Der Kölner Rapper 9inebro spricht im Interview mit der Rundschau über Depression, Südkurve und die Sucht als Killer der Kreativität.
Kölner Rapper 9inebro„Früher wurde nach dem Wachwerden erst einmal gekifft“
Sein zweites Soloalbum bringt 9inebro am Freitag unter dem Titel „Kompass“ heraus. Jörg Klemenz sprach mit dem Mittzwanziger über „Veedels-Geruch“ und kreative Flauten, aber auch über die unerschütterliche Kraft der Musik, die Ziele vorgeben kann.
Am 18. Mai sollten Sie eigentlich als Solo-Künstler auf der Bühne der Live Music Hall stehen. Was kam dazwischen?
Leider musste ich das Konzert wie auch die restlichen Shows meiner Tour absagen. Das ist natürlich sehr bitter. Wir haben einfach zu wenig Tickets verkauft, und die Produktionskosten sind am Ende höher gewesen als zunächst gedacht. Zum einen haben viele zurzeit einfach kein Geld, denke ich. Was ich gut nachvollziehen kann. Zum anderen ist die Underground-Rap-Szene in Deutschland vielleicht noch nicht bereit für meine eigene Musik. Und die Pop-Szene habe ich noch nicht erreicht. Womöglich habe ich es zu überstürzt geplant. Ab dem Sommer jedoch werde ich zusammen mit Lugatti auf Tour gehen. Da spielen wir für unsere Kölner Fans im Juni an der Südbrücke und im November im schon fast ausverkauften Palladium.
Kommen Sie gebürtig aus Köln?
Ja, ich wurde im „Klösterchen“, im Krankenhaus der Augustinerinnen, geboren und wuchs dann im Kölner Süden auf. Da sind meine Roots. Mittlerweile hat es mich nach Nippes verschlagen. So schön der Kölner Klüngel und der „Veedels-Geruch“ auch sind, aber irgendwann musste ich einfach mal raus aus der Südstadt. Ein bisschen Abstand bekommen und anonymer leben.
Was hat Ihre Jugend geprägt?
Mein Bruder. Meine Freunde. Die Natur. Musik natürlich. Und: Fußball. Wir sind früher sehr oft zum FC gegangen und standen in der Südkurve.
In Ihrem Lied „Mondlicht“ singen Sie von Ihrem Papa, der oft zu Ihnen „Keine Sorgen, mein Kleiner, auf Regen folgt Sonnenschein“ gesagt hat.
Diese Art der Mentalität wurde mir von meinem Dad mit auf den Weg gegeben: Man fällt oft hin im Leben, aber es lohnt sich immer wieder aufzustehen. Dahingehend gibt es auf jeden Fall Parallelen zum FC.
Wie sieht der Alltag eines Rappers aus?
Morgens gehe ich erst einmal ins Fitnessstudio, um einen freien Kopf zu bekommen. Danach frühstücke ich, um gut in den Tag reinzukommen. Das betone ich deshalb, weil ich das nicht immer so getan habe. Früher nämlich wurde nach dem Wachwerden erst einmal gekifft. Ich rauche seit 13 Jahren jeden Tag Gras. Dass ich abhängig von dem Zeug bin, kann ich nicht leugnen. Zumindest den morgendlichen Ablauf habe ich mittlerweile geändert. Auch, um tagsüber im Studio meine Tracks besser aufnehmen zu können. Abends bin ich dafür zu berauscht. Meine Gefühle sind dann einfach nicht mehr so klar.
Sie gehen sehr offen mit dem Thema Sucht um. Sprechen Sie auch mit jemandem darüber?
Ja, ich befinde mich zurzeit in Therapie. Und das ist gut. Denn das Kiffen ist für mich oftmals mein letzter „Anker“. Mir ist klar, dass das nicht leicht zu verstehen ist, aber: Ich schaffe es leider nicht völlig allein, mit dem Kiffen aufzuhören. Deshalb benötige ich eine Therapie, in der ich zusammen mit einem Profi an dem Problem arbeiten kann.
Anker. Kompass… Geht es um Orientierung in Ihrer Musik?
Ja. „Es wird nie leicht sein“ zum Beispiel ist ein Song, den ich selbst gerne als junger Mensch gehört hätte. Der hätte mir etwas bedeutet und mir zeigen können, wohin der Weg in etwa gehen kann. Generell hat mein Album das Potenzial, dem Zuhörer eine gewisse Orientierung zu geben, ohne eine zu enge Linie vorzugeben. Das Album wird dich nicht ans Ziel bringen. Aber eine Richtung kann es dir zeigen.
