Premiere im Depot 2: „Aus dem Schatten: Thiaroye“ erzählt von Kolonialverbrechen und Familienkonflikten.
Historisches Drama im Depot 2In „Aus dem Schatten: Thiaroye“ treffen Nachfahren von Tätern und Opfern aufeinander
„Ich hätte mit ihm sprechen sollen, als ich noch Zeit hatte.“ Das Bedauern über verpasste Gelegenheiten mit Menschen, die nicht mehr da sind, gehört zu „points de non-retour“, Punkte, an denen es heißt: Es gibt keinen Weg zurück. Wegmarken, an denen man sich entscheiden muss, ob man die Vergangenheit loslässt oder nicht.
„Points de non-retour“ nennt die rumänisch-stämmige, französische Autorin Alexandra Badea ihre aktuelle Theatertrilogie, deren ersten Teil „Thiaroye“ der Regisseur Poutiaire Lionel Somé jetzt auf die Bühne des Depot 2 bracht. Der deutsche Titel „Aus dem Schatten: Thiaroye“ steht dabei für die Schatten der Vergangenheit, die das Miteinander von Badeas Protagonisten bestimmen.
Kampf gegen begangenes Unrecht
Nina (Katharina Schmalenberg) und Amar (Serge Fouha) leben im Paris der frühen 1970er Jahre zusammen. Die gebürtige Rumänin wurde im Zweiten Weltkrieg als Tochter eines Deutschen geboren und wurde vom jüdischen Freund ihrer Mutter großgezogen. Ihren leiblichen Vater hat sie nur einmal aus der Ferne gesehen.
Amar hingegen kennt seinen Vater nicht, er kam beim Thiaroye-Massaker 1944 im Senegal ums Leben: Franzosen hatten afrikanische Soldaten, die als Teil der französischen Armee in Europa gekämpft hatten, niedergeschossen, als diese ihren ausstehenden Sold eingefordert hatten. Von Träumen von seinem Vater geplagt, kehrt Amar zurück in seine Heimat, um für ihn Gerechtigkeit zu erkämpfen.
Frustrierte Söhne
Nina und den gemeinsamen Sohn Biram (Leonard Burkhart) lässt er zurück. „Niemand lässt seinen Sohn für seinen toten Vater im Stich“, bricht es später aus Biram heraus.
In der Gegenwart arbeitet die Journalistin Nora (Zainab Alsawah) an einem Radiofeature über das Thiaroye-Massaker und kommt so unter anderem in Kontakt mit dem Lehrer Régis (Glenn Goltz). Dieser hat gerade im Nachlass seines Großvaters, den er bis zum Tod gepflegt hat, dessen Tagebücher gefunden: Der Großvater war unter den Schützen, die die afrikanischen Soldaten erschossen haben.
Das bringt Nora auf die Idee, den Enkel des Opfers und den des Täters zusammenzubringen. Und so endet das Stück mit versöhnlichen Tönen.
Rätselhafte Rahmenhandlung
Und als wär dies nicht genug, was in zwei Stunden verhandelt werden muss, trägt auch Nora einen Vaterkonflikt mit sich herum. Das Radiofeature stellt sie für einen verstorbenen Freund zu Ende. Dafür, dass weder der Grund erklärt, noch die Identität des Freundes geklärt wird, nimmt dieser Handlungsstrang zu Beginn des Stückes sehr viel Raum ein.
Dass Nina einen Schlaganfall erleidet, als Nora sie nach Amar befragen will, bleibt 30 Jahre nach der Trennung des Paares nicht nachvollziehbar. Und der Konflikt von Régis mit seinem Vater wird zwar lautstark am Telefon ausgetragen, der Grund dafür bleibt genauso im Dunkeln, wie der für die Weigerung des Vaters, den sterbenden Großvater zu besuchen.
Schwierigkeiten in Deutschland?
Die Autorin trifft bei zudem keine klare Entscheidung, ob sie die Geschichte oder die emotionalen Konflikte in den Mittelpunkt stellt. Die Biografien der Figuren und ihre Motivationen werden derart mit Details angereichert, dass diese im Verlauf des Abends oft genug untergehen. Die Konstruktion des Stücks würde man eher bei einem Krimi erwarten: Erst nach und nach ergeben die einzelnen Teile ein komplettes Bild.
Eines der Probleme ist dabei, dass „Thiaroye“ – anders vielleicht als bei einem französischen Publikum – kein klares Bild erzeugt wie etwa „Auschwitz“ oder, wenn man im Bereich der kolonialen Verbrechen bleiben will, „Herero und Nama“. Natürlich kann man argumentieren, dass die Verbrechen in Thiaroye auch auf andere koloniale Machenschaften übertragbar sind und Generationskonflikte allgemeingültig sind.
Starke Darsteller-Ensemble
Keine Frage, die Nachfahren von Tätern und Opfern aufeinandertreffen zu lassen, klingt nach einem dramatischen Schachzug, der dann aber mit einem „Du kannst doch nichts dafür“ genauso schnell wieder verpufft.
Zusammengehalten wird der Abend vom starken Darstellerquintett, das im klar strukturierten Bühnenbild von Marion Schindler Platz zum Agieren hat und von den Videoarbeiten des Regisseurs nicht dominiert werden. Serge Fouha lässt den Zorn Amars verstehen, Glenn Glotz die Verzweiflung und Leonard Burkhardt die Wut der Nachgeborenen. Zainab Alsawah versieht die vage Figur der Radioreporterin mit dem nötigen Gerüst. Und Katharina Schmalenberg lotet einmal mehr gekonnt die Bandbreite zwischen gebrochen und aufbegehrend aus.
Zwei Stunden (keine Pause). Wieder am 23.1. und 1.2., um 20 Uhr, 26.1., 19 Uhr.