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Wahrheit oder Fälschung?In seinem neuen Roman ist Bret Easton Ellis der vermeintliche Ich-Erzähler

Lesezeit 3 Minuten
ARCHIV - 30.08.2013, Italien, Venedig: US-Schriftsteller Bret Easton Ellis kommt zur Aufführung von "The Canyons" beim 70. Filmfestival von Venedig. In seinem neuen Roman »Weiß« verbindet Bret Easton Ellis autobiografische Erlebnisse mit schonungslosen Beobachtungen und Erfahrungen, die er mit der amerikanischen Gesellschaft in den letzten Jahren gemacht hat. Foto: Ettore Ferrari/ANSA/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bret Easton Ellis spielt mit Identitäten.

Mit seinen Romanen „American Psycho“ oder „Unter Null“ fing Bret Easton Ellis das hedonistische Lebensgefühl der frühen 1980er-Jahre ein. Dieser Tradition folgt er in seinem neuen Werk „The Shards“.

Sie wohnen wie Filmstars in den Hügeln von Los Angeles. Die Eltern sind entweder gerade an der Ostküste, auf langen Kreuzfahrten oder daheim so sehr mit ihren Karrieren beschäftigt, dass ihre 17-jährigen Kinder alle Freiheiten haben. So fahren sie im Porsche 911 oder Mercedes 450 SL-Cabrio zur Schule, zum lokalen Rauschgifthändler oder auf eine der unzähligen Pool-Partys. L.A. in den 1980ern – ein vergiftetes Schlaraffenland voller Geld, Sex, Drogen und innerer Leere.

Verwöhnte Wohlstandswaisen

Umso wichtiger wird für diese Wohlstandswaisen ihre Ersatzfamilie auf der Buckley High School. Als Zentralgestirn überstrahlt ein Glamourpaar die Clique: Football-Crack Thom Wright und Schönheitskönigin Susan Reynolds, dicht gefolgt von der attraktiven Filmproduzententochter Debbie Schaffer und Bret Easton Ellis. Letzterer ist „zufällig“ auch Autor und Ich-Erzähler dieses Romans, weshalb „The Shards“ (Die Scherben) tiefe Einblicke ins Leben des heute 58-Jährigen als junger Mann verspricht.

Bret setzt denn auch gleich ein paar autobiografische Leuchtbojen ab, etwa die frühreife Arbeit am tatsächlichen Romandebüt „Unter Null“ oder den späteren Skandal um „American Psycho“, der ihn als eine Art „Fürst der Finsternis“ erscheinen ließ. Vor allem aber, so raunt er in unheilsschwangerem Rückblick, soll es um den Herbst 1981 gehen, als die verwöhnten Teenager durch ein Höllentor ins Erwachsenenleben gestoßen wurden.

Seine Schönheit würde ihn mit allem davonkommen lassen.
„Bret“ über seinen Mitschüler Robert

„Etwas war in die Stadt gekommen“, bemerkt der hellsichtige Knabe. Einerseits meint er das unheimliche Treiben des sogenannten „Trawlers“: erst wortlose Anrufe, dann Wohnungseinbrüche, verschwundene Haustiere und Mädchen, die später in perversen Arrangements als Leichen auftauchen. Andererseits ist da der neue, etwas zwielichtige Mitschüler Robert Mallory, von dem Bret ahnt: „Seine Schönheit würde ihn mit allem davonkommen lassen.“

Männliche Reize sind für den frühreifen Schriftsteller da längst wichtiger als weibliche, heimlich schläft er mit den athletischen Mitschülern Matt und Ryan, auch mit Debbies ruchlosem Vater Terry – und schafft es doch irgendwie, sein Hetero-Image zu bewahren. Bret Easton Ellis hingegen erwähnt in der Rahmenhandlung mehrfach seinen Lebenspartner Todd.

Früh hat der amerikanische Autor sein eigentlich effektvolles Erzählschema etabliert: Hier noch der „sorglose Sonnenbrand“ der Jugend mit viel (überwiegend schwulem) Sex, dort schon ein dunkler Sog aus Gewalt. Die Vorboten des Grauens aber geraten zwischendurch beinahe in Vergessenheit. Zu ausgiebig wird noch einmal die toxische Mischung aus Promiskuität, Drogendämmer und emotionalem Überdruss angerührt, die „Unter Null“ 1985 zur Provokation gemacht hatte. Und allzu oft ist Bret im Cabrio auf kalifornischen Canyon-Straßen unterwegs, schöne Technicolorfahrten mit hohem Selbstzweckfaktor.

Immerhin läuft dabei stets der zu Stimmung wie Situation passende Song: „This means nothing to me“ singen Ultravox in „Vienna“, „Ashes to ashes“ orakelt David Bowie, und „Somebody got murdered“ konstatieren The Clash. Fehlt eigentlich nur „Comfortably numb“ (Angenehm taub) von Pink Floyd. So beult sich die Story gerade im Mittelteil der vor sich hin dümpelnden Beziehungskrisen ins Belanglose aus.

Bis Ellis die Zügel wieder anzieht. Plötzlich sind die „Trawler“-Morde mehr als Zeitungsschlagzeilen, der Horror kommt näher. Und Bret scheint zu wissen, dass der von ihm ebenso begehrte wie verabscheute Robert irgendwie in all das verwickelt ist. Das Prinzip der Autofiktion erweist sich nun als tückisch, die behauptete Identität von Romanautor und -held als flirrende Fata Morgana.

Je exklusiver Brets Wissen um die Gewalttaten wird, umso stärker zweifelt der Leser: Hat man es hier mit einem besonders wachsamen Kronzeugen zu tun oder womöglich mit dem Motor des Monströsen? Auch das Slasher-Finale löst keineswegs alle Rätsel, lässt aber die Scherben des Romans endlich sehr gefährlich schillern.

Bret Easton Ellis: The Shards. Roman, Deutsch von Stephan Kleiner. Kiepenheuer & Witsch, 736 S., 28 Euro. Lesung auf der lit.Cologne: 9. März, 19.30 Uhr, Kulturkirche, Siebachstraße 85.