Helge Malchow vom Verlag Kiepenheuer und Witsch blickt auf die Stärken der Kulturstadt Köln und verschweigt die Schwächen nicht.
Kölner VerlegerWie steht es um Kölns Kultur-DNA, Herr Malchow?
Die Kultur wird in Köln großgeschrieben, sie ist Teil der DNA der Stadt. Aber stehen wir wirklich so gut da, wie wir uns fühlen? Spielen wir alle Trümpfe aus, die wir haben? Helge Malchow vom Verlag Kiepenheuer und Witsch blickt im Gespräch mit Axel Hill auf die Stärken und verschweigt die Schwächen nicht.
Welche Bedeutung hat Köln als Kulturstadt, als Kulturstandort für Sie?
Bis 1989 war Köln vor allen Dingen erst einmal eine der großen Kulturmetropolen des Landes – zusammen mit dem damaligen Berlin, mit Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart. Das war eine eher plurale Zeit, was Kultur in Deutschland betrifft, und da hat Köln mit breiter Brust mitgespielt. Wenn auch nicht auf allen Gebieten zu jeder Zeit mit gleicher Wucht oder mit gleicher Bedeutsamkeit.
Wann und wie wurde mit „Wucht“ agiert?
Köln ist so eine Stadt, in der der kulturelle Weltgeist immer nur zeitweilig parkt. In den 60er Jahren war das die Neue Musik, Fluxus, Stockhausen und all diese experimentellen Phasen der späten Moderne – kombiniert mit der bildenden Kunst, etwa Jürgen Klauke oder Sigmar Polke.
Und zum Beispiel in den 80er Jahren war Köln ganz führend in dem, was man unter dem Begriff Pop zusammenfassen kann. Ein Stichwort wäre die Zeitschrift „Spex“, wo eine neue Form von Musik- und Kulturjournalismus erfunden wurde.
Auch hier gab es wieder die Verbindungen zur Bildenden Kunst: Martin Kippenberger, die „Mülheimer Freiheit“ und einer Menge beeindruckender Galerien und Galerieneugründungen mit Namen wie Monika Sprüth, Gisela Capitain oder Max Hetzler. Das ging mit der Wiedervereinigung und der Entwicklung Berlins hin zu einer internationalen Metropole zu Ende.
Das klingt nicht gut...
Aber danach gab es wieder eine Riesenphase im Kölner Theater mit Karin Beier. Und ich finde, dass Stefan Bachmann das auf seine Art und Weise gut gemacht hat. In Hinsicht auf die spezielle Situation, in der sich das Schauspiel Köln befindet, hat er das Theater bravourös, gewissermaßen neu erfunden und politisiert.
Warum waren das Ihrer Ansicht nach eher Phasen?
Köln ist nicht groß genug, um dauerhaft eine Art international funktionierende Metropole in der Kultur zu sein. Es sind immer eher zeitliche und örtliche Inseln, in denen sich da etwas tut.
Wie sieht es mit der Literatur aus, Ihrem Fachgebiet?
Da hat Köln in den letzten 20, 30 Jahren eine hervorragende Rolle gespielt, und zwar kontinuierlich — sowohl durch das Literaturhaus, aber vor allen Dingen natürlich, was die Breitenwirkung und die Ausstrahlung über Köln hinaus betrifft, durch die lit.Cologne.
Wie empfinden Sie die kulturelle Atmosphäre in der Stadt?
Ich kann das am ehesten beschreiben im Hinblick auf die literarische Welt. Ich höre immer wieder von Autorinnen und Autoren, dass es eine Art selbstverständlicher, spontaner, positiver Zuwendung vonseiten des Kölner Publikums gibt. Und das in einem Maße, wie sie das in anderen Städten nicht kennen. Das ist ein interessantes Phänomen.
Wie erleben Sie das in Berlin?
Wenn Sie dort auf eine Veranstaltung gehen, hat das Publikum oft eher eine reservierte und sehr kritische und skeptische Position, die man als Autor abräumen und gegen die man durchdringen muss, bevor man gewonnen hat. Was sicher auch mit dem großen Angebot zu tun hat: ein regelrechtes Überangebot, bei dem man sich Abend für Abend gar nicht richtig entscheiden kann. In Köln hat man manchmal den Eindruck, dass es genügt, wenn etwas Interessantes oder qualitativ Beeindruckendes auf dem Programm steht, um große Freude zu erzeugen.
Heißt das also im Gegenzug, dass man hier mit Kultur – anders als mit Kulturpolitik – nicht wirklich einen Skandal entfachen kann, weil die Kölnerinnen und Kölner einfach zu tolerant sind?
