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„Hart aber fair“Scheinheilige Behörden gegen verzweifelte NSU-Opfer

Lesezeit 4 Minuten
Hart aber fair 050416

Günther Beckstein (l.), während der NSU-Mordserie bayerischer Innenminister, musste sich in der Sendung für seine Entscheidungen erklären.

  1. In der Diskussion bei „hart aber fair“ mit Frank Plasberg standen die NSU-Morde im Mittelpunkt.
  2. Eine Augenzeugin des Nagelbomben-Anschlags in der Kölner Keupstraße schilderte, dass sich die Anwohner von Polizei, Ermittlern und Justiz allein gelassen gefühlt hatten.
  3. Günther Beckstein war während der Zeit der Mordserie bayerischer Innenminister. Er war daher für seine Entscheidungen angreifbar.
  4. Auch heute noch werden Straftaten im Namen der rechten Szene verübt. Wie die in Zukunft verhindert werden sollen, konnte die Sendung nicht beantworten.

Köln – Unverständnis, Entsetzen: Das Vorgehen der Behörden bei der Aufklärung der NSU-Mordserie lässt die Öffentlichkeit, aber vor allem Opfer und Augenzeugen ungläubig zurück. Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz, warum werden wichtige Dokumente von den Behörden zurückgehalten? Viele Fragen sind immer noch nicht ganz geklärt.

Und doch flimmert kein Tatort über den Bildschirm. Es talkt am Montagabend Frank Plasberg bei „hart aber fair“ über die NSU-Morde. Im Anschluss an den zweiten Teil des Spielfilm-Dreiteilers „Mitten in Deutschland“, der die Täter, Opfer und Ermittler fiktional beleuchtet, spricht Plasberg mit seinen Gästen über Rechtsradikalismus. Das Thema: „Wegschauen, kleinreden - wie gefährlich ist die rechte Gewalt?“

Die Gäste

Meral Sahin, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße e.V. erlebte 2004 den Nagelbomben-Anschlag in der Kölner Keupstraße. Die Augenzeugin schilderte den Nagelbombenanschlag - und dass sich die Anwohner von Polizei, Ermittlern und Justiz allein gelassen gefühlt hatten. Immerhin hätten sie auf einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund hingewiesen.

Meral Sahin Keupstrasse

Die Vorsitzende der Interessengemeinschaft, Meral Sahin, auf der Kölner Keupstraße.

Günther Beckstein, CSU, war zur Zeit der NSU-Morde bayerischer Innenminister. Als einziger Gast stand er auf der Seite der Behörden - und musste sich dementsprechend viele Vorwürfe anhören. Er traute sich in den Talk-Ring, zwar nicht mehr im Amt, aber dennoch angreifbar für seine Entscheidungen.

Thomas Mücke ist Gründer des Vereins „Violence Prevention Network“ sowie Diplom-Politologe und -Pädagoge. Er arbeitet mit jungen Nazis und Islamisten. Zwar kam er kaum zu Wort, jedoch konnte er einige Einschätzungen zur aktuellen rechten Szene beitragen: Klar, für einige Szene-Mitglieder sei der NSU ein Vorbild gewesen, einige hätten die Taten aber auch abgeschreckt, die anschließend Abstand von der rechten Szene genommen hätten.

Annette Ramelsberger ist Gerichtsreporterin und berichtet für die „Süddeutsche Zeitung“ über den NSU-Prozess. Sie versuchte, einen möglichst objektiven Bericht aus dem Gericht zu geben. Interessanter Einblick.

Thomas Bliwier ist Fachanwalt für Strafrecht und vertritt die Familie eines der NSU-Opfer. Seine Vorwürfe gingen klar gegen Günther Beckstein.

Die Diskussion

Vier gegen Eins - auf dem Fußballfeld würde man von einem unfairen Spiel sprechen. Günther Beckstein stellte sich den Vorwürfen des Opferanwalts, der Augenzeugin sowie der weiteren Talkgäste und Frank Plasberg. Respekt dafür. Auch dem ehemaligen bayerischen Innenminister ist klar: Bei den Ermittlungen ist einiges schiefgelaufen. Doch die drängenden Fragen der Opfer, ob die Behörden auf dem rechten Auge blind waren, warum keine Verbindungen zur rechten Szene gefunden wurden, kann er nicht befriedigend beantworten: „Es gab keine Spuren“, verteidigt er sich lediglich.

Unverständnis vor allem bei Meral Sahin und Thomas Bliwier: „Der Verfassungsschutz wusste, was dort passiert“, sagte der Opfer-Anwalt. Es sei „scheinheilig, wenn sich Politiker hinstellen und sagen, sie hätten den Zusammenhang nicht gesehen.“

Die Öffentlichkeit ist sich wohl mittlerweile einig, dass bei der Aufklärung der NSU-Morde viel falsch gelaufen ist - genauso weiß das diese Talkrunde. Eine Diskussion kam deshalb kaum zustande. Beckstein versuchte sich behutsam zu verteidigen, gestand aber auch Fehler ein: „Natürlich gibt es ein teilweises Versagen.“ Alle waren sich einig: Die Taten müssen aufgeklärt werden.

Der weitere Prozess-Verlauf

„Wer kann den Opfern Hoffnung geben?“, fragte Gastgeber Frank Plasberg. Ja, wer kann das? Und wie gehen sie mit den Wahrheiten, Verschleierungen und kaum nachvollziehbaren Indizien, die der NSU-Prozess ans Licht bringt, um? Für Anwalt Bliwier ist klar, dass immer mehr Details ans Licht kommen, die mutlos machen. Man könne mehr Informationen vorbringen, aber dafür müssten sich „die Geheimdienste und die Polizei ändern und die Akten offenlegen.“

Simple Wahrheiten

Viele Menschen haben geglaubt und sind oft immer noch der Meinung: Solche schlimmen Dinge können in Deutschland nicht passieren. Meral Sahin bringt es auf den Punkt: „Doch, es passieren diese Dinge in Deutschland!“

Für Pädagoge und Politologe Mücke ist zudem klar: Nicht nur Behörden haben versagt, auch die Gesellschaft trägt eine Schuld an der rechten Entwicklung. Es herrsche eine „gesellschaftliche Gleichgültigkeit, was sich an Hass ausgebreitet hat. Und wir tun nichts dagegen.“ Das müsse sich dringend ändern.

Wie gefährlich ist die rechte Gewalt denn nun?

Auch heute werden Straftaten im Namen der rechten Szene verübt. Und viele, die als bürgerlich gelten und gleichzeitig Flüchtlingsheime anzünden, stellen sich später doch als diejenigen heraus, die rechtes Gedankengut verbreiten, erzählt Gerichtsreporterin Ramelsberger. Die Erkenntnis? Rechte Gewalt ist natürlich gefährlich. Die Frage ist nun, wie konsequent wir dagegen vorgehen. Doch dafür findet auch keine „hart aber fair“-Sendung eine befriedigende Antwort.