Kölns neuer Kulturdezernent Stefan Charles„Köln ist wie geschaffen für Kultur“
- An seinem zweiten Arbeitstag besuchte der frisch gebackene Kulturdezernent Stefan Charles die Kölnische Rundschau und stellte sich den Fragen der Redaktion.
- Er spricht im Interview über seine Jugend als Schlagzeuger, Bauprojekte und das Potenzial Kölns
Wenn wir uns in drei Monaten zur Bilanz nach den ersten 100 Tagen treffe, was können Sie uns dann berichten?
Ich hoffe viel Gutes und über erste Erfolge. Bis dahin möchte ich vieles kennenlernen, mit vielen Leuten sprechen, mein Netzwerk flechten. 100 Tage sind eine ordentliche Strecke, so dass man wirklich schon etwas erreichen kann.
Gibt es schon etwas, von dem Sie denken, dass Sie das bis dahin erreichen könnten?
Am zweiten Arbeitstag ist das noch zu früh. Aber es gibt viele Herausforderungen, einerseits bei den städtischen Kultureinrichtungen, andererseits bei der freien Szene. Und im Kulturentwicklungsplan steht schon vieles. Mir geht es jetzt darum, in den ersten Gesprächen zu überprüfen, wo stehen wir, was funktioniert, was funktioniert nicht? Und wie gelingt es uns, dass es funktioniert. Das möchte ich nicht im Alleingang machen, sondern mit denjenigen, die betroffen sind. Am zweiten Tag wäre es vermessen, wenn ich sagen würde: So wird das ausschauen.
Wie sind Sie zur Kultur gekommen?
Mich hat als sehr junger Mensch die Musik fasziniert. Mit 13 habe ich meine erste Band zusammen gestellt. Der Grund war nicht so sehr die Musik, es war dieses Rausgehen, der soziale Aspekt, dass man als Gruppe etwas kreieren konnte. Dumm war – ich war Schlagzeuger und wir haben in Punk-Lokalen gespielt. Nach jedem Konzert wurde mein Schlagzeug zertrümmert ich musste mir als Zeitungsjunge immer wieder ein neues Schlagzeug zusammensparen.
Also war das erst einmal kein durchschlagender Erfolg.
Daher habe ich mir gedacht, ich werde Sänger. Ich habe Songs geschrieben, später für den Verlag. Das hat mich als Musikautor interessiert. Ich fand den Prozess spannend. Als ich an der Züricher Hochschule der Künste die Masterstudierenden unterrichtete und gemeinsame Produktionsflächen entwickelt habe, kam ich zu Theater, Tanz, Musik und Industrial Design. Das fand ich sehr spannend. Dass ich anschließend zur Bildenden Kunst an Museen ging, war eher Zufall. Nun bin ich breit aufgestellt, kenne viele Sparten und Protagonisten.
Nah am Neumarkt
Stefan Charles, 54, kommt aus der Schweiz und zieht Mitte Oktober in die Nähe des Neumarkts. Irritiert habe ihn, dass er nicht wusste, wann er beginnt. Beim Nominierungsverfahren holperte es. Die Bezirksregierung kritisierte die Besetzung der Findungskommission. Das hatten die Linken moniert. Die Aufsichtsbehörde zog ihr zunächst erteiltes Okay zurück und kündigte eine Prüfung an. Eine Findungskommission soll laut Richtlinien die Mehrheitsverhältnisse im Rat spiegeln, dann müssten Oppositionspolitiker vertreten sein. Die Bezirksregierung monierte Teile des Verfahrens, sah aber keine Gründe, Charles' Ernennung zu verhindern. (EB)
Sie erzählten jüngst, dass Sie vom Land kommen.
Geboren bin ich in Kerzers im Freiburger Seebezirk, aber meine Eltern sind alle zwei Jahre umgezogen, mit Sack und Pack. Keine Ahnung, was sie geritten hat – es war wirklich der Wahnsinn. Ich habe sechs Geschwister.
Was hat Sie bewogen, sich in Köln als Kulturdezernent zu bewerben?
Ich bin tatsächlich einer der Kandidaten, die angefragt worden sind. Ich kannte Köln nur flüchtig. Aber meine Frau hat hier Architektur studiert und gearbeitet und kennt die Stadt sehr gut. Aus meiner Zeit in der Musik kenne ich Köln durch die PopKomm, das Label Kompakt – die Stadt ist sehr innovativ im Bereich Elektronische Musik für ganz Europa. Während meiner Arbeit am Kunstmuseum Basel gab es Verbindung zum Museum Ludwig. Die jetzige Chefin des Kölnischen Kunstverein, Nikola Dietrich, war in Basel für die Gegenwart zuständig. Und ihr Vor-Vorgänger Søren Grammel war auch dort. Mir war klar, dass Köln in verschiedenen Kultursparten sehr stark ist.
