John Cale begeisterte mit einem Konzert in Köln. Seine legendäre Musikgeschichte beeindruckt bis heute seine Fans.
Konzert von John Cale in KölnIm Carlswerk von Song zu Song verjüngt

John Cale im Carlswerk Victoria.
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Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn ein erwartbarer Höhepunkt eines Konzertes schon nach dem ersten Drittel erklingt – dann kann es nur noch weitere Steigerungen geben. Kein John-Cale-Konzert ist komplett ohne einen Besuch im „Heartbreak Hotel“, in dessen staubigen Fluren sich einiges Pathos angesammelt hat.
Schwelgerische Interpretation
Bei einem Kölner Konzert in den frühen 90er Jahren stand sogar einmal ein veritabler Konzertflügel auf der Bühne, um die gebrochenen Akkorde klingen zu lassen wie das zerborstene Herz, das sie beschreiben. Im Mülheimer Carlswerk Victoria reichte Cale ein Keyboard und ein mit dem Bogen gespielter E-Bass im Hintergrund für eine weniger dramatische, aber dafür schwelgerische Interpretation.
Die Verehrung, die ausgerechnet einer der Pioniere des Avantgarde-Rock für den Elvis-Presley-Hit hegt, kann man kaum als typisch-britischen Spleen abtun. Wer wie Cale ein klassisches Musikstudium am Londoner Goldsmith-College absolviert hatte, bevor er 1963 mit einem Leonard-Bernstein-Stipendium New York eroberte, um gleich mit einem Klang-Revolutionär wie John Cage zu arbeiten, entdeckte den Rock’n’Roll aus einer künstlerischen Perspektive.
Man kann sich heute schwer vorstellen, wie getrennt diese Welten damals waren, bevor sie Pioniere wie John Cale vereinten. Auf der aktuellen Tournee begleitet ihn ein namentlich leider ungenanntes Trio. Wie mögen sich die jungen Leute allabendlich fühlen, die hier gewissermaßen auf den Stühlen von Velvet Underground sitzen, der vermutlich einflussreichsten Rockband seit den Beatles? Der heute 83-jährige gebürtige Waliser Cale zählte 1965 zu ihren Gründungsmitgliedern, seine Karriere umfasst gut sechzig Jahre.
Von Andy Warhol unter die Fittiche genommen
Verbeugungen vor der einstigen Underground-Formation, die Andy Warhol unter seine Fittiche nahm, sind bei Cale-Konzerten allerdings nicht selbstverständlich. Nun aber durfte man sich beschenkt fühlen mit einer epischen Version von „I’m Waiting For My Man“, dem von Lou Reed geschriebenen Markstein des ersten Velvet-Underground-Albums. Es war obligatorisch bei der Band, und sowohl Reed als auch Cale verewigten es in ikonischen Live-Versionen.
Offensichtlich im Bewusstsein des historischen Moments steigerte sich Cales Band in einen psychedelischen Groove, und das Publikum im bestuhlten Saal hätte es wohl von den Sitzen gerissen, wäre es nicht zugleich vor Ehrfurcht erstarrt. Das also war der finale Höhepunkt, für den das verfrühte „Heartbreak Hotel“ Platz geschaffen hatte. Wegen einer Erkrankung hatte Cale das Kölner Konzert kurzfristig verschieben müssen, und etwas gebrechlich wirkte er schon, als er nach einer ausgedehnten, vom Band abgespielten Minimal-music-Ouvertüre aus Harmonium und Elektronik die Bühne betrat.
Nur für den Auftakt, den peitschenden Rocksong „Shark Shark“ aus dem neuen Album „Poptical Illusion“, hängte er sich eine Gitarre um – seine Meisterschaft auf der Bratsche bleibt den Kölnern gänzlich vorenthalten. Im Anschluss bleibt sein Platz sitzend am Keyboard, nun dirigiert er nicht mehr die Band, die ihm blind folgt, sondern das Publikum – durch sein Charisma. Ein kaum bekannter Song, „Captain Hook“ von einem 1979er Live-Album, scheint thematisch logische Anknüpfung an das kapitalismuskritische Lied vom Hai zuvor.
Zeitlose Songs
Peter Pans Erzfeind gelten Cales Sympathien. „Ich bin der Kapitän dieses Lebens“, lässt er ihn sinnieren, „aber ich kann nicht mehr so weiter“. Der 83-jährige, dessen letztjähriges Album „Mercy“ schon als würdiger Karriere-Abschluss hätte gelten können, geht dagegen nicht freiwillig vor Anker. Seine Stimme ist so voll wie immer, auch Kadenzen noch oben gelingen ohne Anstrengung. Von Song zu Song wirkt er verjüngt, als spiele das bei seinen zeitlosen Liedern überhaupt eine Rolle. Wenn eine Ära zu Ende geht, geschieht das nicht über Nacht.
Aber wie lange kann man noch die Pioniergeneration anspruchsvoller Rockmusik erleben? Wer ein solches Konzert besucht, ist sich der Endlichkeit bewusst; Bob Dylan ist 83, Paul McCartney 82. Ein Nostalgiker aber ist John Cale nie gewesen, die einzige Hommage an vergangene Zeiten in dieser schnörkellosen und gänzlich unsentimentalen Show gilt einer gebürtigen Kölnerin, der Velvet-Underground-Sängerin Nico. Cale interpretiert liebevoll ihr eisig-surreales „Frozen Warnings“ aus dem 1968er-Album „The Marble Index“, das er seinerzeit selbst arrangiert hatte.
Nun macht auch das Harmonium der Konzert-Ouvertüre nachträglich einen Sinn; schließlich war es dieses Instrument, das Nicos Stimme in der Originalaufnahme ihren sphärischen Umraum gegeben hatte. In hinreißenden Interpretationen seiner eigenen Songs verwischt Cale in diesem denkwürdigen Konzert alle Epochen der von ihm mitgeprägten Musikgeschichte und lässt sogar ein Nebenwerk wie „Villa Albani“ wie ein psychedelisches Juwel erstrahlen – eigentlich ein Funk-Rock-Stück aus dem fast vergessenen Album „Carribean Sunset“.
Wer wird beklagen, dass seine Kölner Konzerte früher zehn Stücke mehr umfassten? Nach rund 100 Minuten sagt er: „See you soon“. Abschiedstourneen klingen anders.