Mit den „Vorbeiziehenden Wolken“ feiert Dirk Joeres sein CD-Debüt als Komponist. Jan Sting sprach mit dem 76-Jährigen über seine Erfahrungen mit den Miniaturen, die es in sich haben.
CD von Dirk Joeres„Musik ist kein Tapetenmuster“
Ihre Klavierstücke „Passing Clouds“ sind sehr erfolgreich und neuerdings sogar an Bord der Lufthansa-Maschinen oder in Hilton-Hotels zu hören. War das Komponieren schon immer eine Passion, oder kam das aus heiterem Himmel?
Ich habe immer mal etwas aufgeschrieben, spontane Einfälle von einigen wenigen Takten. Dann kam die Corona-Zeit, da gab es für mich nichts zu tun. Ich hatte ja Auftrittsverbot.
Das war für Musiker eine schlimme, aber auch kreative Zeit.
Stimmt. In dieser Zeit habe ich mich an die Skizzen erinnert und geschaut, was da in der Schublade lag. Ließe sich das erweitern? Und das ein oder andere erschien mir entwicklungsfähig.
Sie haben die Klavierstücke also nicht gezielt komponiert?
Nein, es war zunächst eine Spielerei. Ernst wurde es erst, als es an die Ausarbeitung ging.
Es hat Ihnen in den Fingern gejuckt?
Als Interpret hat man ja das Privileg, ein Leben lang die wunderbare Musik anderer zu spielen, auch der Größten wie Beethoven oder Brahms. Aber irgendwie hatte ich immer das Bedürfnis, nicht nur zu reproduzieren, sondern eben auch zu produzieren.
Sind Beethoven und Brahms Ihre Vorbilder?
Nun, zumindest fühle ich mich durch sie, wie durch viele andere Komponisten auch, zum Schreiben angeregt. Denn ich sehe zum Beispiel, mit welcher Meisterschaft große Komponisten gerade das Einfache, das so schwer zu realisieren ist, beherrschten. Nehmen wir Beethovens kleines Klavierstück „Für Elise“. Damit schrieb er einen Welthit. Ein im einzelnen ganz einfach strukturiertes Stück, aber das Ganze ist mehr als die Summer der Teile.
Was waren das für Miniaturen, die Sie gesammelt haben? Einfache Einfälle, die man von einer Melodie hat?
Es waren zumeist wenige Takte oder Harmoniefolgen. Die habe ich auf ihr Potenzial hin durchgesehen. Auf keinen Fall wollte ich so etwas wie Minimal– oder Wellnessmusik schreiben.
Also keine in Wattewolken gedämpften Klavierklänge, die ja mitunter schon an so etwas wie Nahtoderfahrungen erinnern.
Dem wollte ich etwas entgegensetzen, indem ich versuche, Musik zu schreiben, die eine Struktur hat. Denn ich möchte, dass die Hörer das Gefühl haben: Es entwickelt sich etwas, die Musik erzählt eine Geschichte, ist also nicht Musik in Form eines Tapetenmusters.
Sie hatten in Paris eine ausgezeichnete Lehrerin. Nadia Boulanger, die als Musikpädagogin zur Legende wurde. Generationen von Komponisten gingen bei ihr in die Lehre – Aaron Copland und Leonard Bernstein ebenso wie Astor Piazzolla und Quincy Jones.
Ja, das war wirklich eine außergewöhnliche Konstellation. Nadia Boulanger war ja noch Schülerin von Gabriel Fauré am Pariser Konservatorium und damit sozusagen eine Brücke in die Vergangenheit. Von den melodischen und harmonischen Finessen eines Fauré oder Debussy oder Ravel „aus erster Hand“ zu erfahren – das war schon etwas Besonderes.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ja, die „Pavane“ von Fauré – ein Musterbeispiel dafür, wie Ausdruckstiefe mit einfachen Mitteln erreicht wird. Oder nehmen wir das bekannte Klavierstück „Clair de Lune“ von Claude Debussy: Ein Stimmungsbild von höchstem Raffinement, das mit wenigen Strichen gezeichnet ist.
Ihre „Passing Clouds“ sind ebenfalls ganz klar strukturiert. Haben Sie das am Tisch geschrieben?
Ein Einfall ist plötzlich da – den spiele ich zunächst am Klavier. Dann gehe ich spazieren, komponiere dabei im Kopf weiter, setze mich wieder ans Klavier, überprüfe und korrigiere. So geht es mehrere Male hin und her bis zur notierten Endfassung.
Wenn man so viel Musikliteratur anderer Komponisten gespielt hat, wie schafft man dann noch etwas Eigenes?
Als Interpret hat man natürlich eine riesige Menge an Musik erfahren und unterliegt damit der Gefahr, eklektizistisch zu schreiben. Dann entsteht die berühmte „Kapellmeistermusik“. Diesem Vorwurf war selbst Gustav Mahler ausgesetzt.
Seine Musik hat das widerlegt. Wie schätzen Sie Ihr Klavierwerk ein?
Die Beurteilung möchte ich gern anderen überlassen. Ich wäre aber sehr zufrieden, wenn meine Musik Menschen emotional berührt.
Haben Sie die „Passing Clouds“ schon in zwölf Kilometern Höhe gehört?
Noch nicht. Wenn wir demnächst nach London fliegen, werden wir vielleicht einmal Lufthansa buchen, um es uns da oben anzuhören.
In Bonn wurde Dirk Joeres 1947 geboren und studierte Dirigieren und Klavier in Berlin, Köln und London sowie Komposition in Paris bei Nadia Boulanger (1887 – 1979), der Grande Dame der musikalischen Moderne. 1972 gewann er den Ersten Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb in Vercelli in Italien. Als Dirigent leitet er die Westdeutschen Sinfonia. „Passing Clouds“ erscheint bei ZYXMusic.