Gandalf, Cats und Shakespeare: Ian McKellen spricht im Interview über schlechte Kritiken, Homophobie und sein hohes Alter.
Gandalf-Darsteller Ian McKellen„Nächste Woche bin ich auf drei Beerdigungen“

Der britische Schauspieler Sir Ian McKellen
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In „Herr der Ringe“ hat Ian McKellen seinem Magier Gandalf zwei prägende Eigenschaften mitgegeben: Die Würde einer enormen Lebenserfahrung und diebischen Witz. Mit genau dieser Haltung geht der 85-jährige Brite auch ins Interview mit Daniel Benedict. Ein Gespräch über schlechte Presse, Englands schwule Geschichte und das Glück, Tom Cruise im richtigen Moment eine Abfuhr zu erteilen.
In Ihrem neuen Film „The Critic“ spielen Sie einen Theaterkritiker, der buchstäblich ein Killer ist. Hatten Sie in Ihrer Karriere jemals Angst vor Kritikern?
Kritiker waren nie großartige Respektspersonen für mich. Der Vater eines Schulfreundes schrieb Kritiken und war Amateurschauspieler, sein Bruder auch. Kritiker gehörten zu meiner Welt. Und als Schauspieler wird man ständig kritisiert – von seinen Regisseuren. Kritiker schreiben natürlich nicht für uns, sondern für ihr Publikum. Da erwarte ich keine hilfreichen Ratschläge. Als ich jung war, habe ich auf Verrisse manchmal geantwortet. Aber das bringt natürlich auch nichts.
Kritiker neigen zu Flüchtigkeitsfehlern. Haben Sie jemals Lob für eine Rolle erhalten, die Sie gar nicht gespielt haben – vielleicht für „Ihren“ Dumbledore?
Von Kritikern habe ich das nie gehört, aber vom Publikum. Michael Gambon, der den Dumbledore wirklich gespielt hat, wurde oft um ein Autogramm von Gandalf gebeten. Den habe ich gespielt. Michael hat dann einfach mit meinem Namen unterschrieben.
Einer Ihrer Filme hat eher gemischte Kritiken erhalten – „Cats“.
Ich glaube nicht, dass diese Einschätzung es so ganz trifft.
Stimmt, der Film wurde verrissen und ausgelacht.
Ich habe „Cats“ gesehen, bevor sie uns am Computer Schwänze verpasst haben. Und ich mochte es. Das Schauspiel war toll, die Tanzszenen auch. Und jetzt verrate ich Ihnen was: Ich habe vor Jahrzehnten auch eine sehr frühe Version des Musicals auf der Bühne gesehen, noch bevor es zum Hit wurde. Einem Freund, der am Broadway viel Einfluss hatte, habe ich in der Pause gesagt: Dieser britische Amateurkram schafft es nie. Die achtjährige Nichte meines Freundes hat es geliebt. Er hat sich an ihren Rat gehalten und Recht bekommen.
Hatten Sie trotzdem Freude am „Cats“-Film und vielleicht sogar am Spott über den Katzenschwanz?
Es hat Spaß gemacht, mit Judi Dench und all den anderen begabten Leuten zu arbeiten, trotz der Kritiken. Mit dem „Herrn der Ringe“ war ich in einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten – und mit „Cats“ halt auch in einem der größten Flops.
Für den Magier Gandalf, den Sie im „Herrn der Ringe“ spielen, waren Sie angeblich nicht die erste Wahl. Stimmt es, dass Anthony Hopkins die Rolle abgelehnt hat?
Ich habe Anthony Hopkins nie danach gefragt, aber ich weiß, dass Sean Connery die Rolle abgelehnt hat. Ich verstehe auch, warum. Es war eine langfristige Verpflichtung: Ein volles Jahr in Neuseeland. Man ist fast nie die erste Wahl. Den „Lawrence von Arabien“ sollte ursprünglich Albert Finney spielen. Peter OToole hatte Glück. Und ich hatte Glück, Gandalf zu spielen. Damals hatte ich mit Tom Cruise und seinem Regisseur über eine Rolle in „Mission Impossible 2“ verhandelt. Mein Agent wollte unbedingt, dass ich es mache. Ich wollte auch, aber sie haben mir das Drehbuch nicht gezeigt. Und man spielt keinen Film, ohne das Buch zu kennen. Das ist lächerlich. Also habe ich gegen alle guten Ratschläge abgesagt. „Mission Impossible“ wurde dann mehrfach verschoben, und hätte ich zugesagt, hätte ich weder die „X-Men“-Reihe gespielt, noch wäre ich als Gandalf nach Mittelerde gereist. Standhaftigkeit wird belohnt.
Sie schöpfen die ganze Bandbreite von der Bühne bis zum Big-Budget-Kino aus. Hat Shakespeare Blockbuster-Qualitäten?
Ich habe nie verstanden, was die Leute an Tolkien „shakespearesk“ finden. Beide schreiben epische Geschichten, aber bei Shakespeare liegt der Reiz für mich gerade im Detail, in der Genauigkeit, mit der er die menschliche Natur rausarbeitet. Diese Tiefe finde ich bei Tolkiens Figuren kaum. Und Shakespeare führt dich in Extremsituationen. Das hilft, wenn man als Gandalf gegen Monster wie einen Balrog kämpft.
