Im Gespräch mit der Rundschau verrät Hausregisseur Moritz Sostmann, dass seine Inszenierung „Vor Sonnenaufgang“ seine letzte Arbeit am Schauspiel Köln ist. Die Premiere ist am 2. Dezember im Depot 2.
Im InterviewDarum verlässt Regisseur Moritz Sostmann das Schauspiel Köln

Moritz Sostmann ist Bühnenbild zu seinem neuen Stück „Vor Sonnenaufgang“, in dem Tisch und Stühle überdimensional groß sind.
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Sie haben schon bei der letzten Inszenierung nicht mehr mit Puppen, Ihrem Markenzeichen, gearbeitet – und werden das auch in „Vor Sonnenaufgang“ nicht tun. Wie kommt es?
Das hat tatsächlich einen technischen Grund. Viele Leute, mit denen ich in den letzten Jahren gearbeitet habe, sind so gut beschäftigt. Und wir haben sie recht spät angefragt, und sie waren schon woanders engagiert. Und dann habe ich gedacht, okay, das soll vielleicht so sein. So habe ich in eine andere Richtung experimentiert: Ich arbeite mit Menschen, die wie Puppen behandelt werden.
Wie sieht das auf der Bühne aus?
Ein Trick ist, dass man die Menschen verkleinert – und dadurch nehmen sie kindliche Dimensionen an. Da gibt es einen großen Familien-Tisch, an dem gegessen und getrunken wird. Und er ist so groß, dass die Menschen aussehen wie Vier-bis Sechsjährige, die gerade bis zur Tischkante reichen und das Stück Mehrarbeit leisten, was sonst nur Kinder leisten müssen, um bei den Erwachsenen dabei zu sein.
Und darüber hinaus?
Das andere ist eine bestimmte Spielweise, die damit zu tun hat, eine Bewusstheit über den Körper zu finden. So wie es in Kleists Text „Über das Marionettentheater“ heißt, dass ein Großteil der Freude, die wir an einer Puppe haben, die Abstraktion ist, dass die Puppe reine Bewegungen machen kann. Wenn sie den Arm hebt, hebt sie nur den Arm – und kann die Anatomie beobachten, fast wie bei einem Tänzer. Und wir versuchen, den Blick auf den menschlichen Körper aufs Wesentliche zu reduzieren.
Worum geht es im Stück?
Es ist ja eine Überschreibung des gleichnamigen Klassikers von Gerhart Hauptmann. Bei einem gut bürgerlichen Paar, das zum ersten Mal Nachwuchs erwartet, taucht ein Jugendfreund des Mannes auf. Er ist Journalist, der über unsaubere Vorgänge, die es in der Firma der Familie gegeben hat, recherchieren will. Früher waren sie beide links, heute ist der Familienvater konservativ, fast könnte man sagen rechts. Und daraus ergibt sich eine quasi klassische Familientragödie, die in einer Katastrophe endet.
Bei Hauptmann steht Alkoholismus als Krankheit im Mittelpunkt, Ewald Palmetshofer hat in seiner Überschreibung daraus Depressionen gemacht.
Der Alkoholismus war zur Entstehungszeit, 1889, ein Problem, das pathologisch und anatomisch untersucht wurde. Es kamen Theorien auf, dass er vererbbar ist. Und das hat Palmethofer in die Moderne transponiert und daraus die Volkskrankheit Depression gemacht. Und die Krankheit ist, ähnlich wie bei Hauptmann, eine Metapher für die Gesellschaft, die ihr Ziel verloren hat, die müde davon ist, in diesem kapitalistischen System immer höher zu turnen, den Konkurrenzkampf zu verschärfen.
Ein Thema sind die verloren gegangenen Ideale der Sturm-und-Drang-Zeit.
Ich würde sagen, das hat auch immer mit dem Alter zu tun. Vielleicht wird man großzügiger im Hinblick auf die Radikalität und den Kämpfergeist, mit dem man Sachen einfordert. Oder sieht die Entwicklungen, die passieren, etwas differenzierter. Als wir jung waren, wollten wir ja möglichst auch alles ausprobieren und haben gegen die Eltern gekämpft oder gegen eine gewisse Lebenshaltung. Das ist natürlich etwas anderes, wenn man plötzlich die Hälfte überschritten hat (lacht).
Sind Ihnen auch Ideale von damals abhandengekommen?
Ich bin in der fantastischen Zeit aufgewachsen, als die Mauer fiel. Sie fiel, und man musste für nichts mehr kämpfen. Und es gab einen unglaublichen Grad an Freiheit. Die Generation, die in den 90er Jahren aufgewachsen ist – ich weiß gar nicht, ob die so groß mit kämpferischen Idealen aufgewachsen ist. Sie haben scheinbar für selbstverständlich hingenommen, dass sich die Welt zum Guten hin entwickelt.
Sie sind lange in Köln, kennen das Ensemble gut. Haben Sie beim Lesen eines Stückes schon die Besetzung im Kopf?
Früher ging mir das oft so, mittlerweile versuche ich das zu vermeiden, weil man ansonsten weniger Entdeckungen macht. Je älter ich werde, desto mehr bin ich überrascht, dass die naheliegendste Lösung nicht unbedingt die interessanteste ist.
Was kommt nach dem „Sonnenaufgang“?
Das ist jetzt meine letzte Inszenierung in Köln, der Vertrag wird nicht verlängert.
Wie kommt es?
Ich bin mit dem Satz aufgewachsen „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“. Und es gibt einige Argumente der Notwendigkeit – und meine Freiheit ist es, das jetzt einzusehen (lacht). Und wieder in die Freiberuflichkeit zu gehen.
Und bleiben Sie in Köln?
Vielleicht gehe ich wieder nach Berlin zurück, weil ich da näher an den vielen subventionierten Puppentheatern im Osten bin. Generell ist es eine gute Basis, was Vernetzungen angeht.
Verlässt ihr Mann Bruno Cathomas auch das Schauspiel?
Nein. Wir überlegen gerade noch, wie wir das in Zukunft handhaben.
Gemeinsam?
Gemeinsam!