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Kölner ZentralbibliothekPhilosoph Markus Gabriel über Fortschritt und Moral

Lesezeit 3 Minuten
Moderator Gerd Scobel (links) im Gespräch über das Buch „Der Mensch als Tier“ des Philosophen Markus Gabriel.

Der Philosoph Markus Gabriel (rechts) in der Zentralbibliothek im Gespräch über sein neues Buch "Der Mensch als Tier" mit Moderator Gerd Scobel.

Der Bonner Philosoph Markus Gabriel stellt in der Kölner Zentralbibliothek sein neues Buch „Der Mensch als Tier. Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen“ vor. Dabei ging es auch um Viren, die in der Pandemie so intelligent angegriffen haben.

Schon Platons Akademie rang um die richtige Definition des Menschen. Nahe liegende Lösung: Er ist ein nackter, aufrecht gehender Zweibeiner. Woraufhin Diogenes von Sinope ein gerupftes Huhn in die Runde schickte und die Denker düpierte.

2500 Jahre später ist die Frage immer noch nicht endgültig geklärt, wie Markus Gabriels neues Buch „Der Mensch als Tier. Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen“ (Ullstein, 22,99 Euro) in der Kölner Zentralbibliothek bewies. Im Gespräch mit Gert Scobel erwies sich die Natur des Humanen als äußerst schillernd.

Und die Tierhaftigkeit des Menschen? „Die Welt der Lebewesen ist derart komplex, dass wir über die Biomasse des Planeten wie über Tiere nicht allzu viel wissen“, erklärt der Bonner Philosoph. Zwar kann man Lebewesen als zellbasierte Phänomene klassifizieren. Doch warum schließt man da die Viren aus, „die in der Pandemie so intelligent angegriffen haben?“ Womöglich seien ja auch Moleküle und Elementarteilchen lebendig, während indigene Stämme glauben, dass sogar Steine leben.

Ethik des Nichtwissens

Der 42-Jährige plädiert so für eine „Ethik des Nichtwissens“, ohne vor der Ursprungsaufgabe zu kapitulieren. Aristoteles sah unsere Gattung als einziges Tier mit Geist und Sprache. Gabriel schärft da etwas nach. Man kann den Menschen als „Primatenleib mit Neuronengewittern“, als Sitz einer unsterblichen Seele oder gar als bloß geträumte Existenz betrachten. Das Gemeinsame daran: Es sind allesamt vom Menschen gemachte Bilder seiner selbst.

Dies und „die Fähigkeit, nach diesen Bildern zu leben“, mache uns aus. Selbst Scobel fällt es nicht leicht, die quecksilbrige Intelligenz des Autors immer auf Kurs zu halten. Aber das Publikum schätzt den Wortsprudler ja auch ob seiner provokanten Pointen. Beispiel gefällig: „Die Abwesenheit des Kinderwahlrechts steht auf derselben Stufe wie die frühere Abwesenheit des Frauenwahlrechts.“

Zurück zum Thema: Auch Moralität sieht der Philosoph als wesentlichen Unterschied des Menschen zum Tier. Gerade angesichts der Klimakrise kommt Kants Kategorischer Imperativ in einer selten zitierten Formel ins Spiel: „Handle so, dass du die Menschheit jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“

Sein moderner Nachfahre wirft ein, dass man sich durchaus auch selbst Gutes tun dürfe, denn sonst lande man in freudlos-altruistischen Zirkeln, „bekannt als Bündnis 90/Die Grünen“. Markus Gabriel sieht den Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ als starke ethische Maxime des demokratischen Rechtsstaats. „Dennoch lässt sich die Gesellschaft aufgrund ihrer Komplexität nicht durchmoralisieren.“ Denn während Philosophie immer die absolute Wahrheit sucht, steht Politik stets vor rivalisierenden Möglichkeiten.

Moralisierende Tagesleier

Trotz Inkonsequenzen in der Corona-Bekämpfung, so der Erkenntnistheoretiker, seien wir „im demokratisch-chaotischen Mittelfeld durch die Krise gekommen“ – besser als autoritär durchregierte Staaten wie China.

Im Sinn der Neuen Aufklärung fordert Gabriel die Rückkopplung des technologisch-ökonomischen Fortschritts mit dem moralisch-humanen Fortschritt. Allerdings rät er davon ab, „jede moralisierende Tagesleier für bare Münze zu nehmen“. So hält er von den Kunstbeschmutzern der „Letzten Generation“ ebenso wenig wie von den Empörungsritualen gegenüber Katar.

„Die Wahrheit ist: Wir gucken die WM nicht, weil Winter ist.“ Allerdings lohne es durchaus, die Investitionen des Wüstenstaats hierzulande kritisch unter die Lupe zu nehmen. Da schließt sich der Kreis zu Kants Einladung: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen.“