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Interview mit den Ärzten„Momentan würde es der ganzen Welt guttun, inne zu halten“

Lesezeit 7 Minuten
Ärzte

Die Ärzte mit Farin Urlaub, Rodrigo Gonzalez und Bela B (von links)

  1. Von Trennung ist keine Rede mehr: Das Berliner Punk-Trio Die Ärzte bringt an diesem Wochenende nach langer Schaffenspause das Album „Hell“ mit 18 neuen Song heraus.
  2. Die Tournee wurde auf 2021 verschoben.

Es wird viel gelacht im Backstage-Raum der Berliner Columbiahalle. Dass es lange Zeit so aussah, als würde es kein nächstes Ärzte-Album geben, merkt man Farin Urlaub (56), Bela B (57) und Rodrigo Gonzalez (52) nicht mehr an. Nach acht Jahren voller Konflikte und Trennungsgerüchte kommt ihre neue Platte „Hell“ an diesem Wochenende heraus. Darauf präsentiert das Fun-Punk-Trio einen bunten Strauß an aktuellen Themen, eingespielt mit den gewohnten Spaßakzenten der Ärzte. Mit den drei Berlinern sprach Katja Schwemmers.

Bela, Farin, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung?

Farin: Klar, 1980 im Ballhaus  Spandau. Es dröhnten Lieder von The Members bis Sid Vicious aus den Lautsprechern.

Bela B: Farin kam frisch aus dem Urlaub, braun gebrannt.

Farin: Damals noch mit ungefärbten blonden Haaren.

Gab es musikalische Pläne?

Farin: Ich wollte unbedingt in einer Band spielen. Aber es gab niemanden in meinem Umfeld, der interessiert war. Ich besaß eine E-Gitarre, die ich so gut spielen konnte, dass man sie immerhin raushörte.

Gibt es eine Gegend in Berlin, wo Sie nostalgisch werden?

Farin: Ja, definitiv Kreuzberg.

Bela B: Das SO36 steht noch. Die Bar Franken gegenüber auch. Aber daneben sind dann die Luxusrestaurants, vor denen fette Karren parken.

Farin: Ich wohnte in Frohnau und war dort der allerallererste Punk. Ich erinnere mich an einen Taxifahrer, der mir üble Sache an den Hals wünschte. Das fand ich damals natürlich super, weil ich endlich mal eine Reaktion auslöste. Ich war 16, und ich hatte schon Feinde. Erwachsene Feinde wohl gemerkt.

War Berlin rauer als heute?

Farin: Hallo? Na, klar!

Bela B: Aber es gibt heute noch solche Orte, die haben sich bloß weiter in die Randbezirke verlagert.

Laufen Ihnen noch häufig Punks von früher über den Weg?

Farin: In der Punkrockszene wurde gern früh gestorben. Aber die, die noch da sind, halten die Stellung.

Sie haben an einer Online-Lesung teilgenommen, um Geld für das SO36 zu sammeln. Droht der Kahlschlag durch die Pandemie?

Bela B: Ja, und nicht nur in Berlin.

Farin: Wenn die Pandemie noch zwei Jahre das Clubgeschehen lahmlegt, wird es wohl keine Clubs mehr geben. Die Ärzte sind auf diesen Bühnen groß geworden. Ich wüsste nicht, wo der Nachwuchs dann herkommen sollte.

Im Netz kursiert das Video „Kinder reagieren auf Die Ärzte“. Die ersten Töne von „Schrei nach Liebe“ erklingen, die Kids drehen durch. Springen Kinder auf Ihre Musik an?

Farin: Auf meiner Webseite gibt es Gästebucheinträge von Lehrern im Ausland. Die schreiben, dass unsere Songs grandios für den Deutschunterricht wären.

Wie sieht das im Unterricht aus?

Farin: Das ist auf Beweisvideos zu sehen. Es gibt eine Schule in Namibia, da singen die Schüler begeistert einen Song, nachdem sie gerade die Wörter gelernt hatten.

Bela B: Es ist fast Standard, dass mich Menschen auf der Straße ansprechen und begeistert erzählen, sie hätten über unsere Musik deutsch gelernt. Das macht mich sehr stolz und bestätigt mir, dass unser fast penibler Umgang mit der deutschen Sprache all die Jahre Sinn gemacht hat.

Hätten Sie sich das träumen lassen, von Lehrern als pädagogisch wertvoll eingestuft zu werden?

Bela B: Als wir anfingen, gab es diese Grundsatzfrage: Tote Hosen oder Die Ärzte? Campino hat damals die Hosen als Band bezeichnet, die gern fürs Volk und für Fußballprolls in den Stadien spielen will. Bei uns war das anders: Es kamen viele Frauen, Oberschüler und Abiturienten. Die Akademiker von morgen hatten sich also für Die Ärzte entschieden, wenn sie sich denn überhaupt für eine der beiden Bands entscheiden wollten. Und diese Elite schreibt heute Zeugnisse oder arbeitet bei den Medien. Pech gehabt, Hosen!