Man kann das mit Toleranz beschreiben, dann hätte das so eine Art positive Konnotation – Köln als bunte Stadt, die für Diversität und Vielfalt steht. Man kann aber auch sagen, es ist eine nicht bis ins Extremmaß entwickelte Form von Kritikbereitschaft oder Kritikbedürfnis. Man hat hier eher das Gefühl, die Kritik steht an zweiter Stelle. Erst einmal kommt die Freude, dass etwas stattfindet. Und – anders als in anderen Städten – eine weniger große Erwartung auf Spitzenleistungen.
Ist das besser?
Die positive Seite ist eine große Offenheit für Neues, für Energie, für Ausgefallenes, für Minderheitenpositionen, auch für Avantgardismus. Der Nachteil ist die manchmal fehlende Schärfe der Debatte oder die fehlende Schärfe der Kriterien, mit denen man sich mit Kunst auseinandersetzt.
Würden Sie sagen, hier ist mehr möglich – schon allein aufgrund der geografisch recht kurzen Wege? Oder kommt einem das nur so aus Kölner Sicht vor?
Das hat sicher damit zu tun, dass Köln eine übersichtliche Größe hat und daher auch eine größere Dichte, was die Kommunikation von Menschen betrifft, die mit Kultur zu tun haben.
Wenn man zurückdenkt an die Zeit in der Literatur von Dieter Wellershoff, Heinrich Böll, Jürgen Becker und so weiter dann, passierte es in Köln nie, dass man eine von diesen großen Personen traf, ohne dass klar war, dass sie die anderen auch kennen und entweder freundschaftlich verbunden waren oder sich aneinander gerieben haben.
In den 80er Jahren galt das für die Bildende Kunst: Da traf man eben die 25 wichtigen Personen jeden Samstag 12 Uhr in der Kunstbuchhandlung König, wo sie um diesen Tisch im Kreis wie im Karussell herum gingen und sich Neuveröffentlichungen angeschaut haben und danach ins Broadway-Café gegangen sind. Da ist Berlin eher wie London oder New York, wo unterschiedliche Kulturen und Szenen auch geografisch weit voneinander entfernt sind. Man hat oft das Gefühl, man fährt in eine andere Welt.
Prägt die Kölner Kultur, dass sie von der Kommune und ihren Bürgern getragen wird, während es in Bonn und Düsseldorf Landes- oder sogar Bundeseinrichtungen gibt?
Dadurch entsteht eine hohe Identifikation mit dem, was in der eigenen Stadt passiert. Auch die Bereitschaft von Sponsoren, sich zu engagieren, hat sicher mit der Kölner Stadtgeschichte zu tun. Daraus hat sich ein Selbstbewusstsein entwickelt.
Haben wir dieses Selbstbewusstsein noch?
Wie gesagt, Köln hat durch die Wiedervereinigung als kultureller Gesamtort verloren. Viele sind nach Berlin gegangen. Man hat den Eindruck, dass Köln heute eher mit dem Rücken ein bisschen an der Wand steht und gegen den Sog ankämpft.
Um im Bild zu bleiben: Wie sollte Köln seine Waffen schärfen?
Meine Waffe dagegen wäre immer, die Spitzenleistungen zu ermöglichen und nicht mit der Gießkanne überall weiter Geld rein zu geben. Es müssen nicht massenhaft und permanente Leistungsspitzen sein. Aber ohne sie geht es nicht, denn sie haben die Breitenwirkung.
An welche Bereiche denken Sie?
Köln spielt weiterhin eine große Rolle in der Technomusik oder in der Clubszene. Aber ich weiß auch, dass da die Förderung vonseiten der Stadt nicht besonders groß ist und es trotzdem gelingt, immer wieder Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Welche „verborgenen Schätze“ gibt es für Sie persönlich?
Wenn Menschen von auswärts kommen, mache ich sie in der Regel aufmerksam auf den riesigen Schatz an romanischen Kirchen, die spätmittelalterlichen Reste, die hier fantastisch restauriert worden sind. Und diese Kombination aus zeitgenössischer säkularer und christlicher Kunst im Kolumba Museum – das ist schon einzigartig.
Zur Person
Geboren wurde Helge Malchow (Foto) im Mai 1950 in Bad Freienwalde an der Oder. Er wuchs in Düsseldorf und Neuss auf, studierte später in Köln. 1983 begann der ehemalige Lehrer bei Kiepenheuer und Witsch, war dort von 2002 bis 2018 Verlagsleiter, mittlerweile bekleidet er die Position eines „Editor-at-large“. Helge Malchow lebt in Köln und Berlin.