Monika Rinck erkundet in ihrem neuen Gedichtband „Höllenfahrt & Entenstaat“ eine nachzeitliche Welt, in der Algen als einzige Begünstigte der globalen Katastrophen gedeihen.
Szenarien der zukünftigen WeltMonika Rinck stellt in Köln „Höllenfahrt & Entenstaat“ vor
Als Alexander Mitscherlich 1965 sein Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte “ veröffentlichte, erntete der Soziologe und Kulturkritiker auch viel Aufmerksamkeit bei Architekten und Stadtplanern. Und er zog eine Konsequenz. Das bereits geplante Einfamilienhaus — gewertet als Vorbote des Unheils der fortschleichenden Zersiedlung –bezogen er und seine Frau Margarete doch nicht, lebten stattdessen bis zum Lebensende in einer Etagenwohnung in Frankfurt-Höchst.
Algen als Gewinner
Monika Rinck, Lyrikerin und Professorin an der Kunsthochschule für Medien (KHM), ist in ihrem neuen Gedichtband „Höllenfahrt & Entenstaat“ fast 60 Jahre weiter als Mitscherlich, der bereits im Untertitel eine „Anstiftung zum Unfrieden“ postulierte.
Rinck rast metaphorisch mit dem Verbrenner in die Unterwelt, erkundet die Räume, durch die wir uns bewegen und entwirft Szenarien einer nachzeitlichen Welt, in der sich die Algen als einzige Begünstigte der weltweiten Katastrophen erstaunlich resilient zeigen.
Ein wenig verwunderte da ihr persönliches Bekenntnis bei der Lesung im Literaturhaus, wie schön es doch sei, „mit dem Jaguar durch eine Allee zu gleiten. Am besten mit Tempo 70.“ Aber womöglich macht das gerade den Charme ihrer Betrachtungsweise aus: Nichts ist apodiktisch mit mahnenden Zeigefinger formuliert.
Der Absurdität eines „immer weiter und immer schneller“ begegnet sie mit Humor, zeichnet stattdessen präzise die Entwicklung der Amöbe auf, die sich auch ins Grundbuch einträgt, und spendet Trost, indem sie auch einmal auf dem Seitenstreifen innehält.
Theresia Prammer führt durch den Abend
Moderatorin des Abends war die österreichische Krimiautorin und Essayistin Theresia Prammer, die immer wieder Parallelen zu Dantes Göttlicher Komödie zog, worauf Rinck aber nur bedingt einging, allenfalls, indem sie den Stau als „Purgatorium“ bezeichnete.
„Höllenfahrt & Entenstaat“ bezaubert durch einen wunderbaren Rhythmus, der in Rincks Lesung in atemberaubend schnelle Verkehrsmeldungen abzweigt, welche die einstige Radiosprecherin in wildem Stakkato präsentiert.
Die Lektüre der Straßenverkehrsordnung empfiehlt sie wärmstens. Und so, wie sie das vorträgt, glaubt man ihr, dass die staatlichen Raumordnungsprogramme und Verkehrswegeplanungen tatsächlich „eine interessante Lektüre sind“.
Wie wird der Raum beschaffen sein?
Rinck stellt Elementarfragen: Wie bewegen wir uns durch den Raum, wie wird der Raum beschaffen sein, wenn es ohne Tempolimit weitergeht wie bisher? Rinck geht nahe. Sie spricht einen jeden an, der über Zukunftsfragen, aber auch das zermalmend unwirtliche Jetzt ins Grübeln geraten mag.
„Ich grüße dich, Müder!“ ist ein Gedicht in der Höllenfahrt überschrieben. Auf wunderbare Weise vermag es diese preisgekrönte, aber bodenständige Autorin mit ihrer schönen Sprache zu erquicken.
Monika Rinck. Höllenfahrt & Entenstaat. Gedichte, kookbooks, 96 S. 24 Euro.