Wie ist es, nach acht Jahren eine neue Platte zu veröffentlichen?

Rod: Wir sind sehr glücklich über unser Werk.

Farin: Und das hängt auch damit zusammen, dass wir mit zunehmenden Alter einander noch mehr wertschätzen, was sich diesmal in einem liebevolleren Umgang ausdrückte. Wir haben viele andere tolle Musikprojekte, aber man merkt: Mit den Ärzten ist es etwas Besonderes.

Warum hat es so lange gedauert?

Farin: Jeder von uns schreibt Songs, die die anderen beiden niemals schreiben würden. Aber als Band kannst du nicht sagen: 2020 sind wir mal extrem kreativ. Das haut nicht hin.

Amüsieren Sie sich darüber, wenn die Fans rätseln und denken, Die Ärzte würden sich nun auflösen?

Bela B: Die Verwirrung, die da draußen herrscht und sich aus dem kleinsten Funken aufbaut, den wir ablassen – klar, das finden wir schon lustig. Aber das stacheln wir selbst gar nicht an. Es gibt wirklich die Todessehnsucht des Ärzte-Fans! So nach dem Motto: Diesmal ist es aber wirklich vorbei. Aber das ist es ja schon seit 96 immer wieder.

Wie nah waren Sie nach 2012 dran, das Handtuch zu werfen?

Bela B: Irgendwas lief damals schief; es gab Animositäten. Und so wenig wir Leute von außen teilhaben lassen an der Gefühlswelt in der Band, genauso wenig konnten wir unseren Unmut gegenseitig verstecken. Das Album davor war die erfolgreichste Platte unserer Karriere. Ich konnte mir nicht erklären, warum auf einmal eine solch düstere Stimmung herrschte.

Farin: Die Chemie stimmte nicht, die Luft war raus, deswegen hatten wir diese sehr lange Pause, die auch nicht als lange Pause geplant war, sondern eher was hatte von: Ja, wahrscheinlich war’s das jetzt.

Wie viel Kontakt hatten Sie noch untereinander?

Farin: Wir hatten zwei Jahre lang Funkstille.

Bela B: Anderthalb.

Farin: Aber es gab immer mal wieder kleine Kontaktaufnahmen. Von Bela kam mal eine SMS. Rod und ich wohnen nicht weit voneinander entfernt. Man sieht sich gelegentlich, redet nicht über Musik, sondern vielleicht über Motorräder.

Rod: Meistens reden wir über Beatles.

Bela B: Ganz schwieriges Thema! Ich glaub, ich geh mal raus.

Rod: So beginnen die Animositäten meistens. (Gelächter)

Beantworten Sie mit dem neuen Song „Morgens Pauken“ die ewige Frage, ob Die Ärzte noch Punkrock machen?

Rod: Das haben wir schon auf der letzten Platte gemacht. Diesmal haben wir’s vergessen.

Ist „Achtung: Bielefeld“ ein Plädoyer für mehr Müßiggang?

Bela B: Momentan würde es der ganzen Welt guttun, inne zu halten und mal einen Gang runterzuschalten. Und Langeweile vielleicht gar nicht als Langeweile, sondern als Geschenk zu empfinden, weil man sich erholen kann von gewissen Dingen. Deshalb war es mir auch so wichtig, die Mutter aus Aleppo, die sich nach Langeweile sehnt, im Song zu haben. Ich sehe auch in der Maske, die man ja trägt, um andere Menschen zu schützen, ein Zeichen der Solidarität anderen Menschen gegenüber. Deshalb ärgert mich dieses Rumgejammer der „Hygiene-Kämpfer“.

Was hat es mit der Verschwörungsballade „Fexxo Cigol“ auf sich?

Farin: Verschwörungstheoretiker haben in einer komplexen Welt, die sie völlig überfordert, die einfachste Antwort. Und dann sind sie auch noch froh, wenn sie diese einfache Antwort für sich alleine haben. Wenn ich also sage: „Aber das ist doch gar nicht so“, heißt es: „Du weißt es nur nicht. Ich habe esoterisches Wissen und einen Vorsprung vor dir.“ Das ist nicht unsere Welt.

Bela B: Wenn man meint, dass irgendwo auf der Welt reiche Menschen Kinder entführen, um ihnen einen Stoff zu entziehen, der jünger macht, ist das ein Problem. Oder ist irgendjemandem aufgefallen, dass Hillary Clinton und Bill Gates von Jahr zu Jahr jünger werden?

Ist Ihr Song „Woodburger“ überhaupt politisch korrekt?

Bela B: Der Song geht so plakativ mit dem Wort „schwul“ um und ist alles andere als homophob oder politisch inkorrekt. Er ist höchst albern. Ich möchte den treffen, der sich dadurch beleidigt fühlt, das müsste mir dann schon jemand begründen. Ich finde, Farin ist extrem gut umgegangen mit dem Thema. Und ich finde cool, dass ein Musiker gesetzteren Alters am Ende noch mal „superschwul“ ins Mikro säuselt. Letztendlich ist es ein Song gegen rechtes Gedankengut.