Welcher Arbeitsplatz ist denn schöner? Das intime Theater oder ein 100-Millionen-Dollar-Set mit dem ganzen technischen Apparat?
„Der Herr der Ringe“ war eine sehr angenehme Erfahrung, weil vieles real gedreht wurde. Wenn Sie uns auf einem Berggipfel sehen, waren wir wirklich oben. Die Leute halten immer alles für Tricktechnik, aber wir sind wirklich Flüsse hinabgefahren und durch Wälder und Höhlen gewandert. In Neuseeland gibt es das ja alles. Im Theater braucht man keine Kulissen. Man braucht nur ein Publikum. Das ist es, was zählt – und das ist auch genau das, was man beim Film nicht hat. Da ist der einzige Zuschauer der Regisseur.
Prägt das Ihr Spiel?
Ian Holm, der im „Herrn der Ringe“ der Hobbit Bilbo Beutlin war, hat jeden Take einer Szene anders gespielt – damit der Regisseur beim Schnitt so viel Auswahl wie möglich hatte. Der Film entsteht zwischen dem Schauspieler und dem Regisseur. Am Theater ist es genau das Gegenteil. Wenn das Publikum kommt, ist der Regisseur weg.
In Ihrem aktuellen Film spielen Sie den Intriganten Jimmy, der einen Gegner in eine tödliche Sexfalle lockt. Diese Bosheit kommt auch aus der Erfahrung, dass sein eigenes Begehren als schwuler Mann in den 1930er Jahren mit Füßen getreten wird. War diese Ambivalenz Ihr Grund mitzumachen?
Ja, mir kam das wahrhaftig vor. Die Geschichte ist sehr melodramatisch, aber die 1930er waren auch eine melodramatische Zeit. Jimmy ist auf eine Weise grausam, die ich verstehen kann. Sie speist sich aus der Grausamkeit einer Gesellschaft, die diesen extrovertierten Mann in die Heimlichkeit zwingt. Als junger Schauspieler habe ich schwule Regisseure kennengelernt, von denen einige sogar im Gefängnis waren, die sich bei der Arbeit dann selbst entsetzlich benommen haben. Meine Figur ist ein Opfer. Dass ein Opfer erlittene Grausamkeiten weitergibt, ist nicht ungewöhnlich.
Ende der 1980er haben Sie gegen ein Gesetz protestiert, mit dem Margaret Thatcher die „Förderung von Homosexualität“ unter Strafe gestellt hatte – so wie heute Wladimir Putin. Haben wir vergessen, wie schlimm es vor einer Generation bei uns selbst war?
Na ja, Ihnen wird aufgefallen sein, dass einige der besten Schauspieler schwul sind. Am Theater hatten wir eine Freiheit entdeckt, die im Rest der Gesellschaft nicht vorhanden war. Putin scheint mir ziemlich zynisch auf die Zustimmung der russisch-orthodoxen Kirche zu schielen. Die kommt selbst aus einer langen Geschichte der Unterdrückung und reicht die Erfahrung jetzt an die Gay Community weiter. Sie sollten sich schämen. Wenn es um Schwule geht, ist Putin ein zynischer Opportunist, genauso wie Trump. Wir sind wie ein Fußball, den man beliebig rumtreten kann. In Ihrem Land und in meinem ist das nicht mehr so. Aber wenn man sich in der Welt umsieht, kommt man zu der deprimierenden Einsicht, wie leicht diese Stimmung wieder Oberhand gewinnt.
Ich würde gern mit einer fröhlichen Frage enden: Sie sind 85 Jahre alt. Können Sie mal etwas Schönes über das Alter sagen – etwas, auf das ich mich freuen kann?
Nein, ich glaube nicht, dass das Leben besser wird. Aber ich kann Ihnen raten, auf Ihre Gesundheit zu achten. Keine Zigaretten. Kein Alkohol. Essen Sie vernünftig. Machen Sie Sport. Halten Sie Ihren Körper in Schuss, so dass er funktioniert, wenn Sie ihn brauchen, ob das nun fürs Bergsteigen ist oder für Sex. Mit 85 Jahren gehen Sie dann vielleicht keiner dieser beiden Aktivitäten mehr nach. Sie kommen aber immer noch aus dem Haus und können so wie in meinem Fall auch noch arbeiten.
Oh.
Gehen Sie nicht davon aus, überhaupt 85 zu werden. Sie müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass Menschen sterben. Für Sie ist es wahrscheinlich noch eine Überraschung oder ein Schock oder ein größeres Ereignis, wenn jemand stirbt. Was mich angeht: Nächste Woche bin ich auf drei Beerdigungen.
Alles klar. Das wars dann für meine fröhliche Schlussfrage.
Was soll ich Ihnen sagen? Freuen Sie sich auf morgen. Genießen Sie den heutigen Tag. Darauf kommts an.