Die Essayistin Monika Rinck hält ihre Antrittsvorlesung als Professorin an der Kunsthochschule für Medien Köln.
Kunsthochschule in KölnVorlesung von Monika Rinck wie ein langes Gedicht
„Engpassbeseitigung“. Das ist wohl das Schlüsselwort für den Zustand, in dem sich Deutschland derzeit befindet. Da soll noch einmal jemand behaupten, der Lyrik fehlten die politischen Bezüge. In den Verkehrsnachrichten, die Monika Rinck in atemloser Geschwindigkeit vorzutragen weiß, taucht dieses Wort wie ein rhythmischer Schlag mit der Axt auf, die das Chaos der Staus zerteilt.
Zufall als Methode
Autobahnen geben uns ein strenges Geradeaus vor und sind damit eine zentrale Metapher für Reglementierung. Andererseits läuft im Verkehr im Moment vieles unvorhersehbar schief. Unter dem Titel „Das Gebaute und das Ungebaute – Zufall als Methode“ präsentierte Rinck ihre Antrittsvorlesung als Professorin für literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien Köln.
Die 54-Jährige stammt aus Zweibrücken und zählt derzeit zu den bedeutendsten Lyrikerinnen deutscher Sprache, wobei sie als Essayistin und Übersetzerin ebenfalls zu den literarischen Stimmen zählt, die gehört werden. Das konnte man in Köln schon 2017 unmittelbar erleben, als sie die Poetica III kuratierte.
Einem Vortrag ähnelte die von Kathrin Röggla eingeleitete Performance weniger als einem siebzigminütigen Gedicht Fließende Wechsel zwischen Nachrichtensprech, Kommentar oder Dialogen wechselten mit akademisch formulierten Analysen. Wissenschaft und Sprachregelungen aus dem Alltag greifen in den Gedankenströmen von Monika Rinck ineinander. „Das Unbeschreibliche will ich festhalten“, sagt sie. Und dazu sei es notwendig den routinierten, eingeschliffenen Sprachgebrauch aufzubrechen.
Aber wir kann es einer Autorin gelingen, über den eigenen Schatten zu springen? Den Setzkasten der benutzten Wendungen aufzubrechen? „Ich erzwinge den Zufall“, erklärt sie. „Ich nehme den Klang und abstrahiere ihn vom Sinn.“ Eine lyrische Methode, die durchaus in der Tradition der Wiener Gruppe um H. C Artmann und der Entwicklung von Lautpoesie und visueller Lyrik steht.
„Beutesprache“
Rinck schärft das Ohr für trügerische Sinnkonstrukte. Und die kommen mit der Perfektionierung der Künstlichen Intelligenz massiv auf uns zu. „Beutesprache“ nennt sie die Ergebnisse der KI. Einer Technologie, die alles im Griff hat. Denn was nicht passt, das wird von ihr halt passend gemacht, egal ob die Ergebnisse dann jeder Wahrheit entbehren.
Die Literatur stellt Verfahren zur Verfügung, um den Zufall herzustellen. Die Frage für die Autorin lautet: „Wie entkomme ich mir?“ Anhand eines Sketchs von Karl Valentin und Liesl Karlstadt demonstrierte Monika Rinck den Unterschied zwischen Koinzidenz – die eine Situation schlüssig in Kausalität auflöst – und dem Zufall mit seinem überraschend kreativen Potenzial.
Der rumänische Schriftsteller und Dadaist Tristan Tzara zerschnippelte dazu Zeitungsartikel und setzte sie zu einem neuen Gebilde zusammen. Für Monika Rinck ist es die Müdigkeit, die ihr zur Hilfe kommt, um mit „der Erschöpfung das Fremde in einem“ hervorzulocken. Erst dann eröffnet sich ihr die Chance, „das in Betracht zu ziehen, was ich nicht kontrollieren kann“.
Worin liegt der Gewinn dieser Methode? Dass sich Denkräume öffnen, die sich nicht steuern lassen. Kontrolle nimmt in der digitalen Welt zu. Digitale Medien sind grundsätzlich als deren Werkzeuge angelegt. Entwickeln können sich Menschen aber vor allem in Räumen, die sich der Beaufsichtigung entziehen. Eine Erkenntnis, die sich von Werner Heisenbergs Unschärferelation bis in die aktuelle Entwicklungspsychologie zieht.
Monika Rinck kämpft in ihrer Poetologie um diesen Raum der Inspiration, der Ungedachtes ermöglicht und dadurch nicht ohne Risiko bleibt. Auch Verbotenes darf hier entfesselt werden. Dazu erfindet sie den Begriff des „zufallsverkneiften Unbewussten“, das uns daran erinnert, dass wir uns noch so anstrengen können, letztlich kann niemand den Status des Herrn im eigenen Haus für sich beanspruchen.
Neue ästhetische Wege
Die Studierenden dürften gespannt darauf sein, welche Methoden des Zufalls ihnen Monika Rinck ans Herz legen wird. Denn die üblichen Forderungen an die Lyrik, dass sie Zugänglichkeit und Teilhabe ermögliche, wird hier niemand eingelöst bekommen, wie die neue Professorin in ihrer Vorlesung gleich mit ihrem Auftreten unmissverständlich demonstriert. Aber die KHM wird eben auch dafür geschätzt, dass man dort ein Denken lehrt, mit dem sich neue ästhetische Wege beschreiten lassen.