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Henrik Hanstein spricht über das Kunsthaus Lempertz„Wir lieben den Beruf und haben Freunde weltweit“

Lesezeit 5 Minuten
Henrik Hanstein sitzt an einem Tisch.

Als Chef der ältesten Familienfirma in der Auktionsbranche schaut Henrik Hanstein auf eine reiche Tradtion bei Lempertz.

1798 wurde das Haus erstmals in einem Adressbuch erwähnt und feiert am Wochenende das 225-jährige Jubiläum.

Es sind noch wenige Tage bis zur großen Herbstauktion, und bei Lempertz vollzieht sich der obligatorische große Wandel: Alte Meister weichen im Schauraum Bildern der Expressionisten Max Pechstein und Emil Nolde oder der Fluxuskünstlerin Mary Bauermeister. Vieles lehnt noch an der Wand oder schlummert in Kartons. 20 Tonnen Papier ohne Verpackung bringen die druckfrischen Kataloge auf die Waage. Die Weihnachtskarte mit Andy Warhols „Cologne Cathedral“ von 1985 ist auch schon fertig, und am Wochenende wird das 225-jährige Jubiläum des Kunsthauses gefeiert.

Henrik Hanstein, Chef der ältesten Familienfirma in der Auktionsbranche, gerät ins Grübeln, ob man aufgrund des sichtbaren Platzmangels nicht doch besser das benachbarte Belgische Haus dazugekauft und es mit dem denkmalgeschützten Nachkriegsbau von Peter Baumann verbunden hätte. „Durch eine Seufzerbrücke“, wie er schmunzelnd verrät. In Venedig verbindet eine solche den Dogenpalast mit dem Gefängnis, verbunden mit dem letzten Blick in die Freiheit. Paare schwören sich dort ewige Liebe.

„Wir lieben unseren Beruf und haben Freunde auf der ganzen Welt“, sagt Hanstein, und spricht für Ehefrau Mariana dabei gleich mit. Auch sie ist Kunsthistorikerin und mit ihrem Fachwissen im Bereich führend. An der Seite ihrer Eltern bereitet sich Tochter Isabel Apiarius-Hanstein auf den Generationenwechsel vor. Sie studierte zuerst Architektur und setzte in Zürich ein nebenberufliches Aufbaustudium „Art Market Studies“ drauf.

70 Mitarbeiter sind weltweit beschäftigt

Es gibt Auktionssäle in Berlin und Brüssel sowie Dependancen in München und Mailand. Gut 70 Mitarbeiter sind weltweit beschäftigt.

Die Ursprünge liegen im „Antiquariatsgeschäft mit Auktionsanstalt“, das der Düsseldorfer Druckereibesitzer Johann Mathias Heberle 1798 in Köln gründete. Damit beginnt die Geschichte: Nach dem Tod des Firmengründers übernahm 1840 dessen Mitarbeiter Heinrich Lempertz das Geschäft. 1875 erwarb Peter Hanstein das Unternehmen, das weiterhin den Namen Lempertz trug.

„So ganz genau wissen wir über die Anfänge nicht Bescheid. Aber 1798 erscheint das erste Adressbuch. Heberle hat auch eine Zeitung in der Breite Straße gehabt und diese an DuMont verkauft“, sagt Hanstein.

„Mit einem Antiquariat haben alle großen Auktionshäuser angefangen, Sotheby's, Christie's. Mit Büchern ging es überall los. Und 1803 war der Reichsdeputationshauptschluss, verbunden mit der Auflösung von Klöstern und Kirchenbesitz. Da ging eigentlich der moderne Kunsthandel los. Die Sachen wurden auf die Straße geschmissen, Ferdinand Franz Wallraf hat ja Trinkgelder bezahlt, dass man ihm die Altäre, die auf den Straßen standen, nach Hause trägt.“

Kunstmarkt gestaltet sich nicht einfach

Ganz so einfach gestaltet sich der Kunstmarkt heute zwar nicht mehr, aber Überraschungen gibt es immer wieder. Zum Beispiel als vor fünf Jahren ein Altar aus dem Nachlass des früheren Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner 400.000 Euro bei der Auktion im Haus Lempertz erzielte. Meisner selbst hatte den Wert auf ungefähr 15.000 Euro geschätzt. Der Erlös kam der Stiftung zugute, die seinen Namen trägt.

