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„Joni Mitchell – Ein Porträt“Eine Frau, die nicht gefallen muss – und niemals lügt

Lesezeit 4 Minuten
joni mitchell

Charismatische Musikerin: Cover von Joni Mitchells Album "Hejira".

Köln – Eigentlich wünscht man sich, dass die Biografie einer Lieblingsmusikerin einem diese näherbringt, man Dinge erfährt, die sie sympathischer machen, mehr Licht in die Entstehungsprozesse von Alben und Songs gebracht wird. Letzterem wird David Yaffe auf den mehr als 500 Seiten in seinem Buch über Joni Mitchell über weite Strecken ihrer 55-jährigen Karriere gerecht. Doch ansonsten möchte man die Zeile, die der Rapper Q-Tip 1997 zu Janet Jacksons „Got ’til It’s Gone“ besteuerte, umdichten: Von „Joni Mitchell never lies“ zu „Joni Mitchell isn’t nice“.

Yaffe hat die heute 76-Jährige 2007 und 2015 interviewt und lässt sie entsprechend ausführlich zu Wort kommen – und was Mitchell so von sich gibt, ist oft alles andere als nett. Aber man kann es auch so sehen, dass sie niemals lügt, um jemandem zu gefallen. Weder Journalisten oder Fans, noch Ex-Liebhabern, Kollegen oder der Plattenindustrie. Und weiß Gott nicht Judy Collins, deren Aufnahme von „Both sides now“ Joni Mitchell 1968 den ersten kommerziellen Erfolg bescherte.

Minuziöse Auflistung

So arbeitet sich Yaffe von ihrer Kindheit, die geprägt war vom schwierigen Verhältnis zu den Eltern und der Polioerkrankung mit neun Jahren, über erste Erfolge, den Durchbruch, Höhen und Tiefen der Karriere bis 2015, als ein Gehirnaneurysma sie dauerhaft erkranken lässt. Neben eigenen Interviews mit Weggefährten bemüht er viele andere Quellen, minuziös aufgelistet wie bei einer Doktorarbeit.

Der rote Faden sind dabei die Alben, vom 1968er „Song To A Seagull“ bis zu „Shine“ aus dem Jahr 2007. Yaffe analysiert Melodien und Rhythmen, betrachtet Texte unter dem poetischen Mikroskop und zeigt Bezüge zur Biografie Mitchells auf: etwa das Leben in der kanadischen Provinz, die 1965 zur Adoption freigegebene Tochter und die vielen Männer an ihrer Seite. Diese haben eines gemeinsam, sind allesamt Musiker. Mal bekannt, mal dabei, bekannt zu werden, mal selber im Rampenlicht, mal Kollaborateure, die den Weg vom Aufnahmestudio ins Privatleben fanden. Da reicht die Bandbreite von der kurzen Romanze bis zur Heirat: James Taylor, Jackson Browne, Leonard Cohen, David Crosby, Graham Nash, Sam Shepard oder Larry Klein, der zunächst bei Joni Mitchell Bass spielte und ihr Co-Produzent wurde. Später veredelte er Platten von Till Brönner, Herbie Hancock oder Tracy Chapman mit dem typischen Sound, den er an Mitchells Seite auf deren Alben „Chalk Mark In A Rain Storm“ oder „Night Ride Home“ entwickelt hatte. Und zu Klein pflegt sie wie zu fast allen Verflossenen weiterhin ein gutes Verhältnis. So gibt es auf „Wild Things Run Fast“ (1982) Beiträge von insgesamt vier Ex-Männern und einem aktuellen Liebhaber.

Eintauchen in die Musik

Diese Heerschar von Verflossenen wird jedoch nicht durch das Schlüsselloch des Schlafzimmers, sondern des Studios betrachtet. Vielleicht ist Yaffe, der seine Interviews mit Mitchell für Musikmagazine machte, auch gar nicht daran interessiert. Das Emotionale wird thematisiert, aber nicht ausgeweitet. Das schwierige Verhältnisses zur Tochter, die Mitchell erst als erwachsene Frau wiederfand, wird sogar nur gestreift – und das, obwohl im Verlaufe des Buches immer wieder auf die Songtexte hingewiesen wird, in denen die Sängerin sich mit der Problematik auseinander setzt (wie in „Little Green“).

Aber hier – und an anderen Stellen – zeigt sich das Manko des üppigen Buches: Das Lektorat hat nicht hart genug durchgegriffen. Der Text wimmelt von Wiederholungen. Viele von Mitchells Zitaten hätten beherzt gekürzt werden müssen, so salbadert sie bisweilen vor sich hin. Und wirkt wie eine Frau, die alles andere als sympathisch ist. Aber vielleicht ist der Autor auch zu sehr Fan, um dem Idol Einhalt zu gebieten. Die Lust, in Joni Mitchells Musik einzutauchen, vergeht einem bei der Lektüre allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Joni’s music always charms.

David Yaffe. Joni Mitchell – Ein Porträt. Deutsch von Michael Kellner, Matthes & Seitz, 583 S., 28 Euro.

Musiktipps für den Plattenteller

Natürlich ist das Album „Blue“ (1971) mit seinen Hits „River“ oder „A Case Of You“ über alle Zweifel erhaben, ebenso die beiden Vorgänger „Clouds“ (1969) und „Ladies Of The Canyon“ (1970). Aus dem Spätwerk ragen „Turbulent Indigo“ (1994) und „Both Sides Now“ (2000) heraus, auf Letzterem nimmt sie sich auf sehr interessante Weise Jazzstandards an.

Über all dem thront geradezu „Hejira“ (1976). Der Großteil der neun Songs entstand auf einer Reise mit dem Auto durch die USA. Der Sound wird geprägt durch das Bassspiel von Jaco Pastorious, mit dem Mitchell hier zum ersten Mal zusammenarbeitet.

Das Resultat ist ein gut 50-minütiger Traum, durch den der Hörer mal schwebt, mal schlafwandelt, während ihn Musik und Stimme umschmeicheln. (HLL)