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Interview

Linus Geschke
„Wenn sie lügt“ und die Angst vor dem Wald

Lesezeit 3 Minuten
Der Kölner Autor Linus Geschke.

Der Kölner Autor Linus Geschke.

Schon mit seinen Krimiserien um Jan Römer und Alexander Born konnte Linus Geschke punkten. Vor zwei Jahren startete der Kölner durch, legte 2023 nach. Jetzt ist mit „Wenn sie lügt“ der dritte Thriller erschienen. Susanne Schramm sprach mit dem 53-Jährigen über Schuld und Sühne, Schlachtplatten und Schaudern im Wald.

Wie schreibt man einen guten Thriller?

Man muss einen Täter oder eine Täterin haben, der oder die nicht wie das Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird. Jemand, auf den man kommen könnte, aber natürlich nicht kommen soll. Und man braucht ein glaubhaftes Motiv. Der Mann, der Frauen umbringt, weil er Frauen hasst, ist nicht ideal. Man muss da schon ein bisschen tiefer gehen, eine gewisse Form von Tiefe finde ich dabei ganz wichtig.

Was meinen Sie mit Tiefe?

Tiefe kann psychologisch bedingt sein oder durch die Geschichte, die erzählt wird. Bei mir geht es oftmals um Fehler, die man irgendwann im Laufe seines Lebens gemacht hat und die später wieder zu einem zurückkommen. Mir gefällt es, wenn Menschen aus einem inneren Antrieb heraus etwas tun. Weil sie Schuld empfinden, etwas sühnen wollen, die Gerechtigkeit wieder herstellen, die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen. Man muss nicht gutheißen, was der Täter macht, das will ich auch gar nicht. Aber man muss nachempfinden können, warum er es tut.

Was würde in Ihren Thrillern nie passieren?

Sagt Ihnen der Begriff „Schlachtplatte“ etwas? In unserem Genre sind Schlachtplatten Bücher, wo ganz, ganz viel Blut fließt. Da wird dann über acht Seiten hinweg beschrieben, wie jemand gefoltert wird. Das gibt es bei mir nie. Das ist nicht meine Intention. Ich mag schon gerne Grausamkeiten, aber mir genügt das, wenn die beim Lesen im Kopf entstehen. Ich muss mich nicht daran weiden.

Sie waren Journalist, ehe Sie anfingen, Krimis zu schreiben…

Journalist war einer von drei Berufswünschen. Auch Polizist hätte mir gefallen. Und dann hatte ich mal eine Phase, da wäre ich gerne ein Krimineller geworden. Die Vorliebe für Verbrechen war bei mir immer schon gegeben, das hat mich schon immer fasziniert.

Haben Sie vorher selbst gerne Krimis gelesen?

Ja. Don Winslow, Dennis Lehane, auch Gillian Flynne. Und ich bin ein ganz alter Stephen King-Fan, der ist immer großartig. Ich glaube, Sie können nur das schreiben, was Sie selbst gerne lesen wollen. Das ist ein ganz großer Unterschied zum Journalismus, wo Sie auch Auftragsarbeiten machen. Aber das ist nur die Kurzstrecke. So ein Buch ist etwas ganz Anderes. Da sitzen Sie acht Monate dran, 600 000 Zeichen. Und wenn Sie das Thema langweilt oder Sie das nicht lesen möchten, dann wird es ganz schwer.

In „Wenn sie lügt“ spielt der Wald eine bedrohliche Rolle…

Wenn Sie Krimis schreiben, können Sie vor zwei Dingen Angst haben: vor der Großstadt oder vorm Wald. Die Großstadt macht mir keine Angst, weil ich halt in Köln geboren und da aufgewachsen bin. Aber wenn ich nachts durch den Wald gehe, bin ich so ein Schisser. Dann höre ich überall Geräusche und es knackt, und ich denke: „Da ist jemand.“

"Wenn sie lügt": Norah Heller bekommt bedrohliche anonyme Briefe. Um ihr zu helfen, kehrt ihr Jugendfreund Goran Milardovic zurück ins Dorf Waldesroda in Thüringen, das er vor 19 Jahren verließ. In Rückblenden wird erzählt, was im Sommer 2004 geschah, als Goran und Norah Teil einer Clique waren. Damals tötete Norahs Exfreund David ein Liebespaar und ertrank danach in der Ostsee. Hat er doch überlebt? Die Briefe klingen nach ihm. Oder schlüpft jemand aus der Clique in seine Rolle? Einmal mehr spielt Geschke gekonnt mit Zeitebenen, wechselnden Perspektiven, legt falsche Fährten und installiert doppelte Böden. Fast noch bedrohlicher als der Wald ringsherum ist der Mikrokosmos Dorf mit seinen Mechanismen des Misstrauens. Das Lebensgefühl von Jugendlichen zu Beginn des Millenniums kommt hier wunderbar authentisch rüber, die Lösung des Falls allerdings verblüfft selbst die ganz versierten Krimifans.