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Kulturliste in KölnDas Prinzip der „Tafeln“ wird hier für die Kultur umgesetzt

Lesezeit 5 Minuten
16.4.2024

Felix Mauser (Freier Kulturmanager und Agent aus Köln) im Interview bezüglich der Teilhabe an Kunst und Kultur für Menschen mit wenig Geld über die Kölner Kulturliste

Projektleiter Felix Mauser arbeitet ehrenamtlich für die „Kulturliste“, eine Art Tafel für Konzert- oder Theaterkarten.

Die „Kulturliste Köln“ ermöglicht es finanziell benachteiligten Menschen, Kulturerlebnisse zu genießen. Mit diesem Ansatz vermitteln Freiwillige ungenutzte Tickets von 95 Kulturpartnern an registrierte Gäste.

Als Felix Mauser 17 Jahre alt war, las ihm seine Mutter zu Hause in München einen Artikel aus der Zeitung vor, der eine damals noch ungewöhnliche Aktion beschrieb: Lebensmittel, die nicht mehr gebraucht wurden, sollten nicht in den Müll wandern. „Ich weiß noch genau, wie sie beim Frühstück davon erzählt hat.“ Die Idee kam aus New York, und der Artikel berichtete, davon, dass überflüssige Nahrungsmittel nur zwei Häuserblocks weiter dringend gebraucht wurden.

In München gründete Vera Mauser die Tafel mit, die im Sommer nun ihr 30-jähriges Jubiläum feiert. 700 Mitarbeiter bewegen mittlerweile wöchentlich 140 Tonnen Lebensmittel im Stadtgebiet. „Die Notwendigkeit ist gestiegen. Das ist die eigentliche Schande, dass wir in einem so reichen Land leben, und dass es so etwas wie die Obdachlosigkeit überhaupt gibt. Wenn die Hilfen nicht privat initiiert würden, müsste der Staat das machen. Aber deswegen sollte man trotzdem nicht die Hände in den Schoß legen.“

Kommunikation und Teilhabe

Wie die Mutter, so wurde auch der Sohn, der als Redner arbeitet, sozial aktiv und ist heute ehrenamtlich Projektleiter beim Verein „Kulturliste Köln“, der im letzten Sommer den Ehrenamtspreis der Stadt erhielt. Kultur, so ist Mauser fest überzeugt, ist ein weiteres Nahrungsmittel, das der Mensch geistig dringend benötige, aber auch aus Gründen der Kommunikation und Teilhabe.

Ähnlich wie bei der Tafel vermitteln bei der Kulturliste rund 20 Ehrenamtliche Karten für Angebote aus unterschiedlichsten Häusern an Menschen weiter, die sich den Besuch im Theater, der Oper oder in der Philharmonie sonst nicht leisten könnten. „Da wir 95 Kulturpartner vom kleinsten Kellertheater bis zur Lanxess-Arena, vom Circus Roncalli bis zur lit.Cologne haben, sind wir natürlich im Vorteil in einer Millionenstadt wie Köln“, sagt Mauser.

Die Resonanz ist für ihn und seine ehrenamtlichen Kollegen jedes Mal ein Grund, weiterzumachen: „Da erklären Eltern, dass ihr Kind noch nie ins Theater gehen konnte. Viele leben zehn Tage vor Monatsende von Kranwasser und Knäckebrot.“ Und die Armut gehe in der Regel auch mit Einsamkeit einher. „Also, wenn ich mich nicht mit Freuden verabreden kann, weil mir die 7,50 Euro für ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee fehlen, dann ziehe ich mich eben zurück. Und das tun viele.“

Kulturliste: Nutzer sagen, was sie gerne mögen

Genau da solle der kostenlose Kulturgenuss gegensteuern. Man könne aus dem Vollen schöpfen. Für derzeit rund 600 Gäste, die bei der Kulturliste angemeldet sind, sei eigentlich immer etwas dabei. Ihre Präferenzen geben sie an, ihre persönlichen Daten werden laut Mauser sehr sensibel behandelt. „Jeder, der uns seinen Rentenbescheid oder seinen Kölnpass schickt, kann sicher sein, dass die Informationen nicht nach draußen dringen.“

Dass Karten nicht verfallen, sei auch für Veranstalter und Künstler wichtig. Denn keiner wolle vor nur halb vollen Sälen spielen. „Wir sitzen im Kino, im Theater oder in der Oper und sagen uns, ist doch schade, dass die 200 freien Plätze nicht genutzt werden“, sagt Mauser.

