Lesetipp der RedaktionMichael Maar will das „Geheimnis großer Literatur“ lüften
Köln – „Das Geheimnis großer Literatur“, möchten wir das nicht alle kennen? Michael Maar, Literaturwissenschaftler und Sohn von Paul Maar, lockt mit dem Untertitel seines Buchs „Die Schlange im Wolfspelz“, der uns einlädt, die Qualität deutscher Dichtung zu entdecken. Gegen Ende seiner Laufbahn als Germanist resümiert der 61-Jährige die Lesefrüchte seiner wissenschaftlichen Forschungen.
Offenbar überkam ihn die Lust, die eigenen Götter noch einmal zu feiern und jenen der anderen eins auf den Hut zu geben. Oberstes Ziel ist es jedoch, das maximale Vergnügen zwischen zwei Buchdeckeln zu kartieren.
Im übrigen gibt es das Geheimnis selbstverständlich nicht. Maar zieht sich auf Kants Definition zurück, die das Schöne in der Eigengesetzlichkeit eines Gegenstands erblickt. So ist hier kein Beckmesser am Werk, der nach sturen Regeln urteilt, sondern jeder Text muss einzeln abgeschmeckt werden.
Frauen aufs Podest gehoben
So gibt es harsche Abfuhren, etwa für Novalis oder Arno Schmidt, dem Maar einen strengeren Lektor empfohlen hätte. Auch Thomas Bernhard wird eher geduldet als gepriesen. Dafür hebt er die Frauen aufs Podest, nicht alleine die von Heinrich Heine glühend verehrte Rahel Varnhagen oder aus jüngster Zeit Undine Grünter und Brigitte Kronauer. Hildegard Knef und ihrem „geschenkten Gaul“ wird über die Maßen Begeisterung zuteil. Und auf unterschätzte Stilisten wie Heimito von Doderer, den Maar als einzigen neben Thomas Mann duldet, sowie immer wieder auf Joseph Roth und seinen „Radezkymarsch“ wird nachdrücklich hingewiesen.
Mit welchen Instrumenten erfolgen die Operationen? Nur zu gerne legt Maar das Besteck der sprachlichen Analyse vom Satzzeichen bis zum Stilvergleich, dem Rhythmusgefühl oder dem Blick auf Kunstfehler und das Sensorium für die Sprache innerer Monologe frei. Deshalb würde Maar einem Elias Canetti den Nobelpreis gleich noch einmal für „Die Blendung“ verleihen. Thomas Mann hatte dem jungen Autor 1931 den Roman ungelesen wieder zurückgeschickt. Beim sprachlichen Bildermalen mischt der Hochschullehrer Maar selbst gerne mit, wenn es da heißt: „Metaphern sind die Goldkörner im Klondike der Prosa; aber es gibt auch viel Katzengold dabei. Wer ruft hier den Namen Stefan Zweigs?“
Viel Unterhaltungswert hält das Interesse aufrecht
Mit seiner sprachlichen Eitelkeit hält Michael Maar nicht hinter dem Berg. Das hemmt den Lesefluss dort, wo die Analyse eigentlich schon ausreichend Überzeugungsarbeit besitzt. Was ein Literaturwissenschaftler so alles zu leisten vermag, demonstriert Maar, indem er nicht allein zeigt, dass die Kindergeschichte vom Rehlein „Bambi“ ein kaum verhohlener Porno ist. Das hätten auch aufmerksame Leserinnen und Leser erkennen können, aber Maar zeigt aufgrund von Textvergleichen, dass dem luziden Kaffeehaus-Intellektuellen Felix Salten neben „Bambi“ ebenfalls die Autorenschaft an der „Lebensgeschichte der Josefine Mutzenbacher“ zugeschrieben werden kann.
Maar weiß, wie man über mehr als 500 Seiten das Interesse einer Leserschaft konstant aufrecht erhält. Pointiert eingestreute Details zur Biographie samt Pikanterien der umfangreichen Autorenriege funktionieren effektvoll. Mit einem Blick in die erotische Abteilung der deutschen Literatur belohnt Maar seine Leserschaft gegen Ende, indem er zeigt, dass diese in Deutschland gerne heruntergespielte Disziplin durchaus Talente wie Elke Schmitter oder Ulrich Becher vorzuweisen hat. Das größte Verdienst dieses Buches ist es jedoch, dass sich mit ihm die deutsche Literatur wieder lustvoll entdecken lässt.
Michael Maar: Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literatur. Rowohlt, 656 S., 34 Euro.