Was sind ihre ersten Eindrücke von Köln?
Es ist wie geschaffen für Kultur. Wenn man aus Zürich kommt, ist es absolut wohltuend. Hier kann man Kunst machen und Kultur. Es fühlt sich echt an, hier lebt man. Es ist nicht alles weggeputzt. Im Guten wie im Schlechten. Ich meine nicht den Müll auf der Straße, aber man kann hier wirklich leben. Man sieht die Unterschiede zwischen den Menschen, das Individuelle. Das ist der beste Nährboden für alles, was kreativ ist. Für mich ist das die Kunststadt in Deutschland.
Gibt es einen besonderen Kulturort, der Sie anspricht?
Ich will alles sehen, will nicht nur die Führungen mit dem Direktor, das Schönwetterprogramm. Ich will mir auch das Lager ansehen. Ich gehe gerne mit einem Restaurator herum und der erklärt mir, wie die da arbeiten. Ich werde mir soviel wie möglich anschauen, muss das Programm einfach kennen. Zumindest punktuell will ich mir auch außerhalb von Köln etwas anschauen. Denn ich muss auch wissen, wo die guten Talente sind.
Was wollen sie für Impulse setzen?
In Köln gibt es einen wahnsinnig guten Nährboden für Künstlerinnen und Künstler, weil die Förderung schon richtig gut ist. Aus meiner Zeit an der Zürcher Hochschule kenne ich es, dass alle am Tag ihres Abschlusses ihr Ticket nach Berlin gebucht hatten, weil sie in Zürich gar nicht existieren konnten. Und wenn ich heute sagen würde, kommt nach Köln, würden sie das tun. Es gibt hier eine kulturelle Dichte, die einzigartig ist.
Von Ihrer Position als Außenstehender betrachtet, was ist in letzter Zeit in Köln gut gelaufen. Und wo hätten Sie anders gehandelt?
Ich kann keine Beurteilung meiner Vorgängerin vornehmen, dafür kenne ich ihre Arbeit viel zu wenig. Aber in der Kulturpolitik und bei größeren Projekten sind viele Dinge sehr komplex, es gibt viele Abhängigkeiten von einander, das lineare Gehen von A nach B ist manchmal nicht möglich. Man muss immer in anderen Varianten denken, muss die Leidenschaft, die man für Projekte hat, auch auf andere überspringen lassen. Das wird meine Aufgabe sein.
Was ist dringend notwendig?
Ich glaube, dass das Potenzial Kölns außerhalb nicht immer wahrgenommen wird. Das muss mehr nach außen kommuniziert werden. Es gibt viele gute Möglichkeiten anzupacken. Wenn ich mir die Verwaltung anschaue, muss natürlich versucht werden, die Prozesse so agil zu gestalten, dass sie für die Herausforderungen, die jetzt kommen, bereit ist. Stichwort Digitalisierung oder Nachhaltigkeitsthemen.
Haben Ihnen die vielen Kulturbaustellen in Köln keine Angst gemacht: die Bühnen, Museen, die über Jahre geschlossen sind, der Neubaukomplex Historische Mitte?
Nein. Ich war schon in vielen großen Bauvorhaben involviert, immer Teil der Projektleitung. Man muss lernen, dass das Prozesse sind und wir müssen den Blick davon lösen, nur die negativen Dinge zu sehen. Wir müssen der Stadtbevölkerung noch einmal transparent machen: Wo wollen wir hin? Wie sieht die Planung aus? Und warum ist es nicht so, wie es geplant war?
Die Kostenexplosion ist ja fast ein traumatisches Erlebnis für die Stadt. Und wenn der Offenbachplatz einmal fertig ist, sind wir dann einfach nur fertig geworden und können einen Haken dran machen?
Wichtig ist, dass es jetzt mit Bernd Streitberger jemanden in der Projektleitung gibt, der die Verantwortung übernimmt, dass man es so abwickeln kann, wie man es jetzt plant. Und der die Erfahrung hat, zu erklären, wie mit Veränderungen, die entstehen können, umzugehen ist.
Ich bin überzeugt, dass die Kölnerinnen und Kölner hinterher sehr stolz darauf sind. Diese Bauten sind ja darauf angelegt, dass man das große Kulturevent feiert, mit der großen Treppe, dem schönen Abendkleid. Wichtig ist aber auch, dass man es anschließend auch gut bespielt.
Sie kommen jetzt nicht nach Köln und sagen, ich mache ein bisschen Kultur, das mit dem Bauen und den Museen machen andere.
Nein, ich habe Kollegen im Baudezernat und bei den Bühnen und wir müssen das gemeinsam machen und nicht die Arbeit hin und her schieben.
