Herbert Grönemeyer feiert mit seinen Fans drei Abende lang 40 Jahre 4630 Bochum im Bochumer Ruhrstadion.
Konzert mit Herbert GrönemeyerWarum im Bochumer Ruhrstadion die Tränen flossen
„Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt…“. Das ist die Zeile, auf die alle gewartet haben. Die Fans haben sich ohnehin schon erhoben, tausende VfL-Schals in den Abendhimmel gereckt für die ersten beiden Strophen des „Steigerlieds“.
Herbert Grönemeyer kennt die Rituale im Ruhrstadion, die Traditionen und die Seele seiner Heimat. Jetzt also „… ist es besser, viel besser als man glaubt.“ Zwei Lieder, zwei Hymnen, zwei ganz große Stücke Heimat sind das. Tränen fließen.
Herbert Grönemeyer ist nach neun Jahren heimgekehrt nach Bochum und feiert mit seinen Fans das 40. Jahr seines Rekord-Albums „4630 Bochum“ (sprich, ganz wichtig: „Vier sechs drei null“). Vier Abende in Folge ist das Ruhrstadion ausverkauft, das „Wohnzimmer der Unabsteigbaren“, wie er sagt.
Werkschau und Statusbestimmung
Immer wieder erzählt der 68-Jährige über sich und Bochum, übers Älterwerden, über erhaltene Kritik („der singt so komisch, den versteht man nicht“), und zieht dabei das Narrativ vom Jungen aus dem Pott durch, der es trotz allem geschafft hat und sich selbst und den Wurzeln treu geblieben ist. So ist das Konzert Werkschau und Statusbestimmung.
Grönemeyer legt mit einer Auswahl an Hits aus verschiedenen Jahrzehnten los. „Kopf hoch, tanzen“, „Mensch“, den rockenden „Vollmond“, das zornige „Was soll das“, das traumschöne „Halt mich“ sind darunter.
„4630 Bochum“ in voller Länge
Dann gibt's einmal das komplette Album „4630 Bochum“ in Originalreihenfolge zu hören, inklusive der – wie Grönemeyer sagt – „Schrottlieder“. Selbstironie, die er als „keine große Errungenschaft der Deutschen“ bezeichnet, hat Grönemeyer zusätzlich zur Spielfreude und am Feuer der Nostalgie entzündeten Herzenswärme jede Menge mitgebracht.
„Ich kann hervorragend singen, das werd' ich euch beweisen!“, verspricht er gut gelaunt. Das „komisch Singen“, das „Grönen“ also, das Genuschel, das Vokalisieren und Gurgeln, kultiviert er mit Genuss, denn wo es ihm drauf ankommt, bei den Balladen etwa, ist er selbstverständlich textklar. Der Stadion-Sound ist trotz Echo aus der Westkurve ausgezeichnet.
Der Stimme hört man das Alter kaum an
So unterschiedlich die Songs, so unterschiedlich auch die Besetzung der Band, die mit E-Gitarren, mit Saxofon, Akkordeon, rollendem Bass oder auch als Akustik-Ensemble immer wieder andere Klangfarben findet.
Grönemeyer tanzt, hüpft, saust, stolziert über die Bühne und auf einen langen Steg in die Menge, machte Fliegerbewegungen, ist agil und fit, und auch der Stimme hört man das Alter kaum an.
Getan hat sich natürlich dennoch einiges. Die Gruben sind zu, der Staub fort, Schallplatten sind genauso Sammler- und Erinnerungsstücke geworden wie Grubenlampen. Im Stadion gibt's WLAN, die Stadt ist vor Arbeit nicht mehr ganz so grau.
Gut gealterte Texte
Grönemeyers Texte haben sich erstaunlich gut gehalten – es gibt immer noch Staus („Mambo“) und was „Männer“ ausmacht, wird heute noch viel intensiver verhandelt als damals. Der junge Schauspieler und Musiker hat 1984 das kohlenschwarze Lebensgefühl des ganzen Reviers eingefangen.
Ein altes Gefühl ist das, ein tiefgehendes, wärmendes, unverhandelbares Gefühl von Zugehörigkeit, Aufrichtigkeit und vom stolzen Gesehenwerden in eben diesem Zustand, vom Glück des So-Seins. Grönemeyer, oder wie man in Bochum sagt, „der Herbert“, macht es auch für die spürbar, die weder zeitlich noch räumlich dabei waren, als im Westen die Sonne verstaubte. Und tief aus der Seele geschriebene Liebeslieder wie „Für dich da“ oder „Flugzeuge im Bauch“ sind immer relevant.
Überraschungen im Zugabenblock
Das vermeintliche Konzert-Ende nach dem letzten Lied aus „Bochum“ ist natürlich nur Show. Der Zugabenblock dauert mehr als eine Stunde und bringt nochmal Überraschungen, etwa den Gast von der Vorband Jeremias, der „Mambo“ neu interpretiert.
Grönemeyer spielt mit dem Publikum, lässt singen und tanzen („Zeit, dass sich was dreht“) und schafft es dennoch, bei „Mein Lebensstrahlen“ oder „Der Weg“ oder „Immerfort“ ergriffene Stille zu erzeugen.
Und endlich die „Currywurst“
„Currywurst!“, ruft jemand von der Nordtribüne in die Stille vor der dritten Zugabe – Grönemeyer serviert prompt. Ein herrlicher Moment, genau wie das „Bochumer Jungenlied“ und weil's so schön ist ein zweites Mal „Bochum“.
Auf die Gefahr hin, dass er es als Kritik auffasst und im nächsten Konzert darüber ironisiert: Herbert Grönemeyer, das wird überdeutlich, hat Volkslieder geschrieben. Lieder, die über eine Platte, ein Konzert und sogar über den Künstler selbst hinausreichen, die sich die Menschen generationenübergreifend zu eigen gemacht haben und in den Herzen tragen. Das gelingt nur ganz wenigen. Glück auf, Herbert!