview gegeben, in dem er über seine Homosexualität sprach und damit ein Stück queerer und deutscher Fußballgeschichte schrieb: Als erster Ex-Top-Profi hatte er sein Coming-out.

Nun blickt er – unterstützt vom Journalisten Holger Gertz – zurück: auf die vergangenen zehn Jahre und die Zeit davor, schlägt den Bogen von der Kindheit über die verschiedenen Stationen bei diversen Vereinen bis hin zum Botschafter für Diversität des DFB, TV-Kommentator und offen schwuler Mann im Fußball – mit der überraschenden Erkenntnis, dass es wohl kein Problem ist, in den Fußball-Führungsetagen nicht heterosexuell zu sein.

Nachdem Hitzlsperger acht Jahre mit einer Frau zusammengelebt hatte, bringt ihn eine Verletzung zum Nachdenken. „Wer ich tatsächlich bin, konnte ich besser erkennen, als der Körper allmählich anfing, nicht mehr zu funktionieren“, schreibt er.

Ich steh’ auf Männer.
Thomas Hitzlsperger

„Ein Gedanke, den ich die vergangenen Jahre und vor allem Monate immer wieder hatte wegschieben können, aber er war nie ganz verschwunden. Stattdessen hatte er Nahrung bekommen, durch Begegnungen und Erfahrungen, durch Fantasien. Und jetzt, in dieser Idylle am Tegernsee, bekam er eine solche Festigkeit, dass ich ihn – erst mal nur für mich – in Worte fasste, also ausbuchstabierte, wie man das heute sagt: Ich steh auf Männer.“

Zu dieser Zeit ist er noch aktiv, denkt aber darüber, nach an die Öffentlichkeit zu gehen. 2011 wendet er sich an Moritz Müller-Wirth, aber erst drei Jahre später erscheint das mittlerweile legendäre Interview, das Hitzlsperger dem „Zeit“-Journalisten und Carolin Emcke gegeben hat. Mehrfach hatte er die Einwilligung zur Veröffentlichung zurückgezogen, zu groß ist seine Unsicherheit.

Ungewollt oder nicht zeichnet Hitzlspergers Buch ein Bild vom Fußball, dass immer noch durch und durch von Männern geprägt ist, gar etwas Männerbündlerisches in sich trägt.

Es heiße oft, dass sich kein aktiver Fußballer oute, läge an den unkalkulierbaren Fanreaktionen. Aber dies sei nur ein Teil der Wahrheit. „Dabei ist die Situation in der Kabine entscheidender.“ Und er hat auch ein verstörendes Beispiel parat: „Ein Spieler lag auf der Massagebank und sagte zum Physio: ,Also wenn du schwul wärst – ich würde mich von dir nicht behandeln lassen, du dürftest mich nicht mal anfassen.'“

In eher nüchternen, fast journalistischen Stil gewährt Hitzlsperger einen Blick hinter die Kulissen des Profi-Kickens, bleibt dabei nicht bei der Bespiegelung der eigenen Person haften, sondern nimmt die verschiedenen Facetten ins Auge, die einen Druck erzeugen, wo es eigentlich doch irgendwann mal um Spaß am Spiel ging.

Andrea Petkovic, ehemalige Tennisspielerin, steht während des 52. Ball des Sports der Stiftung Deutsche Sporthilfe in der Festhalle Frankfurt auf dem Roten Teppich. +++ dpa-Bildfunk +++

Andrea Petkovićs Buch heißt „Zeit, sich aus dem Staub zu machen“.

Andrea Petković hingegen zeigt in ihrem zweiten Buch „Zeit, sich aus dem Staub zu machen“ literarische Qualitäten. Auch bei ihr macht ihr der Körper irgendwann einen Strich durch die Tennis-Rechnung. „Ich war des ständigen Drucks, gegen die besten der Welt bestehen zu müssen, müde geworden.“

Aber Abschied zu nehmen, fällt ihr selbstredend nicht leicht. „Wir gedenken des willenlosen Werkzeugs von damals, verfluchen es dafür, dass es unsere Jugend verraten hat, trauern ihm nach. Wie dem einst schönen Ex, dessen Gesicht aufgedunsen und träge in einer Bar vor sich hin leuchtet.“

Und so lotet sie ihr neues Ich aus: „Seit ich aufgehört habe, Tennis zu spielen, habe ich das Gefühl, dass mein Körper zum ersten Mal mir gehört.“

Mein Unterbewusstsein denkt, ich muss bald wieder ran.
Andrea Petković

Was positiv klingt, nach all den Jahren, in denen sie nach striktem Diät- und Trainingsplan gelebt hat, schlägt fast ins Gegenteil um: „Und mir fällt nichts anderes ein, als ihn zerstören zu wollen“, beschreibt sie ihre neue Gier nach Essen. „Mein Unterbewusstsein denkt, ich muss bald wieder ran. Als wäre ich ein Soldat auf Heimaturlaub, der bald wieder zurückgeschickt wird. “

Anders als Hitzlsperger gewährt Petković Einblicke ins Privatleben. Ihr jetziger Lebensgefährte, der Musiker Jesse Kotansky, ist durchweg präsent, genauso wie Freunde und Freundinnen oder auch Männer, die sie früher kennengelernt hat.

Angst vor dem Portier

Von Hitzlsperger erfährt man nur, dass er in der Liverpooler Zeit mit einem Amerikaner zusammengelebt hat – immer mit der Angst im Nacken, der Portier, der Fan der anderen Mannschaft der Stadt ist, könnte irgendwem stecken, dass bei „the Hitz“ ein Mann wohnt. Und dass er „ganz selbstverständlich mit meinem Ehemann am Familientisch“ sitzen kann.

Man freut sich, das zu lesen, würde sich aber wünschen, ein wenig mehr zu erfahren. Denn auch über die Liebe kann man offen sprechen.

Andrea Petković, „Zeit, sich aus dem Staub zu machen“, Kiepenheuer und Witsch, 224 S., 23 Euro.

Thomas Hitzlsperger (mit Holger Gertz): „Mut proben“, Kiepenheuer und Witsch, 224 S., 23 Euro.

Die Lesungen von Petković (8.3.) und Hitzlsperger (14.3.) sind ausverkauft.