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Gabriele Münter in HamburgMehr als nur die Frau von Kandinsky

Lesezeit 3 Minuten
Gabriele Münter „Krank“, 1930

1917 schuf Gabriele Münter das Gemälde „Der Brief (Krank)“.

Lange Zeit stand sie im Schatten ihres berühmten Lehrers und Lebensgefährten Wassily Kandinsky. Doch damit ist jetzt Schluss. Die Ausstellung „Gabriele Münter. Menschenbilder“ im Bucerius Kunst Forum löst sie los von dieser Festlegung und räumt der Mitbegründerin und Nachlassverwalterin des „Blauen Reiters“ endlich den ihr gebührenden Platz in der Kunstgeschichte ein.

 Man verbindet mit ihr Landschaften, Bauernkaten und konventionell komponierte Blumenbilder. Die Schau jedoch legt nun mit 80 Gemälden, Zeichnungen, Grafiken und Fotos – Leihgaben renommierter Museen und privater Sammlungen – erstmals den Fokus ausschließlich auf die figürlichen Darstellungen der Jahre 1899 bis 1940.

Menschen stehen bei einer Pressevorbesichtigung der Ausstellung „Gabriele Münter. Menschenbilder“ im Bucerius Kunstforum vor zwei Werken der Künstlerin, darunter „Mädchen mit roter Schleife“ (r).

Zwei der vielen Porträts in der Ausstellung, in der als Wandfarbe dieses Blau vorherrscht.

Damit wird ihre Schöpferin als eine eigenständige Künstlerin und bedeutende deutsche Expressionistin vorgestellt. Porträts erweisen sich als das eigentliche Terrain der 1877 in Berlin geborenen und 1962 in ihrem Haus in Murnau am Staffelsee gestorbenen Künstlerin.

Schon als Kind hantiert sie mit dem Bleistift und hält Gesichter fest, während andere in diesem Alter Geschichten malen. Mit 14 Jahren wirft sie in der Sommerfrische die Köpfe der Kurgäste aufs Papier. Und manch einer findet sein Abbild so trefflich, dass er es ihr entführt. Bildnismalen, sagt sie, sei „die kühnste, schwerste, die geistigste, die äußerste Aufgabe für einen Künstler“.

Der weitläufige Ausstellungs-Parcours mit seiner offenen Architektur ist in zart ausgeleuchtetes Ultramarin getaucht. Es lässt die farbstarken, meist schwarz konturierten Bilder strahlen und zwingt sie dem Betrachter förmlich ins Auge. Dieses magische Blau, ihre Lieblingsfarbe, findet man auf fast jedem Münter-Bild.

Dem Selbst hat sich die Malerin übrigens nur gelegentlich gewidmet. Unter 250 überlieferten Porträts sind es gerade mal sechzehn, vier davon sind hier dabei. Sie zeigen eine nachdenkliche Frau mit einprägsamer, sensibler Physiognomie.

Zwei Frauen betrachten das Bild „Bildnis Marianne von Werefkin, 1909“ bei einer Pressevorbesichtigung der Ausstellung „Gabriele Münter. Menschenbilder“ im Bucerius Kunstforum.

Das Bild „Bildnis Marianne von Werefkin, 1909“.

Unter den vielen Highlights der Schau gibt das Bildnis der Malerin Marianne Werefkin mit dem riesigen Blumenhut aus dem Jahre 1909 den Ton an. Wohl aus einer Laune heraus hat Gabriele Münter sich im selben Jahr mit einem ähnlichen Hut dargestellt: ein wunderbares Bild aus dem Princeton University Art Museum, das hier leider fehlt.

Zu Publikums-Lieblingen gehören schon jetzt die vielen Kinderbilder, gemalt oder fotografiert. Denn bei ihrem frühen Aufenthalt in Amerika anno 1898, wo sie Verwandte ihrer kurz zuvor verstorbenen Mutter besucht, lichtet die junge Frau mit ihrer ersten Kamera reihenweise kleine Helden ab: nicht niedlich, auch nicht kindlich, sondern mit großem Respekt.

Münter zeichnete Paul Klee

Auch Münters schöne Porträts von Kandinsky sind zu bewundern: beim Malen im Freien und Harmonium spielend. Herrlich der „Kandinsky am Teetisch“ mit lustiger Papageienkanne. Dieses 1910 entstandene Ölbild hat einstmals der Regisseur Billy Wilder dem Israel Museum in Jerusalem geschenkt.

Ein Meisterwerk auch der „Mann im blauen Sessel“ von 1913, in dem unschwer Paul Klee zu erkennen ist, zu Gast im Hause Münter, mit weißer Hose, schwarzem Pullover und griesgrämigem Gesicht. Es kommt nicht häufig vor, dass Arbeiten mit Bleistift einem bemerkenswerten malerischen Werk den Rang streitig machen. Bei Münter ist das so.

Den „Menschenbildern in Zeichnungen“ ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das ihre stupende Könnerschaft belegt. Ein Beispiel: 1926 porträtiert Otto Dix die Schriftstellerin Sylvia von Harden in neusachlicher Manier und überspitzt karikierend als Typus der „Neuen Frau“. Das Ölbild wird zu einer Ikone der Moderne.

Eine Frau betrachtet bei einer Pressevorbesichtigung der Ausstellung „Gabriele Münter. Menschenbilder“ im Bucerius Kunstforum Selbstbildnisse der Künstlerin.

Zwei Selbstbildnisse der Künstlerin.

Münters Bleistift-Version muss sich dahinter aber nicht verstecken. Sie zeigt die Journalistin als die Frau, die sie ist, ganz nah dran am Leben – und nennt sie „Die Unvergleichliche.“ Untertitelt sind übrigens fast alle Zeichnungen: Die Stilvolle, Die Heitere, Kokett, Nachdenkend, Träumend.

Diese schlichten kleinen Blätter in ihrem asketischen Schwarz-weiß sind womöglich die heimlichen Stars dieser glanzvollen Schau und offenbaren das Credo der Künstlerin Gabriele Münter: „Zeichnen ist mir eine Lust geblieben – und nicht deshalb geringfügig, weil die Farbenwelt noch bezaubernder ist.“

Bis 15. Mai, täglich 11–19 Uhr, Do, 11–21 Uhr. Weitere Informationen unter Buceriuskunstforum.de