In ihrem neuen Buch „Hass“ erklärt die Kölner Autorin Şeyda Kurt, warum das unbeliebte Gefühl wichtig und richtig ist.
Kölner Autorin Şeyda Kurt„Wir sollten auf eine gute Art und Weise mehr hassen“
„Manchmal kann es sehr sinnvoll sein, andere Menschen zu hassen.“ Das warme Lächeln, die farbenfrohe Kleidung und sanfte Stimme der Kölner Bestseller-Autorin Şeyda Kurt lassen ihre Aussage noch überraschender wirken. Überraschender, als es per se ist, die Hassenden zu verteidigen. „Die Leute wollen nichts mit Hass zu tun haben“, stellt sie fest. Kurts neuestes Buch ist trotzdem nach dem „ultimativ verpönten“ Gefühl benannt und ihm gewidmet. Es soll dem Hass ein neues, positives Gesicht hinzufügen: Das derjenigen, die durch ihn Antrieb für den Widerstand gegen Ungerechtigkeit gewinnen. „Es geht mir um die Frage, wo der Hass lähmt, aber wo und wie er im Gegensatz dazu Gerechtigkeit oder Zärtlichkeit hervorbringen kann.“
Mit „Radikale Zärtlichkeit“ feierte Kurt vor zwei Jahren ihr erfolgreiches Buch-Debüt. Sich für eine zärtliche Gesellschaft ausgesprochen, fürchtete sie nun als „Herzchenhippie“ zu gelten. „Zärtlichkeit gut und schön, aber bis wohin? Müssen wir jetzt auch Nazis gegenüber zärtlich sein?“ Es verschlägt die Autorin auf die andere Seite des emotionalen Spektrums – und sie stößt auf einen Widerspruch: „Der Hass ist allgegenwärtig und trotzdem wird er delegitimiert und es wird so getan, als würde er nicht zu uns gehören“, stellt Kurt fest. Sich zu hinterfragen, würden sich die meisten Leute wegen des Tabus nicht trauen. Wer hasst, scheint verloren zu sein und bekehrt werden zu müssen.
Mit Hass zu einer besseren Welt
Wer sind sie also, die Menschen, die hassen? „Es ist eine Emotion, die politisch hergestellt wird“, findet Kurt. „Von oben wird verachtet und von unten wird gehasst“, zitiert sie die Philosophin Hilge Landweer. Wer den Luxus dazu hat, könne sich von Störendem einfach abwenden. „Aber wenn du von Armut und Rassismus betroffen bist, wenn du an einer europäischen Außengrenze verelendest, dann musst du das ganze schon ziemlich ernst nehmen“, erklärt Kurt.
Der rassistische Anschlag in Hanau mit neun Todesopfern hat Kurt tief geprägt, das Schicksal der Angehörigen berührt sie bis heute. Dass von den Hinterbliebenen stets gesprochen werde , als könnten sie nur Opfer sein und nicht selbst hassen, spreche ihnen schlicht die Handlungsfähigkeit ab.
Als kopflos, blind und zerstörerisch werden Hassende normalerweise beschrieben. „Ich finde nicht, dass Menschen, die Hass spüren, undifferenziert dahin wüten. Sie können für sich Strategien entwickeln, um mit diesem Hass umzugehen - individuell oder kollektiv“, betont Kurt.
Nur in einer Gemeinschaft, die sich immer wieder selbst hinterfragt, könne er jedoch etwas zum Guten wenden. „Wenn der Chef mir auf jede Art und Weise das Leben zur Hölle macht, ist es vielleicht wichtig ihn zu hassen, weil mich das mit anderen zusammenbringt, die das auch fühlen, um vielleicht einen Betriebsrat zu gründen.“ Vorrangig sollte jedoch das System gehasst werden, das den Chef profitgierig und unleidlich macht. Mir war schon relativ früh klar, dass die Liebe zur Gerechtigkeit, den Hass auf Unterdrückung braucht.“
Şeyda Kurt will etwas verändern und ist deshalb fasziniert vom Hass und seinen Kräften: „Der Hass hat mich nicht verzweifeln lassen, sondern mich widerständig gemacht“, erklärt Kurt. „Er ist ein zähes Gefühl, das Leute über eine lange Zeit mobilisieren kann.“ Wut und Empörung würden hingegen schnell wieder verpuffen. „Auf Instagram sind Leute ständig so wütend, aber zwei Minuten später sind da wieder Katzenvideos“, prangert sie Pseudo-Aktivismus auf Social-Media an. Anstatt pathetischen Kalender-Sprüche über die Kraft der Liebe , wünscht sie sich deshalb folgendes: „Wir sollten auf eine gute Art und Weise mehr hassen.“