Die Attacke von Hannover zeigt: Der Kulturbetrieb verliert seinen Nimbus. Ein Kommentar von Stefan Lüddemann
Kommentar zum Ballet-ChefWarum die Hundekot-Attacke keine Ausnahme, sondern ein Symptom ist
Glaube, Liebe, Hoffnung. Die christlichen Kardinaltugenden, ausgerechnet. Das Tanzstück, das Wiebke Hüster in Hannover anschauen will, trägt einen lammfrommen Titel. Doch dann pöbelt Tanzchef Marco Goecke die Kritikerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) im Foyer an, schmiert ihr nach Medienberichten Hundekot ins Gesicht. Eine Hässlichkeit im Reich des schönen Scheins, eine rüde Handgreiflichkeit, wo es um das interesselose Wohlgefallen gehen soll.
Eine Ausnahme? Nein, ein Symptom. Frank Rieger, Landesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands in Niedersachsen, spricht von einer Attacke auf die Pressefreiheit, die FAZ vom „Einschüchterungsversuch gegenüber unserer freien, kritischen Kunstbetrachtung“.
Journalisten müssen in vielen Teilen der Welt um ihr Leben fürchten. Berichterstatter, die hierzulande Aufmärsche von Querdenkern begleiten oder Demonstrationen vor Flüchtlingsunterkünften, müssen mit Handgreiflichkeiten rechnen.
Die Attacke von Hannover zeigt: Der Kulturbetrieb verliert seinen Nimbus, als Sphäre der freien Äußerung eine Alternative zu all dem zu sein, was in der Gesellschaft falsch läuft.