Der bürokratische Aufwand sei relativ gering: „Das Theater zum Beispiel meldet zwei Wochen vorher das Kontingent an freien Karten an, das tragen wir dann in unser Computersystem ein.“ Die Mitarbeiter des Theaters bekämen 24 Stunden vorher eine Gästeliste und müssten diese nur an die Abendkasse legen. „Und auch das ist wichtig, niemand wird stigmatisiert. Wer an die Abendkasse kommt, sagt nicht einmal das Stichwort Kulturliste, sondern nennt seinen Namen, und dass er auf der Gästeliste steht. Das Personal an der Kasse weiß nicht, ob es sich um den Freund des Hauptdarstellers handelt, einen akkreditierten Journalisten oder ob es einer von uns ist“, so Mauser. Die Gäste könnten gesichtswahrend kommen und bekämen die Karten in der Regel doppelt, so dass sie auch jemanden mitbringen dürften, der womöglich nicht Kunde der Kulturliste sei. Das nutzten viele als Dankeschön für Unterstützung aus dem Umfeld.

Kulturliste Köln: „Die Leute waren einfach nur glücklich“

Als Ende vergangenen Jahres ein Kölner Ehepaar anonym 400 Karten für die Philharmonie an Bedürftige und ältere Menschen verschenkte, erhielt der Gedanke des kostenlosen Kulturgenusses breite Resonanz. Christof Wild, der als Fachberater in der offenen Seniorenarbeit im Paritätischen Verband arbeitet, schrieb insgesamt 66 Seniorennetzwerke an. „Die Leute waren einfach nur glücklich“, weiß Charitini Petridou vom Seniorennetzwerk der Johanniter in Zündorf.

Wild selbst hatte über 200 Karten vermittelt. „Bis auf eine“, sagt er. Die habe er an dem Konzertabend einem überglücklichen Studenten gegeben, der aber wieder umkehren musste, da an der Garderobe seine kostbare Geige nicht abgegeben werden durfte.

Für Felix Mauser steht fest, dass keine Karte, die die Kulturliste erhält, verfallen darf. Sollte das doch der Fall sein, dass jemand unentschuldigt der Veranstaltung fernbleibe, werde er beim wiederholten Verstoß gegen die Regel von der Liste gestrichen.

Berührungsängste mit der Kultur wollen Mauser und seine Kollgen den Kunden nehmen. Daher hat der Verein ein Infobuch herausgegeben, das die Barrierefreiheit der Museen, Konzerthäuser oder Theater auflistet. Unter anderem steht dort, ob Assistenzhunde zugelassen sind.


Neue Wahlpreisstruktur

Beim Festival „Acht Brücken“ (4. bis 12 Mai) ist die Wahlpreisstruktur neu: Ausgehend vom Normalpreis gibt es die Kategorien „Schnuppern“ für diejenigen, die sich aufgrund der Kosten scheuen, Neues auszuprobieren, „Dabeisein“ für Menschen, die weniger Geld für Konzerte ausgeben können, „Unterstützen“ für Publikum, das das Festival unterstützen möchte, und „Brückenbauen“ für diejenigen, die sich mit Menschen solidarisch zeigen, die knapper bei Kasse sind.

Bei der KölnMusik erhalten Schüler, Studierende und Auszubildende unter 29 Jahren Schwerbehinderte sowie Köln-Pass-Inhaber 25 Prozent Rabatt auf Konzertkarten. (EB)