Bei der Verleihung der Jabach-Medaille hielten Sie Ihre erste Rede und sprachen von möglichen Donnerwettern, die sicherlich irgendwann aufziehen. Hören Sie es schon irgendwo knistern?
Nein! (lacht). Mich haben viele Leute gefragt, ob ich durch die politischen Turbulenzen im Zusammenhang mit der Ernennung verunsichert war. Aber das war ich nicht: Zum einen hat Frau Reker mich immer wieder informiert, über das was vorgeht. Zum anderen kenne ich schwierige Situationen. Als ich beim SRF angefangen habe, war die erste große Hürde die Volksabstimmung über die Abschaffung der Rundfunkgebühren. Aber in Köln haben mich alle Leute, die ich bis jetzt kennengelernt habe, mit offenen Armen empfangen. Und wenn einmal Gewitter kommen – und die müssen kommen, in der Kultur und in der Politik sowieso – dann habe ich immer noch die schönen Momente der Kunst, die mich versöhnen.
Ihre Vorgängerin war am Ende großer Blitzableiter. Es könnte auch für Sie ungemütlich werden, wie schläft es sich mit dem Gefühl?
Meiner Erfahrung nach ist vieles möglich, wenn man die richtigen Leute an den Tisch holt und die Dinge gut argumentiert. Menschen lassen sich überzeugen. Ich habe keine Angst vor schwierigen Entscheidungen. Bei meinen Vorüberlegungen, den Job anzunehmen, habe ich mich gefragt: ,Kann ich für die Kultur in Köln etwas bewirken?‘ Wenn ja, dann mache ich es! Ich habe das Gefühl, dass es hier viele Menschen gibt, die Dinge, die ins Stocken geraten sind, wieder in Gang bringen wollen. Keiner hat die Idee, dass Herr Charles das alleine wuppen muss. Ich schlafe gut.
Gab es bei den Verhandlungen Forderungen, zum Beispiel Erweiterung des Kulturetats?
Jede Kölnerin und jeder Kölner zahlt täglich etwa 50 Cent für die Kultur. Ich finde, man kriegt ziemlich viel dafür in Köln. Ich werde engen Kontakt zu Berlin und dem Land RW suchen, und zu den Stiftungen. Da ist noch nicht alles ausgeschöpft. Kultur lebt nicht nur vom Geld, sondern auch von anderen Dingen.
Es ist ihr erster Job in einer Verwaltung. Das wird häufig als kritischer Punkt gesehen.
Ich muss ja nicht Anwalt der Verwaltung werden, ich bin Anwalt der Kultur, das ist ja viel wichtiger. Und ich habe ein Team mit Profis, die mir helfen werden. Es braucht jetzt eine steile Lernkurve, dass ich das alles in den Griff bekomme.
Ihr Vorvorgänger Georg Quander kam von der Oper, die Mutter ihrer Vorgängerin war Opernsängerin und Sie sind jetzt der, der von der Popmusik kommt.
Ich bin mit allem groß geworden, was schrecklich war und was meine Eltern nicht gut fanden, es musste hart und laut und zerstörerisch sein, dann war es irgendwie gut. Heute höre ich mir ganz viele neue junge Künstlerinnen und Künstler an, das macht am meisten Spaß. Gerade im Bereich Hip Hop spüre ich die stärkste Entwicklung und nehme die gesellschaftlichen Umstrukturierungen am stärksten war. Die Diskussion im Deutschrap, was geht und was nicht, ist spannend. Billie Eilish finde ich sehr gut, habe ihr erstes Konzert in Europa erlebt. Sie war 16 oder 17 und man hat gesehen, was für eine Qualität das ist, wenn jemand selbst schreibt und aus dem Herzen Musik macht. Es werden immer wieder neue Persönlichkeiten entstehen und ich bin sehr an neuen Sachen interessiert. Dass es Menschen gibt, die sich nur am Rande ihrer Jugend mit Kunst und Kultur beschäftigen und sich dann nicht weiterentwickeln, ist für mich kaum nachzuvollziehen.
Wie wollen Sie sich Ihre jetzige Leidenschaft bewahren?
Wenn man zermürbt ist, heißt das, dass man nicht erfolgreich ist. Mein Gegenmittel ist, Ziele zu erreichen und auch kurzfristige Ziele zu stecken. Beispielsweise über den Neumarkt wird viel diskutiert, darüber, wie ein Ort in der Stadt angenommen wird . Da kann die Kunst etwas zu beitragen. Wir müssen den Blick nicht nur auf die Einrichtungen richten, sondern auch auf den öffentlichen Raum, damit wir Kultur für jede und jeden erlebbar machen. Ich finde, das macht totalen Spaß, den werde ich mir nicht verderben lassen. Dann sitze ich auch in drei Jahren noch hier und versprühe Zuversicht.