AboAbonnieren

Interview mit Autor Nathan HillDie Angst vor dem Shitstorm

Lesezeit 4 Minuten
Nathan Hill

Nathan Hill beim Interview im Dorint Hotel.

In seinem neuen Buch „Wellness“ erzählt Nathan Hill vom Auf und Ab in der Beziehung eines Paares, das er jetzt auf der lit.Cologne vorstellte. Im Interview spricht er über die Liebe in den Zeiten des Internets und die Macht der Sozialen Medien.

Seit Ihrem ersten Roman sind sieben Jahre ins Land gegangen. Wie kam es?

Zwanzig Jahre lang hatte ich versucht, Erfolg als Autor zu haben — und es funktionierte überhaupt nicht. Als es mit „Geister“ klappte und das Buch dazu zwei Dutzend Mal übersetzt wurde, habe ich bei jeder Anfrage für Lesungen und Festivals ja gesagt. Zweieinhalb Jahre war ich nie länger als zwei, drei Wochen am Stück zu Hause. Ich hatte zwar eine Idee für das nächste Buch, richtig zu schreiben begonnen habe ich dann erst während Corona.

In „Wellness“ schlagen sich die Protagonisten Elizabeth und Jack mit praktisch allen Problemen herum, die sich modernen Paaren stellen – Kindererziehung, schwierige Eltern, schlechte Wohnsituation, Einschlafen der Romantik, die Versuchungen des Internets. An einer Stelle schreiben Sie: „Sie lösten ihre Probleme nicht, sie gewöhnten sich an sie.“

Hier in Deutschland kann ich es ja erzählen, weil meine Freunde zu Hause es nicht lesen werden (lacht): Es gibt so viele Paare in meinem Umfeld, die sich scheiden lassen, nicht weil sie so viel streiten, sondern weil sie sich dazu entschieden haben, still zu sein, statt offen im Umgang miteinander. Und so drifteten sie auseinander. Über diese Art von Paar wollte ich schreiben.

Jack probiert eine App aus, um seinen Körper und sein Sexleben zu verbessern, Elizabeth liest Massen von Artikeln über Kindererziehung – und beide scheitern damit. Sollten wir uns mehr auf unsere Instinkte verlassen?

Das ist eine schwierige Frage. Die deutsche Bedeutung von „Wellness“, also ein Spa zu besuchen und entspannen, gefällt mir besser als die amerikanische. Dort ist es pervertiert worden durch Konsumverhalten: Uhren, die deine Schritte zählen, Nahrungsergänzungs- und Diätmittel, Fitness-Coaches, die bestimmte Programme anbieten oder auch Internetseiten mit Clickbait-Geschichten wie „Sieben Dinge, die du vor dem ersten Kaffee machen solltest“ oder „Neun Fehler, die du beim Duschen machst“. Also, ja, man sollte wirklich mehr seinen eigenen Instinkten vertrauen – und vor allem nicht diesen trügerischen Stimmen im Netz.

Ganz plötzlich und schuldlos befinden sich die beiden inmitten eines virtuellen Shitstorms. Ist das – abgesehen von Krankheiten und Tod – das Schlimmste, was der weißen Mittelklasse dieser Tage zustoßen kann?

Vielleicht nicht das Schlimmste, aber etwas, vor dem sie mehr und mehr Angst hat. Wenn ich früher zu Beginn eines Kurses Studenten fragte, wovor sie sich am meisten fürchten, war die Antwort lange Zeit Erfolglosigkeit oder Texte den Eltern zu zeigen. Zuletzt war es die Angst, im Internet bedroht oder gecancelt zu werden.

Elizabeth arbeitet in einem Institut, das zum einen homöopathische Produkte auf ihre Wirksamkeit testet, sich aber auch Wirkungsgeschichten für Placebos ausdenkt, etwa für ein Nasenspray, das das eingeschlafene Begehren des Partners wieder stimuliert. Das haben Sie sich hoffentlich ausgedacht...

Ja, auf jeden Fall. Manchmal macht man einen Witz und realisiert, dass er Potenzial hat. Als eine Freundin eine Diät machte, die meine Frau und ich lächerlich fanden, schlug ich meiner Frau vor, dass wir eine Firma gründen sollten, die sich bescheuerte Geschichten ausdenkt, um Menschen alles Mögliche zu verkaufen. Zunächst war es also nur ein Witz, doch irgendwann realisierte ich, dass es zum Dreh- und Angelpunkt des Buches wurde.

In einer langen Passage beschreiben Sie, wie Facebook mit bestimmten Algorithmen Menschen dazu bringt, mehr Zeit auf der Plattform zu verbringen, und wie man so gezielt mit „passenden“ Inhalten versorgt wird.

Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass Facebook eine Menge Patente zu Algorithmen angemeldet hat, darunter einige sehr verstörende: Dass Facebook deine Kamera benutzen kann, um zu sehen, in welcher Stimmung du bist, um dir dann entsprechende Inhalte zu zeigen.

Ich lebe in einem sehr konservativen Teil von Naples, Florida, und habe einige Bekannte, mit denen ich nur Tennis spiele, Politik lassen wir außen vor. Während der Pandemie haben einige unter anderem Verschwörungstheorien gepostet, vor allem einer von ihnen. Ich habe dann versucht, ihm durch Links zu anderen Artikeln eine andere Sicht zu vermitteln.

So wie Jack es im Buch bei seinem Vater probiert.

Genau, aber auch dieser Mann postete weiter und weiter. Doch weil ich mir seine Links und Gruppen angeschaut hatte, spülte mir Facebook irgendwann Entsprechendes in die Timeline. Da war mir klar, dass Facebook meine Freundschaft mit diesem Menschen egal ist, sondern es nur darum geht, möglichst lange auf der Plattform zu bleiben.