Im Gespräch spricht Isabelle Huppert über ihren neuen Film, ihre Liebe zu Tieren und Preise, die sie nie bekommen hat.
Isabelle Huppert im Interview"Wir können von den Japanern lernen!"
Seit fünf Jahrzehnten gehen Isabelle Hupperts Figuren durch jedes menschliche Extrem – mit einem Gesicht, das nichts preisgibt und alles vorstellbar macht. „Neu im Kino: „Madame Sidonie in Japan“, eine Geistergeschichte über Trauer und Neuanfang. Die 71-Jährige sprach mit Daniel Benedict — aber nicht über den Namen ihrer Katze.
Frau Huppert, in „Madame Sidonie in Japan“ spielen Sie innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal eine Figur, die von Geistern verfolgt wird. Reizt Sie das Thema?
Was war der andere Geisterfilm?
„Die Zeit, die uns bleibt“ mit Lars Eidinger. Damals war ein verstorbener Sohn der Geist, jetzt der verstorbene Mann.
Das habe ich völlig vergessen. Und jetzt fällt mir sogar ein dritter ein: Im neuen Film von André Téchiné, der auf der Berlinale lief, ist ebenfalls mein Mann verstorben und kommt als Geist zurück. Interessant! Ich habe keine Erklärung dafür. Es wollen wohl gerade viele Tote wieder ins Leben zurück.
Haben Sie selbst mal irgendwas erlebt, das Ihnen wie ein Geist oder zumindest unreal vorkam?
Dafür bin ich zu rational. Ich habe gerade diese drei Geisterfilme gemacht, aber ansonsten nichts mit Geistern zu tun. Den Geist im aktuellen Film hat sich die Regisseurin Élise Girard ausgedacht. Und die glaubt wirklich an Geister. Zumindest hat sie mir das gesagt. Ich halte das für eine Kopfsache. Wenn man intensiv an jemanden denkt, dann kann es passieren, dass man aus dem Nichts heraus seine Gegenwart spürt. Aber das findet nur in der eigenen Vorstellung statt. In Wirklichkeit ist da: nichts.
Gibt es Menschen in Ihrem Leben, die Sie so begleiten wie der tote Ehemann Ihre Filmfigur?
Ich gehe bei der Arbeit an meinen Filmen auf kein persönliches Erlebnis zurück. Man muss eine Erfahrung nicht gemacht haben, um als Schauspielerin von ihr zu erzählen. Aber diese Erfahrung ist sicher universell. Jeder hat seine eigene Weise, an die Toten zu denken. Nach der Trauer bleibt die Erinnerung. Menschen, die man verloren hat, vergisst man nicht. Niemals.
Haben Sie denn eine Vorstellung vom Leben nach dem Tod?
Überhaupt keine.
Filme wie dieser können ein Trost sein, wenn man selbst mit einem Verlust fertigwerden muss. Gibt es Filme oder Kunstwerke oder Musikstücke, die für Sie diese Rolle haben?
Dazu kann ich nur sagen, dass ich ohne Kunst und Literatur nicht leben kann. Ich könnte nicht ohne den Spiegel der Fiktion leben. Das ist für mich so wesentlich wie Essen und Schlafen.
Wie nehmen Sie Filme, wenn Sie ins Kino gehen? Eher von der technischen Seite? Oder eher …
Nein, nein, nein – ich bin ein sehr guter Zuschauer.
Weinen Sie im Kino?
Es kommt vor.
Ihre Figur besucht einen Friedhof und auf den Grabsteinen eines Dichters und seiner Frau stehen nur die Worte: „Nichts“ und „Stille“. Was gefällt Ihnen besser?
Ich weiß auch nicht – beides. Das Nichts gefällt mir, weil es zugleich immer auch alles bedeutet. Und das Schweigen, weil es etwas ist, dem zuzuhören man lernen kann. In beidem ist immer auch das Gegenteil anwesend. Das mag ich.
Ihr aktueller Film spielt in Japan, einen anderen haben Sie gerade in Südkorea gedreht. Gibt es in der asiatischen Kultur etwas, das Sie in der französischen vermissen?
Na ja, klar, im Vergleich mit der französischen auf jeden Fall. Den Franzosen, besonders den Parisern, eilt ja nicht gerade der Ruf freundlicher Einfühlsamkeit voraus. Da können wir von den Japanern eine Menge lernen. Die sind extrem zivilisiert und entgegenkommend. Was sicher nicht heißt, dass unter der Oberfläche nicht dieselben menschlichen Gefühle brodeln. Aber der erste Eindruck ist sehr angenehm, freundlich und mild.
In der asiatischen Kultur spielen Tiere eine große Rolle; auch im Film sieht man immer wieder Hirsche, Eulen, Ibisse, mal als Kunstwerk, mal als lebendes Tier. Ist das etwas, das die westliche Welt verloren hat?
Ich glaube nicht. Andere Länder haben auch enge Beziehungen zu Tieren, zu ihren Katzen oder zu ihren Hunden.
Haben Sie selbst Tiere?
Eine Katze.
Verraten Sie, wie sie heißt? Und was für eine Persönlichkeit sie hat?
Sie ist lieb. Ihren Namen sage ich nicht.
Sie sprechen nicht gern über Ihre Katze?
Ich spreche allgemein nicht gern über persönliche Dinge.
Genau wie Ihre Kollegin Sandra Hüller. In „Zone of Interest“ hat sie ihren eigenen Hund mitspielen lassen. Aber seinen Namen verrät sie auch nicht.
Das verstehe ich gut. Es ist einfach zu persönlich. Ich liebe meine Katze. Es ist eine großartige Katze. Belassen wir es dabei.
Viele Ihrer Filme sind Klassiker. Beschäftigt Ihr Frühwerk Sie heute noch oder denken Sie immer nur an den kommenden Film?
Mir ist klar, dass bestimmte Filme das Publikum besonders berührt haben: „Die Spitzenklöpplerin“ oder „Violette Nozière“ zum Beispiel, das sind Filme, die einen starken Eindruck hinterlassen haben. Mich berühren alle meine Filme. Es ist nicht so, dass ich die erfolgreichen den weniger erfolgreichen vorziehen würde. Ich mag alle, die ich gemacht habe.
Hat Ihr Schauspiel sich in all den Jahren verändert?
Ich weiß nicht – aber ich glaube nicht. Natürlich habe ich selbst mich verändert. Ich bin nicht mehr die Person, die ich am Anfang war, also verändern sich auch meine Filme. Aber mein Schauspiel verändert sich hoffentlich nur mit der Rolle, nicht mit meinem Leben.
Sie gelten als eine Schauspielerin, die nie den falschen Regisseur auswählt. Sagen Sie das selbst auch?
Ich gebe mir jedenfalls Mühe und habe eine gute Intuition. Man kann den Regisseur aber nicht vom Film trennen, vom Drehbuch, vom Stoff. Es stimmt: Ich hatte Glück und wahrscheinlich auch das nötige Geschick mit meinen Regisseuren. Aber natürlich ist es keine große Leistung, wenn man mit Regisseuren wie Michael Haneke arbeitet. Jeder weiß, dass die gut sind. Bei den unbekannteren habe ich aber auch gute Entscheidungen getroffen.
Gibt es eine Rolle, für die Sie einen Preis hätten kriegen müssen, der nie kam?
Haha! Das entscheide nicht ich. Ich denke, ich habe genug Preise bekommen.