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Fotograf Anton Corbijn im InterviewAuf der Suche nach den dunklen Seiten

Lesezeit 4 Minuten
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Anton Corbijn hat die Band Depeche Mode viele Male fotografiert. 

Köln – Von Johnny Cash bis James Last, von Grace Jones bis Königin Beatrix – der Niederländer Anton Corbijn hat in seit den 80er Jahren Berühmtheiten aller Genres fotografiert. Zu den Bands U2 und Depeche Mode hat er eine besondere Beziehung aufgebaut, letzteren widmet er nun einen Bildband, über den der 66-Jährige mit Axel Hill sprach.

Schwarz-Weiß-Fotos, leicht grobkörnig, sind Ihr Markenzeichen.

Das hat sich so ergeben: Die ersten Magazine, in denen ich veröffentlichen wollte, haben in schwarz-weiß gedruckt. Und wenn du es selber machen musst, ist es leichter, Schwarz-weiß-Bilder zu entwickeln. Später habe ich gemerkt, dass Schwarz-weiß kraftvoller ist als Farbe. Und ich bin dabei geblieben. Aus einer wirtschaftlichen Entscheidung ist eine künstlerische geworden (grinst).

Anton Corbijn, Copyright Stephan Vanfleteren (00)

Selbst ein Star: Anton Corbijn. 

Nur ein einziges von mehr als 500 Fotos im Buch haben Sie digital bearbeitet und störende Sandsäcke weg retouchiert. Wie widerstehen Sie der Versuchung, das nicht viel häufiger zu tun?

Sie ist manchmal groß (lacht). Wenn man dadurch Dokumente wie Kriegsfotos verändert, ist das falsch. Aber wenn man es aus ästhetischen Gründen bei einem Bild macht, das man selber kreiert, ist das in Ordnung. Bilder von Hand zu entwickeln oder digital zu bearbeiten ist dasselbe: Du beeinflusst einen Prozess.

Brauchen Sie es nicht oder ist es wie eine Herausforderung?

Die „digitale Dunkelkammer“ hat mir zum Beispiel die Möglichkeit gegeben, mit alten Bildern zu arbeiten, die entweder extrem dunkel oder extrem hell sind. Wenn ich solche Negative scanne, kann ich die Fotos drucken, die ich nicht von Hand entwickeln konnte.

Hilft es, wenn Sie die Musik eines Künstlers mögen, wenn Sie ihn fotografieren sollen?

Ja, das hilft – auch bei Schauspielern. Denn dann bist du automatisch ein Stück mehr involviert. Man denkt, ich möchte etwas erschaffen, das ihnen gerecht wird.

Das Buch

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Ein Schwergewicht: Auf mehr als 500 Seiten hat Anton Corbijn Fotos von Depeche Mode zusammengestellt, die seit den 80er Jahren entstanden sind (Taschen Verlag, 100 Euro). (HLL)

Depeche Modes frühe Sachen mochten Sie nicht, die Band musste mehrfach anfragen, bis Sie bereit waren, mit Ihnen zu arbeiten.

Ihre ersten Platten waren mir zu poppig. Ich mochte mehr Post-Punk-Sachen wie Joy Division oder Echo & The Bunnymen...

Mehr so die Düsteren...

Genau. (lacht). Als ich dann 1986 angefangen habe, mich genauer mit ihrer Musik zu beschäftigen, habe ich entdeckt, dass es da auch sehr viel mehr dunklere Seiten gibt – es war versteckt unter dem Pop.

Sie schreiben, dass Sie eher Menschen als Musiker porträtieren wollen – aber warum tragen dann Depeche Mode so oft schwarze Sonnenbrillen – das ultimative Rockstar-Accessoire?

Es ist wohl das ultimative Accessoire für alle Berühmtheiten (grinst). Ich wollte aber auf jeden Fall weg von Bildern mit Instrumenten. Ich habe ein paar gute mit Elvis Costello und Ry Cooder gemacht, aber generell wird es schnell klischeehaft. Anders ist es, wenn ich Maler fotografiere: Da will ich unbedingt in ihrem Atelier sein.

Das ist bei meinen Fotografen-Kollegen genauso: Wenn wir Atelierbesuche machen, ist es für sie meist ein Fest, weil es so viel zu sehen und zu fotografieren gibt.

Genau. Aber ich bin auch so neugierig auf den Prozess: Denn während ich etwas festhalte, was schon vorhanden ist, schafft ein Maler aus dem Nichts. Ich hege dafür eine tiefe Bewunderung.

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Bei dieser Session im Jahr 2000 stieg Anton Corbijn selbst mit in den Pool. 

Wie arbeitet man mit jemandem, der wie DM-Sänger Dave Gahan drogenabhängig war?

Man muss sehr viel Geduld haben. Ich war mit dem Holländischen Musiker Herman Brood eng befreundet...

...der sich 2001 aufgrund seiner Drogenabhängigkeit das Leben genommen hat...

Ich hätte es früher bemerken müssen. Aber viele Drogenabhängige haben gute Methoden, es zu verbergen. Manchmal war ich länger bei Dave in der Wohnung, weil er jemand um sich brauchte – und habe dennoch nicht gemerkt, wie gefährlich nahe er manchen Dingen war...

Für die Fotos zur Platte „Delta Machine“ waren Sie der Band in den Südstaaten auf einer Sklavenplantage. Fünf weiße Europäer...

Martin Gore hat afro-amerikanische Wurzeln, deshalb war das in Ordnung. Heute würde man das vielleicht anders betrachten. Aber ich bin zuletzt selber Opfer von cancel culture geworden.

Wie kam das?

Ich wurde für einen Film, bei dem ich Regie führen sollte, abgelehnt, weil ich nicht schwarz bin. Er sollte auf dem Buch „Devil in the Grove“ von Gilbert King basieren und Rassismus thematisieren. Wir hatten einen Deal mit Amazon. Dann bekam ich einen Anruf: Du bist nicht Teil der Community. Bis zu einem Grad verstehe ich das, aber bin mir gleichzeitig sehr bewusst über das Leid und das Gefühl der Ungleichheit. Und nun wird dieser Film aber gar nicht gemacht.