Uraufführung in KölnOper „INES“ erzählt eine Liebesgeschichte im Atomzeitalter

Lesezeit 4 Minuten
In der Rolle des Orpheus stand Hagen Matzeit auf der Bühne.

In der Rolle des Orpheus stand Hagen Matzeit auf der Bühne.

Die Uraufführung der Oper INES von Ondřej Adamek erntet langen Applaus in Saal 3 des Staatenhauses.

Fiepende, klinische Klänge können einen Nerv ganz schön tief treffen. Aus den Apparaten klingt der Tod eines geliebten Menschen technisch, die Hinterbliebenen wühlt das zusätzlich auf. Wie geht es danach weiter, was kommt? Und wie kommuniziert ein transzendenter Körper? Wenn überhaupt?

Sprechgesang

Der tschechische Komponist Ondřej Adámek und die deutsche Librettistin Katharina Schmitt schildern die Phasen des Todes, knüpfen an die uralte Liebesgeschichte von Orpheus und Euridice an und erzählen sie nach einem atomaren Störfall. Dessen Skala gibt der Oper ihren Namen: „INES“ (international nuklear and radiological event scale), steht für die Bewertung von Atomkatastrophen.

Die Oper ist über lange Strecken Sprechgesang, der sich phasenweise erschöpft. Das wuchtige Stimmungsbild bleibt düster, die Verzweiflung der Liebenden geht unter die Haut. Ensemblemitglied Kathrin Zukowski als E (für Euridice) und Gast Hagen Matzeit als O (für Orpheus) singen und spielen in Katharina Schmitts Inszenierung in Saal 3 des Staatenhauses brillant.

Die Ärztin (Dalia Schaechter) klärt O über das unausweichliche Ende seiner E auf. Er weckt sie und will sie von dem Ort wegbringen, verstößt damit gegen ein Verbot. Nachdem E an der Strahlenkrankheit gestorben ist, hallen seine Wahnsinnsarien im Countertenor vor Glasvitrinen, in denen sich die zeitlosen Relikte ihrer wissenschaftlichen Arbeit wiederfinden: Gesteinsproben und ausgestopfte Tiere, ein paar Tonspuren mit ihrer Stimme.

Sie betrieb Forschung zur Menschheitsgeschichte, sprach ihre Texte auf Band, was ihm etwas Erinnerung gibt. Allerdings hat E Doppelgängerinnen. Sich an ihr Gesicht zu erinnern ist unmöglich. O zerbricht, stammelt vom Licht. Drei Männer im Schutzanzug (David Howes, George Ziwziwadze und Lasha Ziwziwadze ) erzählen, was passiert: „So steigen sie den Pfad nach oben, umgeben von Schweigen. Tiefes Dunkel umhüllt sie, dichter Nebel füllt die Ödnis.“

Lyrische Passagen

Teils sehr lyrische Textpassagen weist das Libretto auf. Die Handlungsstränge allerdings sind nicht immer nachvollziehbar. Beherrschend ist die emotionale Bedrohungslage. Der kurzen Zeit eines menschlichen Lebens wird die lange Halbwertszeit des verstrahlten Materials gegenübergestellt. Bühne und Kostüme (Patricia Talacko) verstärken die dystopische Atmosphäre, das Licht (Nicol Hungsberg) gibt einen Eindruck davon, wie es nach einer Atomkatastrophe aussehen könnte.

Und wie klingt sie? Das Gürzenich-Orchester unter dem groovigen Dirigat Adámeks sowie der Opernchor, den Rustam Samedov auf der Bühne anleitet, geben alles. Kreischende Glissandi der Streicher und ihre fahlen Flageoletts malen Tonfarben, die nichts beschönigen. Ein Wispern und Babbeln von Beginn an vermittelt eine Unruhe, die sich auf das Publikum überträgt. Das alles ist keine leichte Kost. Aber die haben Adámek und Schmitt in Prolog und fünf Bildern der Oper auch nicht beabsichtigt. Sich des Themas anzunehmen, ist mutig.

Die Autorin Gudrun Pausewang sah sich 1987 mit ihrem Buch „Die Wolke“, das ein Jahr nach Tschernobyl erschien, mit dem Vorwurf der Angstmache konfrontiert. Aktuell melden Friedensforscher des schwedischen Sipri-Instituts einen alarmierenden Zuwachs im Atom-Arsenal.

Das Politische ist allerdings in „INES“ nicht das vordergründige Thema. Mehr sind es die Störfälle in Reaktoren, die fast zum Alltag geworden sind – den Bekundungen der Technologiegläubigen zum Trotz. Im Abspann fallen Namen wie Sellafield oder Greifswald – Gebiete, die es trifft, und in denen das Leben für immer anders ist.

Girls of Hiroshima

Ein Videofilm zeigt einen Wolfshund, der durchs Bild läuft. Das steht sinnbildlich für Orpheus, der für die Tiere singt. Aber auch für die Tötungsanordnung nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Wildtiere wurden als Strahlenquellen eliminiert.

Zuversicht schenkt die Geschichte der Girls of Hiroshima (Olga Siemieńczuk, Tara Khozei und Alina König Ranneberg, die auch die Doppelgängerinnen von E singen), die den Bombenabwurf vom 6. August 1945 überlebten. Pilot Claude Eatherly fühlte sich für das Leid der Menschen verantwortlich und begab sich in psychiatrische Behandlung. Dort erreichten ihn mitfühlende Briefe aus Japan.

Nach erst verhaltener Reaktion spendete das Publikum langen Applaus für die Uraufführung.

Knapp zwei Stunden ohne Pause, wieder am 22., 26., 28., 30. Juni und am 3. Juli.

Nachtmodus
Rundschau abonnieren