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„Ich ordne meine Noten sehr gewissenhaft“Kölns künftiger Generalmusikdirektor Andrés Orozco-Estrada spricht über das Gürzenich-Orchester

Lesezeit 5 Minuten
Andrés Orozco-Estrada im Gespräch

Der künftige Generalmusikdirektor Andrés Orozco-Estrada freut sich auf Köln.

Am 4. April ist Andrés Orozco-Estrada mit dem Gürzenich-Orchester zu hören, dessen Kapellmeister er ab 2025 ist. Jan Sting sprach mit dem 46-Jährigen.

In Kolumbien aufgewachsen kam Andrés Orozco-Estrada als junger Mann nach Wien und wurde einer der bedeutendsten Dirigenten seiner Generation. Am 4. April ist er mit dem Gürzenich-Orchester zu hören, dessen Kapellmeister er ab 2025 ist.

Vor gut einem Jahr wurden Sie als künftiger Generalmusikdirektor der Stadt und als Kapellmeister des Gürzenich-Orchesters vorgestellt. Wie haben Sie die Arbeit des Orchesters seither verfolgt?

Ich verfolge mit großem Interesse die Arbeit des Gürzenich-Orchesters und insgesamt, was in Köln musikalisch geschieht, aber es ist noch einige Zeit hin, bis ich 2025 das Orchester übernehme. Deswegen ist das Konzert am 4. April umso spannender für mich, weil dabei die Beziehung zum Orchester so organisch wie möglich aufgebaut werden kann.

Haben Sie das Programm zusammengestellt?

Das Programm haben wir mit Bedacht gemeinsam zusammengestellt. Es ist jetzt kein Antrittskonzert und vielleicht nicht besonders feierlich, wir spielen nicht Beethovens Neunte Sinfonie. Aber wenn ich ehrlich bin, finde ich das bevorstehende Konzert vor allem deswegen sehr schön, weil wir uns damit Schritt für Schritt mit sehr unterschiedlichem Repertoire kennenlernen. Und ich werde ja auch noch einmal hier sein, bevor 2025 alles beginnt.

Können Sie etwas zum bevorstehenden Konzert, zum Stück „Operascope“ von Unsuk Chin sagen?

Die Komponistin arbeitet mit vielen Klangflächen mit unterschiedlichen Momenten – sowohl emotional als auch von der technischen Herangehensweise. Es ist virtuos und sehr bewegend.

Mir gefällt, wie sie orchestriert. Es sind nur acht Minuten: Aber wenn man als Hörerin oder Hörer diesen kurzen Weg mitgeht, realisiert man, wie sie von einem Instrument zum nächsten wandert, wie die Tonfarben sich mischen. Das Klangbild fasziniert mich.

Und wie ordnen Sie Bohuslav Martinus neoklassizistisches Oboenkonzert ein?

Wir tendieren immer dazu, in Schubladen, oder nach den Hörgewohnheiten einzuordnen, die wir schon kennen. Ich mag Martinus Musik. Er hat eine eigene Sprache, die man meint zu kennen, ein bisschen böhmisch, ein bisschen spätromantisch – aber am Ende ist es eigentlich immer Martinu. Er arbeitet viel mit Synkopen, es geht hin und her, dabei geht man mit. Es ist eine Art Schweben. Das Solo der Oboe ist ungemein virtuos angelegt. François Leleux macht das hinreißend. Ich kenne ihn schon seit sehr vielen Jahren. Wir sind Freunde.

Das Gürzenich-Orchester ist der Neuen Musik sehr aufgeschlossen. Ist das etwas, das Sie weiterentwickeln wollen?

Ich freue mich darauf, wenn wir den Zuhörern – wie bei Martinu – andere Klänge, eine andere Art, sich auszudrücken anbieten können. Das sehe ich auch als unsere Aufgabe.

Wie würden Sie den Klangcharakter des GO beschreiben?

Was ich aus meiner Erinnerung sagen kann, ist es ein sehr lebendiges Musizieren, ein Klang voller Energie und Freude. Aber eigentlich ist es noch zu früh, das konkret zu benennen. Ich möchte dazu erst nach längerer Zusammenarbeit etwas sagen. Denn es wird spannend, wenn eine neue Person ein Orchester leitet, wie es sich weiterentwickelt, und ein gemeinsamer Klang entsteht.

Ihre Heimat ist Medellín, aber auch Wien. Wird das das Orchester prägen?

Man müsste definieren, was meine Wurzeln sind. Ich spiele schon Mozart, seitdem ich acht oder neun Jahre alt bin. Ich habe die Wiener Klassik zuallererst interpretiert, gar nicht so sehr Kolumbianisches, Lateinamerikanisches oder was auch immer. Ich habe kein kolumbianisches Stück gespielt, bis ich 20 oder 30 Jahre alt war. Und da ist man ja eigentlich schon erwachsen. Jemand, der mich nicht kennt, mag sich vielleicht wundern, dass ich im europäischen Klang so verwurzelt bin.

Aber das ist es eben, was ich von Anfang an mache, was ich immer gesucht habe: Brahms, Strauss, Mahler.

Nach Pannen befragt haben Sie einmal erzählt, wie sie als Jugendlicher im Streichquartett die falschen Noten vorliegen hatten. Es ging kreuz und quer. Was lernt man aus einer solchen Situation?

Ich sage mal, man lernt den menschlichen Aspekt in einer solchen Situation, die mit viel Stress verbunden und unangenehm ist. Aber wir haben gelacht. Es war ein modernes Stück und lustig war, dass das Publikum gar nicht mitbekam, dass wir gar nicht richtig gespielt haben. Ansonsten gab es Schubert und Mozart. Und wir wollten das moderne Stück als Kontrast. Das war noch in Kolumbien. Und wenn so etwas schief geht, muss man sich Gedanken machen, warum. Man lernt, sich besser vorzubereiten. Ganz banal: Seither ordne und klebe ich die Noten sehr gewissenhaft.

Sie unterrichten Dirigieren an der Universität in Wien. Was geben Sie Ihren Schülern auf den Weg?

Die Partitur genau zu studieren: Man nimmt sie, hört sich eine oder auch zehn Aufnahmen einer Beethoven-Sinfonie an. Bei diesem Prozess von Hören und Lesen sollte man über jeden Takt, jede Phrase, jede Artikulation, jede Dynamik nachdenken. Erst dann kann man sagen, wie man Hände und Körper bewegt.

Werden Sie in Köln wohnen?

Ich überlege schon, eine Wohnung, ein Haus zu mieten, weil ich sehr viele Zeit hier sein werde. Ob wir mit der ganzen Familie umziehen, wissen wir noch nicht.


Das Konzert

Unter dem Titel „Wetterleuchten“ sind das Gürzenich-Orchester und Andrés Orozco-Estrada am 4. April 20 Uhr, in der Philharmonie zu hören. Solist in Bohuslav Martinus

Oboenkonzert ist François Leleux. Zudem gibt es Unsuk Chins„Operascope“ und Felix Mendelssohn Bartholdys „Schottische“-Sinfonie. (jan)

www.koelner-philharmonie.de