Planen Sie Ihre Songs sehr akribisch?
Nein. Gar nicht. Bei mir passiert viel intuitiv. Dann entscheide ich musikalisch nach Bauchgefühl. Oft waren diese Ideen am Ende auch die erfolgreichsten und die unverfälschtesten. Sobald man anfängt zu extrem über eine Idee nachzudenken und nach zu vielen Meinungen zu fragen, gehört der Song schon nicht mehr zu einem selbst.
Sind Ihre Texte allesamt autobiografisch zu verstehen?
Nein, nicht komplett. Ich verstehe meine Texte wie eine Art Theaterstück oder wie einen Kinofilm. Im Kern sind die Geschichten, über die ich rappe, immer wahr. Aber ich nutze natürlich bestimmte sprachliche Ausschmückungen, um sie spannender und dramatischer wirken zu lassen. Insgesamt gibt es sehr viele Parallelen zu meinem eigenen Leben, ich erzähle jedoch auch Geschichten über andere Menschen.
Welche Impulse sind denn notwendig für Ihre poetische Kreativität?
Das fragen mich meine Freunde auch immer. So richtig erklären kann ich es nicht. Es passiert einfach. Es ist wie ein Film in meinem Kopf, der sich vor meinem inneren Auge abspielt. Ein bestimmtes Rezept habe ich dabei aber eigentlich nicht. Denn es gibt auch Tage, da passiert rein gar nichts im Studio. Und natürlich kommt es auch darauf an, wie ich mich fühle.
Was blockiert Ihre Kreativität völlig?
Stress. Streit. Nachrichten. Zu viele private Probleme. Das alles sind Vibe-Killer für mich. Wenn ich zum Beispiel gleich in der nächsten Session meine gecancelte Tour im Kopf habe, kann es sein, dass ich nicht die geilsten Vibes haben werde.
Sie rappen unter anderem auch über eine „Welt, die sehr oft grau und monoton ist“.
Ja. Ich habe seit langem eine Depression. Meine Welt ist oft grau. Mein Künstler-Dasein, die Selbstständigkeit und der damit verbundene Druck verstärken natürlich die Depression immens. Draußen kann der sonnigste Tag sein. Trotzdem sitze ich dann manchmal eine Woche lang alleine zu Hause, weil ich gar nicht mehr klar komme mit der Welt. Ich möchte in solchen Phasen auch für mich sein. Aber um das klar zu sagen: Es gibt auch gute Zeiten in meinem Leben. Und von denen singe ich selbstverständlich genauso. Trotzdem fand ich es wichtig, die Stimmung der Depression auf meinem Album festzuhalten.
Neues Album
Am Freitag erscheint das neue Album „Kompass“ von 9inebro. Der Kölner Rapper ist besser bekannt als eine Hälfte des erfolgreichen Rap-Duos Lugatti & 9ine. Mit seinem neuen Werk singt der Musiker diesmal solo unter dem Künstlernamen 9inebro. Herausgekommen ist ein Genrewechsel hin zum Singer-Songwriter-Fach und Indiepop. Die Texte auf „Kompass“ sind emotionaler als auf den Rap-Produktionen von Lugatti & 9ine.
Bräuchte das Thema „Depression“ in der Künstler-Branche noch mehr Aufmerksamkeit?
Ich denke, das Thema sollte generell gesellschaftlich noch stärker in den Vordergrund gerückt werden. Und es sollte normal sein, darüber reden zu können. Noch vor wenigen Jahrzehnten konntest du nicht einfach mal sagen „Mir geht es nicht gut. Ich brauche eine Therapie“. Daher kann ich da heute positive Entwicklungen in der Wahrnehmung dieses Themas erkennen, weil man mit einer Depression gesellschaftlich nicht mehr verpönt wird. Zumindest nicht mehr so heftig wie früher.
„Mitte Zwanzig und wer hätte das gedacht / Ein Junge, der ohne Drogen nicht mehr wirklich viel lacht“ singen Sie in Ihrem Song „Jedes Mal“. Wann hat der „Junge“ denn das letzte Mal aus tiefster Seele gelacht?
Als ich das Konzert meines absoluten Lieblingsrappers im Helios besucht habe. Er heißt Killy und kommt aus Kanada. Mein großes Glück war, dass ich ihm kurz Backstage sagen konnte, wie sehr mich seine Musik durch schwere Zeiten getragen hat. Das war mein bisher bester Tag des Jahres.