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Interview mit Daniel Kehlmann"Sein Timing war verheerend"

Lesezeit 3 Minuten
Porträt des Schriftstellers Daniel Kehlmann

Daniel Kehlmann schreibt in "Lichtspiel" über das Leben des Regisseurs Georg Wilhelm Pabst in der NS-Zeit.

In „Lichtspiel“ erzählt Daniel Kehlmann vom Leben des Regisseurs Georg Wilhelm Pabst zwischen Hollywood und dem Deutschland der NS-Zeit. Im Rundschau-Interview beantwortet der Autor die Fragen von Hartmut Wilmes.

Sie hätten auch über Ernst Lubitsch oder Fritz Lang schreiben können. Was hat Sie dazu bewogen, den beinahe vergessenen G.W. Pabst zum Helden von „Lichtspiel“ zu machen?

Nur Pabst hat diese einzigartige Emigrationsgeschichte. Er war schon in Sicherheit in Hollywood - plötzlich ging er zurück nach Europa und dann sogar ins Dritte Reich. Ich kenne nichts Vergleichbares. Davon wollte ich erzählen.

Beim Filmschnitt, Pabsts Paradedisziplin, ist Timing fast alles, doch das schlechte Timing in seinem Leben war beinahe tragisch, oder?

Oh ja, sein Timing war verheerend, und er war oft sehr unentschlossen. Das fand ich besonders interessant an einem Regisseur, der ja hauptberuflich anderen Leuten sagt, was sie tun, wie sie sich verhalten sollen.

Der Regisseur hat nach seinem Hollywood-Debakel im „Dritten Reich“ auf Druck der Nazis weitergearbeitet, auch in dem Glauben, seine Kunst werde diese schreckliche Epoche überleben. Soll man ihm dies moralisch vorwerfen?

Jeder kleine Schritt scheint vertretbar, aber auf einmal ist man viel zu weit gegangen und weiß gar nicht, wie das passiert ist.
Daniel Kehlmann, Schriftsteller

Also eine moralisch bewundernswürdige Tat war das sicher nicht, aber was ich in dem Roman versuche, ist, Schritt für Schritt nachzuzeichnen, wie man in einem totalitären Regime von einem Kompromiss zum nächsten manövriert. Jeder kleine Schritt scheint vertretbar, aber auf einmal ist man viel zu weit gegangen und weiß gar nicht, wie das passiert ist. Eine Diktatur lebt davon, alle Menschen zu Mittätern und Mitschuldigen zu machen. Es ist sehr schwer, sich zu verweigern, wenn man einmal in ihre Netze geraten ist.

Ihre Goebbels-Figur verteilt ebene noch joviale Komplimente und droht im nächsten Satz mit dem KZ. Ist diese wahnwitzige Szene pure Improvisation des Autors?

Da sage ich doch mit einigem Stolz: Ja, ist sie. Dafür schreibt man ja – um sich so etwas ausdenken zu dürfen. Es ist eine furchtbare Szene von großer emotionaler Brutalität, aber es macht auch Spaß, so etwas zu schreiben. Selbst bei den dunkelsten Themen gibt es eine Freude, die in der künstlerischen Gestaltung liegt.

Wie haben Sie überhaupt für sich die Balance zwischen Recherche und Fiktion gefunden?

Dafür gibt es keine Standardrezepte, man muss viel über innere Richtigkeit und Angemessenheit nachdenken. In einem Roman darf und muss man erfinden, aber man muss auch selbst wissen, was man erfunden hat und warum. Man darf nicht aus Ahnungslosigkeit erfinden, es muss immer einen guten Grund geben, der mit der inneren Richtigkeit der Geschichte zu tun hat.

Ihre schönste Erfindung ist Franz Wilzek, angeblich der Assistent von Pabst beim verschollenen Film „Der Fall Molander“. Sie dichten dem Regisseur hier eine subversive Visualisierung der Romanvorlage eines Regime-Günstlings an – Ihr Tribut an G.W. Pabst?

In Wirklichkeit war „Der Fall Molander“ weder subversiv, noch ein visuelles Meisterwerk – also ja, es ist in gewisser Weise ein Tribut an Pabsts Größe, dass ich diesen Film in meinem Roman zu einer avantgardistischen Spitzenleistung mache, bei der Pabst zu seiner alten Größe aus Stummfilmtagen aufläuft. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das in Wirklichkeit so war, aber auch hier fühlt es sich für die Geschichte richtiger, angemessener an, zum Äußersten zu gehen.

Für Leni Riefenstahl hegen Sie hingegen keinerlei Sympathie und für Heinz Rühmann auch nicht viel mehr…

Doch, Rühmanns Verhalten war nicht heldenhaft, aber auch nicht katastrophal. Er hat keine schlimmen Propagandafilme gedreht, und er war kein Denunziant. Leni Riefenstahl war ein lupenreines Monster. Ein ganz und gar entsetzlicher Mensch, und meiner Meinung auch eine in der Nachkriegszeit viel zu sehr überschätzte Regisseurin. Man muss sich mal ihren Film „Tiefland“ ansehen, dann ist man schnell von dem Vorurteil geheilt, dass sie eine große Künstlerin war.

Haben Sie sich eigentlich beim Schreiben auch gefragt, welche Art Künstler Sie selbst wohl in dieser Diktatur gewesen wären?

Natürlich, das fragt man sich immer wieder. Aber die einzige angemessene Antwort ist: Ich hoffe, ich hätte die Prüfung bestanden. Das ist nicht ganz dasselbe wie zu sagen: Wer weiß, was ich getan hätte! Wer es so formuliert, macht es sich zu einfach. Man muss schon auch an sich selbst moralische Ansprüche haben.

Staatszensur und Lebensgefahr gibt es für westliche Schriftsteller momentan nicht. Sehen Sie gleichwohl Gefahren für das freie Wort?

Bei uns nicht. Ich würde nie den Umstand, dass man heute leicht auf Twitter beschimpft wird, zu einer ernsthaften Gefahr für die Redefreiheit stilisieren. Aber in großen Teilen der Welt gibt es keine freie Meinungsäußerung mehr, und zwar nicht wegen Twitter, sondern weil man buchstäblich für ein falsches Wort verhaftet und getötet werden kann. Es sind düstere Zeiten, und wir alle müssen uns darum bemühen, dass die Räume der Freiheit nicht noch weiter schrumpfen.