Dokumentarfilmer André Schäfer spricht im Rundschau-Interview über seine Arbeiten und drei große neue Dokumentationen im Kino und TV.
Kölner Doku-FilmemacherWas Thomas Mann und Hape Kerkeling gemeinsam haben
Der Kölner Filmemacher André Schäfer hat gerade drei große Dokumentationen am Start: Für die ARD ein Film über Hape Kerkeling, für ARTE über den „Zauberberg“, und im Kino läuft „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“. Mit Axel Hill sprach der 58-Jährige über seine Arbeiten.
Im Sinne der „Six degrees of separation“, der „Kleine-Welt-Theorie“: Sind Sie jetzt das Bindeglied zwischen Thomas Mann und Hape Kerkeling?
(lacht) Thomas Mann gilt ja nach Loriot als der größte Humorist Deutschlands. In Wahrheit ist es natürlich Hape Kerkeling. Von daher passt das schon gut zusammen.
Thomas Mann gilt als größter Humorist Deutschlands?
Loriot fand, dass er wirklich ein umwerfend komischer Schriftsteller war. „Felix Krull“ ist in weiten Teilen sehr, sehr komisch. Oder wenn man etwa an die Namensgebung in den „Buddenbrooks“ denkt. In seinen Tagebüchern sagt Mann sinngemäß, obwohl ihm nachgesagt werde, dass er so ein großer Humorist sei, sei das eigentlich eher Verzweiflung. Was bedeutet, dass er über das Thema Humor seine eigenen Themen in den Hintergrund drängt. Und ein bisschen ist das bei Hape Kerkeling vielleicht auch so?
Gibt es andere Gemeinsamkeiten?
Hape hat sich mittlerweile auch als politisch denkender Mensch etabliert. Als er in der Düsseldorfer Synagogengemeinde kurz nach dem Angriff der Hamas eine Laudatio auf Agnes Strack-Zimmermann gehalten hat, war das eine sehr, sehr gute Rede. Bei unserem letzten Interview hat er mir allerdings erzählt, dass er seitdem Staatsschutz braucht, weil er angefeindet wird.
Thomas Mann wurde in ganz Deutschland angefeindet, aber eben auch in seiner Heimatstadt Lübeck bis heute: Beim „Zauberberg“-Dreh im Buddenbrook-Haus erzählte man mir, dass die Mutter einer Praktikantin die Nase gerümpft hat, weil sie dort ein Praktikum mache.
Hape Kerkeling macht nicht den Eindruck, als würde er sich leichtfertig auf so ein Filmprojekt einlassen. Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?
Im Wohnzimmer meiner Mutter! (lacht) Dort haben wir sein Interview für den Loriot-Film vom letzten Jahr gemacht. Bei der Vorbereitung dazu hatte ich gelesen, dass er dieses Jahr 60 wird, und ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, einen Film mit uns zu machen. Und nach dem Interview sagte er: „Also, wenn ihr wirklich einen Film über mich machen wollt, ich bin dabei.“
Das Resultat erscheint ein bisschen wie ein Film zu seinem neuen Buch „Gebt mir etwas Zeit“.
Das ist der rote Faden, meine Fragen basierten aber auch auf den anderen Büchern. Wirklich umgehauen hat mich aber, dass er so offen schreibt, dass er mit Anfang 20 einen Freund in Amsterdam hatte und dieser dann ein Jahr später an AIDS stirbt. Diese Offenheit fand ich sehr krass.
Davon erzählt er im Film auch – und über eine Reihe anderer persönlicher Dinge. Aber man hat das Gefühl, dass er in solchen Momenten seine öffentliche Person agieren lässt und so eine professionelle Distanz aufbaut.
Ich glaube, er spricht über diese Dinge, die ihm passiert sind und die lange her sind, per se mit einer gewissen Distanz. Er kann sehr gut reden, stottert nicht, wenn ihm etwas unangenehm ist. Er ist sehr souverän.
Und ich empfinde ihn nicht als unnahbar. Wir haben uns am Anfang gesiezt, heute umarmen wir uns, wenn wir uns sehen. Jetzt waren wir zum Beispiel durch Zufall am gleichen Tag in Tübingen: Er hatte eine Lesung, ich im Rahmen der Kino-Tour von „Bekenntnisse“ eine Vorführung, und wir waren anschließend sehr nett essen.
Wie ist Ihre Beziehung zu Thomas Mann entstanden?
Ich habe schon einige Filme über Autoren gemacht, John Irving etwa oder Martin Suter. Mann ist einfach ein toller Schriftsteller – und ein moderner dazu: Bei den Buddenbrooks bleiben am Ende die Frauen übrig.
Mann wirkt wie das komische, großbürgerliche, steife Denkmal. Ich habe mir immer vorgestellt, dass er in Wahrheit ganz anders ist. Mein bester Freund Harald hat irgendwann angefangen, mir jedes Jahr zum Namenstag eines von Thomas Manns Tagebüchern zu schenken — ganz lesen kann man das ja nicht, aber ich habe doch viel gelesen. Und viele der privaten Sachen, die darin stehen, lassen erkennen, dass er kein ganz besonders glücklicher Mensch gewesen ist.
In „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ ziehen Sie Parallelen zwischen dem Autor und der Romanfigur Felix Krull.
Ich habe mir vorgestellt, so ganz ohne seine Sehnsüchte kann man doch nicht sein. Ist der wunderschöne, 22-jährige, androgyne Krull, der bei allen Geschlechtern gut ankommt, so gezeichnet, wie Thomas Mann sich vielleicht gewünscht hat? Wahrscheinlich nicht. Aber ich glaube schon, dass der in diese Figur sehr viel von sich reingelegt hat und auch von dem, wie es hätte auch sein können, wie die Wirklichkeit hätte aussehen können, wenn er eben nicht in dieser bürgerlichen Korrektheit erstickt wäre.
Im Film gibt es Spielszenen mit dem Schauspieler Sebastian Schneider als Felix, es werden Romanausschnitte und Tagebuchausschnitte miteinander verwoben. Beim Zuschauen fällt die Zuordnung oft schwer.
Es geht darum, dass immer Thomas Mann spricht. Denn man kann bei der Rezeption eines Buch es nicht weglassen, was man über den Autor weiß und über die Umstände, unter denen es geschrieben wurde.
Dagegen kommt die „Zauberberg“-Doku sehr klassisch daher: viele Interviews mit Experten und Zeitzeugen, wunderschöne Aufnahmen aus Davos. Wie sind Sie an diesen „Jahrhundertroman“ geraten?
Ein Freund, der Architektur studierte, bekam in seinem Seminar die Aufgabe, einen Entwurf zum Thema Zauberberg zu gestalten, also ein Hotel in fantastischer Landschaft oder etwas ganz anderes. Das fand ich so toll, dass ich daraufhin das Buch gelesen habe.