Spätestens mit dem Gewinn des Deutschen Buchpreises hat sich vieles im Leben von Martina Hefter verändert. Die gelassene Bescheidenheit, mit der sie sich der neuen Situation stellt, prägt auch ihr Gespräch mit Axel Hill.
Gespräch mit Martina Hefter„Leute erkennen mich manchmal auf der Straße“
Fällt Ihr Leben nach dem Deutschen Buchpreis in ein Vorher und ein Nachher?
Ja, ein bisschen natürlich schon.
Kurz zuvor hatten Sie schon den Literaturpreis Wiesbaden gewonnen, kurz danach den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds und den Prix Grand Continent, der Übersetzungen unterstützt.
Es war auch schon vor dem Buchpreis einiges los. Mit Erscheinen des Buches gab es so viele positive Reaktionen in den Medien, dann kamen sehr viele Lesungen, und ich habe gemerkt, da tut sich schon mehr. Aber natürlich, mit dem Buchpreis wurde es dann noch viel mehr.
Die Aufmerksamkeit ist viel, viel größer geworden. Leute erkennen mich manchmal auf der Straße. Nicht wie Madonna oder so, zum Glück. Aber ich gehe anders damit um. Früher war ich da vielleicht unbekümmerter. Wobei, ich bin noch immer unbekümmert.
Viele Preise, 150.000 verkaufte Exemplare - eine solche Aufmerksamkeit kann man beim Schreiben eines Buches sicher nicht vorhersehen?
Nein, überhaupt nicht. Über die letzten fünf Jahre hinweg habe ich Lyrikbände veröffentlicht, da ist die Aufmerksamkeit immer geringer. Dabei kann ich mich nicht beklagen, auch für die Lyrikbücher habe ich relativ viel Resonanz erhalten. Sich während des Schreibvorgangs zu überlegen, wird das jetzt der große Knaller? -- das finde ich ganz falsch, denn es würde sich vielleicht aufs Schreiben auswirken.
Im Buch chattet eine Frau, die mit ihrem pflegebedürftigen Ehemann lebt, mit einem sogenannten „Love Scammer“. Dahinter verbirgt sich eine Betrugsmasche, mit der versucht wird, alleinstehende Frauen um ihr Geld zu bringen.
Es ist nur ein Aspekt der Geschichte, es geht nicht um diese betrogenen Frauen. Auch wenn ich dazu recherchiert habe, bin ich jetzt keine Expertin für Love Scamming.
Für mich deutet der Titel das große Thema des Buches an: die Situation von Menschen, die einen kranken Partner an ihrer Seite haben und die viel zu selten gefragt werden: Wie geht es Dir?
Ja, ich habe darüber viel nachgedacht, dass es eigentlich zu wenig Bewusstsein darüber gibt, wie es den Pflegenden eigentlich geht. Gerade wenn eine Frau die pflegende Person ist, ist es noch eklatanter. Das wird dann eigentlich sehr oft einfach so als selbstverständlich hingenommen. Und dann haben wir gleich wieder dieses ganz traditionelle, festgeschriebene duale Verständnis von Ehe, Partnerschaft, Mann, Frau und so.
Es gibt darüber schon einige Dokus, aber weitaus mehr, wo der Mann der pflegende Partner ist. Und das wird dann immer so als etwas ganz Besonderes hingestellt. Umgekehrt gibt es gar nicht so viele. Und das fand ich auch wieder ganz bemerkenswert.
Ich habe es bei meinen Eltern erlebt -- und ich gebe es zu, dass ich meinen Vater sehr dafür bewundere, mit welcher Selbstverständlichkeit er die Pflege meiner Mutter übernommen hat. Andersherum hätte ich es als Selbstverständlichkeit betrachtet. Sie hatte sich ja auch um mich als Kind gekümmert.
