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John LennonZum 80. Geburstag gibt es eine neue Soloalben-Kollektion

Lesezeit 5 Minuten
John Lennon

John Lennon und Yoko Ono

  1. Die zum 80. Geburtstag am Freitag erscheinende Soloalben-Kollektion „Gimme Some Truth“ lohnt den Kauf.
  2. Dietmar Kanthak sagt, warum.

John Lennon war einzigartig, als Musiker, als Mensch und natürlich auch als Autobiograf. Sein Büchlein „In His Own Write“ aus dem Jahr 1964 (auf Deutsch: „In seiner eigenen Schreibe“) bereicherte er mit einer kurzen, seiner Herkunft gewidmeten Skizze. „Ich wurde am 9. Oktober 1940 gebohrt, als, glaube ich, die Nazimiefs unter Adoof Hitzler (der nur eins hatte) uns noch bombastierten.“ Den Lesern seiner „Stammlung von Kurzgekichten“ wünschte er zum Schluss: „Gott säge und verhüte Euch.“

Lennon war ein Sprachkünstler, manchmal auch ein Clown; aber einer mit Tiefe. Er besaß eine komplexe, widersprüchliche Persönlichkeit: verletzlich und verletzend, introvertiert und aggressiv. Mal war er Provokateur, mal politisierter Poet und idealistischer Träumer.

Sein Song „Imagine“ transportierte 1971 eine wunderbar wolkige Vision von Frieden, Brüderlichkeit und dem Verzicht auf Materialismus: „Imagine no possessions / I wonder if you can“? Konnte er es? Elton John war einmal bei den Lennons im Dakota Building in New York zu Besuch, in dem das Ehepaar mehrere Wohnungseinheiten erworben hatte.

John stellte mit Erstaunen fest, dass Yoko Ono einen extra gekühlten Raum besaß, in dem sie ihre Pelzmäntel aufbewahrte. John reagierte mit den Liedzeilen: „Imagine six apartments / It isn‘t hard to do. / One is full of fur coats / The other‘s full of shoes.“ Seine Verehrung für den Kollegen hat sich John bis heute erhalten. Einer wie Lennon hätte den Friedensnobelpreis verdient gehabt, teilte Sir Elton gerade mit.

Lennon wurde am 8. Dezember 1980 von einem obsessiven Fan in New York erschossen. Seine Ermordung verwandelte den Ex-Beatle für viele Fans in eine Heiligenfigur des Pop, einen Mythos der Musikkultur. Er stand solchen Bewunderungsexzessen zu Lebzeiten skeptisch gegenüber: „I don‘t believe in dead heroes“, vertraute Lennon einmal dem Journalisten Ray Connolly an.

Solowerk noch im Schatten

Lennons enormer Beitrag zum Beatles-Oeuvre ist bestens dokumentiert, sein Solowerk jenseits des Albums „Imagine“ genießt zu Unrecht nicht dieselbe Wertschätzung. Zahlreiche Neueditionen seiner Alben haben dazu beigetragen, diesen Eindruck zu korrigieren. Die zum 80. Geburtstag am Freitag erscheinende Soloalben-Kollektion „Gimme Some Truth“ dürfte nun die letzten Zweifler überzeugen.

Das liegt vor allem daran, dass niemand die 36 Songs von „Instant Karma! (We All Shine On)“ bis „Give Peace A Chance“ in dieser Form hat hören können. Die Toningenieure Paul Hicks und Sam Gannon haben ihre technische Expertise ganz in den Dienst der Kunst gestellt. Hicks: „Die Kombination aus Remixing der Original-Mehrspuraufnahmen und analoger Technik für die letzten Arbeitsschritte verleiht dem Sound eine ganz neue Magie, Wärme und Klarheit. Auch der Lautstärkeumfang ist viel detaillierter.“

So präsent wie nie

Hicks hat nicht übertrieben. Lennons Stimme hat eine unerhörte Dynamik und Emotionalität gewonnen. Der Sänger erscheint so präsent wie nie. Wer die Augen schließt, wird in manchen Momenten glauben, der Musiker stehe mitten im Wohnzimmer. Lennons Witwe Yoko Ono und Sohn Sean Ono Lennon haben „Gimme Some Truth“ produziert. Auf einen Song haben sie merkwürdigerweise verzichtet: „Mother“ vom 1970er Album „John Lennon/Plastic Ono Band“. Damit sparen sie ein wichtiges Motiv der Künstlerbiografie aus. Seine Jugend verbrachte Lennon in Liverpool weitgehend ohne Vater und ohne seine Mutter Julia; sie starb 1958 bei einem Autounfall.

Die Abwesenheit der Mutter, ihr früher Tod und das daraus resultierende Trauma hätten ihn, stellte Lennon einmal fest, zum Künstlertum getrieben: „Der einzige Grund dafür, dass ich ein Star geworden bin, liegt in der Verdrängung. Nichts hätte mich zu all dem getrieben, wenn ich ,normal‘ gewesen wäre.“ Seine Mutter ist in zahlreichen Stücken gegenwärtig: in „Julia“, „Mother“ (mit der zu Herzen gehenden Zeile „Mama don‘t go, daddy come home!“) und „My Mummy‘s Dead“.

Verbale Prügel für den Mit-Beatle

Die neue Song-Kollektion setzt andere, vorwärtsgewandte Schwerpunkte. Der Song „God“ (1970) war Zeugnis der Emanzipation von den Beatles, ein Glaubensbekenntnis ex negativo. „I don‘t believe in Elvis / I don‘t believe in Zimmerman / I don‘t believe in Beatles / I just believe in me / Yoko and me / And that‘s reality“, sang Lennon. Ohne Yoko Ono lief wenig in seinem Leben. Ein Jahr später verprügelte er Paul McCartney verbal in dem Lied „How Do You Sleep?“ und schmähte die seiner Ansicht nach schnulzigen Hervorbringungen des Ex-Beatles-Partners: „The sound you make is muzak to my ears / You must have learned something in all those years.“

Stücke wie „Beautiful Boy (Darling Boy)“ und „Watching The Wheels“ spiegeln gewissermaßen den psychischen Gesundungsprozess des Musikers und sein privates Glück. 1980 sang er, ganz entspannter Vater: „I‘m just sitting here watching the wheels / go round and round / I really love to watch them roll.“ Das erschien Lichtjahre entfernt von „Cold Turkey“ (1969). Der Song über die Qualen der Sucht mit seinen sägenden Gitarren ist nach wie vor eine dringliche Empfehlung, die Finger von Drogen zu lassen.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was John Lennon als Musiker noch alles hätte leisten können. Er hat ganz viel hinterlassen, darunter eines seiner letzten Lieder, „Grow Old With Me“. Die optimistische Zeile „The best is yet to be“ – das Beste kommt noch – sollte sich nicht erfüllen.