Nachlässe wurden ursprünglich im Haus eines Verstorbenen selbst versteigert - zuletzt kam das Gemäuer unter den Hammer. Auktionssäle wiederum erweisen sich -- wie es der internationale Sitz von Lempertz in Brüssel zeigt -- als strategische Bastionen.

Kunden aus London und Paris können in wenigen Stunden dort sein. Und es ist die Nähe zu solventen Sammlern der Beneluxländer. Aber auch die Konkurrenz belebt das Geschäft. Mit dem Brexit verstärkten auch Christie's (London) und Sotheby's (New York) ihre Präsenz auf dem Kontinent, denn alles wird auf dem Weg in die EU verzollt. Den Wegfall der EU-Binnengrenze vor 20 Jahren bezeichnet Hanstein für die Branche als Glücksfall. Zuvor seien die Märkte wegen der Zollgrenzen und Formalitäten weitaus lokaler gewesen.

In die Diskussion geriet das Kunsthaus Lempertz, als es Anfang der 1980er Jahre Kunstwerke aus dem Besitz des früheren NS-Rüstungsminister Albert Speer versteigerte. Robert Frank, ein Freund Speers, hatte die Kollektion an sich genommen und in Mexiko versteckt. In einer Garage in Bad Honnef wurden sie zwischengelagert und nach Franks Tod von einem Notar zur Versteigerung gegeben. Vorsichtshalber wurde geprüft, ob sich dahinter problematisch Besitzverhältnisse verbargen. Beanstandungen gab es bis heute nicht.

Henrik Hanstein ist erster Kunsthistoriker in seiner Familie

Heute, so Hanstein, würde man es ablehnen. Damals galt Speer noch als der gute Nazi, was aber durch die Forschung von Heinrich Breloer mittlerweile widerlegt ist. Der damals 29-jährige Hanstein fuhr nach Heidelberg zu Speer. „Als ich da am Wolfsbrunnenweg saß, war es mir sehr unangenehm. Er war faszinierend unheimlich und wurde vertreten durch von dem Kölner Anwalt Walter Oppenhoff.“

Seine beiden Großväter waren im Krieg inhaftiert. Josef Hanstein wurde wegen „allzu großer Judenfreundlichkeit“ von der Gestapo im Keller des EL-DE Hauses eingesperrt. Auch der Großvater mütterlicherseits, der Bauingenieur Josef Pirlet, setzten die Nazis mehrmals zu.

Henrik Hanstein ist der erste Kunsthistoriker in seiner Familie. Seine Vorfahren arbeiteten im Auktionshandel, waren aber auch Ärzte. Zwei Semester studierte er Fotografie, wechselte dann aber zur Kunstgeschichte in München, wo er seine Frau kennenlernte. An der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM),deren Ehrensenator er heute ist, wirkte er und lehrte lange an der Uni.

Seit 1989 wird auch zeitgenössischer Kunst versteigert

Nach dem tragischen Unfalltod des Vaters übernahm Hanstein, gerade einmal 19 Jahre alt, das Geschäft. „Damals war der Markt zu zwei Dritteln durch Händler dominiert, ein Drittel war privat. Heute ist das umgekehrt“, sagt er.

Seinerzeit sei über das telefonische Bieten noch ganz kontrovers diskutiert worden. Heute sei es die Regel. Zumal in der Pandemie, in der man Rekordergebnisse erzielte, wie jene 4,3 Millionen Euro für ein Bild von George de La Tour, habe es einen Schub in die Richtung gegeben. „Da hatte man zu Hause Zeit, die Kataloge zu studieren“, sagt Henrik Hanstein.

Seit 1989 versteigert sein Auktionshaus neben Moderner und Alter Kunst auch zeitgenössische Kunst und Fotografie. Fritz L. Gruber vermittelte Fotografen an das Haus, die dort direkt verkauften -- darunter auch Henri Cartier-Bresson. „Wir waren das erste Auktionshaus im Primärmarkt der Fotografie.“


225-jähriges Jubiläum

Mit einem „Private View“ feiert Lempertz am Samstag das 225-jährige Jubiläum im Haus am Neumarkt. Ministerpräsident a. D. Jürgen Rüttgers, Mitglied der „Limbach kommission“ spricht dabei ein Grußwort. (EB)