Genau. Das war auch die Perspektive des Buches, dass ich diese einfach diesen Alltag auch mal zeigen wollte, ohne natürlich den kranken Partner vorzuführen oder auch eine Schuld zuzuweisen. Denn der kann ja auch gar nichts dafür.
Der Text ist autobiografisch. Wie entstand die Idee, ihre Erlebnisse literarisch zu verarbeiten?
"Verarbeiten" ist nicht das ganz richtige Wort. Ich würde sagen, es ist eine künstlerische Bearbeitung. Und die Idee war von Anfang an da. Zuerst wollte ich einen Essay schreiben, in Versform, um eine Form von künstlerischer Distanz einzubringen. Da ging es zunächst nur um das Love Scamming. Aber dann habe ich gemerkt, dass meine Perspektive fehlte. Aber wie sieht denn mein Leben eigentlich aus im Abgleich zu dem Leben dort in Afrika? Doch solche Vergleiche sind immer schief. So ließ es sich nur noch erzählerisch lösen - in dem Sinn, dass wir mit Literatur, mit Poesie, mit, mit Sprache, mit Erzählung Leerstellen füllen können. Und da müssen wir auch nicht unbedingt Antworten geben. Wer ist jetzt schuld? Was wiegt jetzt schwerer: die betrogenen Frauen oder diese Umstände in bestimmten Ländern, an denen wir als Europäer nicht ganz unschuldig sind? Darauf kann man keine Antworten finden.
Die Figuren im Buch tragen Götternamen. Die Frau heißt Juno, ihr Mann Jupiter, der Chatpartner ist nach Benu, einem ägyptischen Totengott benannt.
Da es mein erster Roman seit längerer Zeit war, habe ich davor zurückgeschreckt, auf einmal wieder diese realistische Erzählweise zu übernehmen. Wenn man Lyrik schreibt, ist man ja immer etwas jenseits des Realismus, also allein schon durch die Schreibweisen.
Den Namen Juno hatte ich schon länger im Ohr. Ich fand den Klang schön, ohne ihn bewusst auf diese römische Göttin, die der griechischen Hera entspricht, zu beziehen. Und dann dachte ich, da muss der Mann eigentlich Jupiter heißen und habe natürlich auch gedacht, das ist eine total verrückte Idee. Aber in meinem bisherigen Schreiben waren immer die Ideen, bei denen ich wirklich mutig sein musste, immer die besten. Es waren die, die sich wirklich gelohnt haben.
Kleine Fluchten aus einem belastenden Alltag
„Hey Guten Morgen, wie geht es Dir?“ erzählt die Geschichte der Tänzerin Juno, die an der Seite ihres an Bett und Rollstuhl gefesselten Mannes Jupiter den gemeinsamen, zum Teil schwierigen und durch seine Anforderungen belastenden Alltag bewältigen muss. Wie eine kleine Auszeit erlebt sie die Chats mit einem jungen Mann aus Afrika, der eigentlich als „Love Scammer“ versucht hatte, sie zu bezirzen. Bei der abgeklärten Juno beißt er auf Granit, aber es entwickelt sich eine Art virtueller Freundschaft, bis Benu eines Tages wieder in den Weiten des World Wide Web verschwindet. Dabei versucht die Geschichte auch Verständnis für die prekären Situationen junger Menschen in Afrika aufzubringen.
Auch Martina Hefter ist Performancekünstlerin und Tänzerin, ihr Mann, der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, ist ebenfalls an Multipler Sklerose erkrankt. Im Nachwort dankt sie ihm, „dass er nicht nur nichts dagegenhatte, hier und da in diesem Buch mit Jupiter verwechselt zu werden, sondern den Gedanken sogar schön fand“. In Köln stellte Hefter auch ihre weihnachtliche Kurzgeschichte „Der Komet“ vor, eine Auftragsarbeit des Literaturhaus Köln. Eine Aufzeichnung des Abends läuft im Deutschlandfunk (18.12., 20.30 Uhr). (HLL)