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Jethro Tull auf dem RoncalliplatzWarum tanzt Ian Anderson auf einem Bein?

Lesezeit 4 Minuten
Jethro Tull May 2023

Jethro Tull May 2023

Der Auftritt von Ian Anderson und seiner Band Jethro Tull auf dem Roncalliplatz kann nicht überzeugen.

Ian, bleib’ bei deiner Flöte! Sie kann Töne säuseln, streicheln, wie aus Spitzen geklöppelt klingen lassen. Sie heraus spautzen und sprotzen, rotzen, randalieren, flattern, flatulieren (ohne jedwede Anrüchigkeit zu verbreiten) und fragolieren. Tirilierender Triumph, dann ganz tief im Sumpf, der Schnattermann lässt modrig grüßen. Ein Stoßen und Grumpfen und Umpfen, so, als verbänden sich Blatt und Lippen und Kehlkopf zu einem unterirdisch-urtümlichen Choral. Und dann, so klar heraus und licht hinaus, wie eine Lerche am Morgen.

Aber, Ian, bitte, sing’ nicht mehr. Ob es den 3 000 Menschen, die Donnerstag beim Konzert von Jethro Tull auf dem Roncalliplatz vor dem Dom dabei war, ähnlich ging, kann man nur ahnen. Und dafür um Entschuldigung bitten, dass man jemand, der inzwischen 75 Jahre alt ist, der Musikgeschichte schrieb und Ende 2008 von Queen Elizabeth II. mit dem Titel „Member of the Britisch Empire“ geehrt wurde, einfach so mir nichts, dir nichts duzt. Aber Ian Andersons Stimme war eine Stimme, mit der man erwachsen geworden ist.

Und die sich nun, in der siebten Dekade Jethro Tull, anhört, wie eine geborstene Glocke. Und, in den besten Momenten, wie Moritatengesang. Die Magie ist hin. Obwohl man, kann kurz, vor Schluss des knapp zweistündigen Konzerts (mit 15 Minuten Pause), bei „Aqualung“ noch einen Hauch der Verzauberung verspürt, die Anderson, als Held selbst aufgenommener Musik-Kassetten, als Beschallung progressiver Kunststunden in der Schule oder von pubertären Erstbegegnungen mit Rockmusik in der Kölner Sporthalle verstrahlte.

Darüber, dass es, bis auf wenige Minuten, in Strömen geregnet hat, braucht man eigentlich auch kein Wort zu verlieren. Für Helden leidet man gerne. Aber so – mit ein bisschen weniger Langmut. Der Sound ist, im Prinzip, in Ordnung, aber der Druck, der fehlt. Alles kommt mit gebremstem Schaum rüber. So richtig toll rustikaler Rock ist das nicht. Selbst wenn die erste – und letzte Zugabe – und damit das Non-Plus-Ultra von Jethro Tull – „Locomotive breath“ die Kessel schürt, hat das nicht diesen Krach-Wumm-Effekt, mit dem das musikalische Kraftpaket normalerweise die Dampframme auspackt.

Glücklich sind sie trotzdem. Die Sich-Erinnernden, Ehedem-Schwelgenden und In-den-eigenen-Spuren-Gehenden. Sie springen auf, schütteln durchgeweichte, vor Nässe festgeklebten Rückseiten, dürfen, endlich, bislang zum Fotografieren und Filmen verpönte Handys auspacken (Presse-Fotografen waren hier gänzlich nicht zugelassen). Sie wippen, tanzen, jubeln. Alle singen sie mit: „No way, it could slow down!“

Die Setliste stimmt. Denn sie macht zufrieden. Im ersten Teil gibt es vier Stücke vom zweiten Album „Stand Up“ aus dem Jahr 1969, angefangen vom Opener „Nothing is easy“ über „Sweet dream“, „We used to know“ und die „Buh-Ray“, wie Anderson seine inzwischen auch schon klassische Variante der Komposition von Johann Sebastian Bachs „Bourrée in e minor“ ausspricht.

Die Ansagen des 75-jährigen Schotten sind allgemein sehr erfreulich. Nicht nur deshalb, weil man sein Englisch (ohne jedes F-Wort, dafür ist er viel zu sehr Gentleman) sehr gut verstehen kann, sondern auch, weil er zu diversen Stücken etwas erklärt. Etwa, wenn er vor „We used to know“ sagt: „Das haben die Eagles für ‚Hotel California‘ von uns ausgeliehen, die gleichen Akkorde. Aber wir waren vier Jahre früher.“

Auch das schöne „With you there to help me“ fehlt nicht, ebenso wie „Songs from the wood“ oder, unverzichtbar, „Heavy horses“. Neue Stücke von den zwei aktuellen Alben „The Zealot Gene“ (2022) und das von den Wikingern inspirierte „RökFlöte“ (2023) fügen sich erstaunlich gut in den epischen Prog-Rock-Kanon von Jethro Tull ein.

Als Gastgeber des Abends war der Frontmann mit der Weste und der Flöte agil, zugewandt und freundlich. Und, ab und zu, da tändelt er sogar auf einem Bein. Aber, Ian, bitte, sing’ nicht mehr.

Übrigens: Als Sänger seiner ersten Band spielt er auch Mundharmonika und gewöhnt sich dabei an, auf einem Bein zu stehen, um dabei, sich am Mikrofon abstützend, das Gleichgewicht zu halten. Zur Querflöte findet er erst später, als Autodidakt. Die Pose, die dereinst zum Markenzeichen werden wird, behält er bei.