Kölner PhilharmonieErneutes Geisterkonzert wird zum Internet-Renner
- Die Live-Übertragung der Johannespassion ins Internet verfolgten mehr als 180.000 Menschen aus aller Welt.
- Es war das vorerst letzte als "Geisterkonzert" ausgetragene Konzert.
Köln – Bei der Konzertplanung war nicht abzusehen, dass die Johannespassion mit dem Bach Collegium Japan und seinem Gründer Masaaki Suzuki in der Kölner Philharmonie in eine ganz spezielle Leidenszeit fallen würde. Corona heißt die Dornenkrone, die der Kultur derzeit schmerzhaft aufs Haupt gedrückt wird.
Hinter den Versuchen einer Eindämmung der Pandemie taucht immer wieder die Frage nach der generellen Notwendigkeit von Kunst in Krisenzeiten auf. Jüngst hat noch Finanzminister Olaf Scholz auf einer Pressekonferenz auf Nachfrage den geradezu absurden Eindruck vermittelt, ein Kulturbetrieb lasse sich wie eine Fabrikanlage nach Belieben stilllegen und später wieder hochfahren. Mit solchen Fehleinschätzungen macht sich Scholz zum Pilatus dieses Passionsgeschehens.
Auch über der Johannespassion des Bach Collegiums Japa“ schwebte am Sonntagabend wie ein böser Schatten die Frage, ob oder ob nicht. Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort hat die einzig richtige Entscheidung getroffen und das Konzert stattfinden lassen, notgedrungen als Video-Livestream.
Musik als Kraftquelle
„Musik ist in solchen Zeiten eine Kraftquelle“, betonte Langevoort in seiner Begrüßung. Gegen die für Musiker teils desaströsen Folgen der Corona-Krise empfahl er die Spende bereits gekaufter Konzertkarten. Bleibt abzuwarten, ob die Gesellschaft ihren Künstlern diese Solidarität bekundet. Am Sonntag wurde bekannt, dass dies zunächst das letzte „Geisterkonzert“ war, „philharmonie.tv“ wird nun aus dem Archiv bestückt.
Am Sonntag herrschte in der weitgehend entvölkerten Philharmonie diesmal eine unfreiwillige Kathedralakustik, die Bachs Musik aber gar nicht mal schlecht bekam. Sie ist ja durchaus für solche Verhältnisse konzipiert. Im großen Ganzen ist Suzuki souverän mit der extremen Situation umgegangen. Er hat sein Bach Collegium Japan so beherzt und straff aufspielen lassen, wie man das von ihnen kennt.
Allenfalls hat sich das Orchester an ein paar Stellen etwas zu dick über die Gesangssolisten gelegt. Altus Damien Guillon und Tenor Zachary Wilder waren die Hauptleidtragenden. Die Sopranistin Hana Blažíková musste zusehen, dass sie in ihre tschechische Heimat zurückkam. Ihren Part übernahm ohne Fehl und Tadel Aki Matsui aus den Reihen des Bach- Collegium-Chors. Mit dem Bass Yusuke Watanabe steuerte der Chor auch einen stimmstarken Pilatus bei. An Diktion und Intonation der Japaner war durchweg nichts auszusetzen.
Christian Immler hat mit der Jesus-Partie eine vorzügliche Figur gemacht, seinen schlanken, prächtig sitzenden Bass in jeder Sekunde überzeugend eingesetzt. Ein besonderer Genuss war James Gilchrist als Evangelist, dessen kräftiger klarer Tenor die Größe des Raumes unangestrengt füllte und der jeden dramatischen Affekt seiner Partie mit traumhafter gestalterischer Sicherheit traf.Auch wenn nur eine Handvoll Zuhörer vor Ort waren, der Applaus war enthusiastisch.
180.000 Zuhörer
Die Live-Übertragung der Johannespassion ins Internet verfolgten mehr als 180.000 Menschen aus aller Welt. Das Konzert wurde auf www.philharmonie.tv und in den sozialen Medien übertragen. Publikum aus mehr als 100 Ländern, an erster Stelle aus Deutschland, Japan, den USA, Österreich, Kanada, Italien, den Niederlanden und Polen begleitete den Stream mit teilweise bewegenden Danksagungen. (EB)