In „Oskars Kleid“ spielt Florian David Fitz Familienvater Ben, der damit ringt, dass sein Sohn transgender ist. Im Interview mit Daniel Benedict und Laura-Cäcilia Wolfert erzählt Fitz, wie es dazu kam.
„Es ist spannender, Männlichkeit zu hinterfragen“Florian David Fitz über seinen neuen Film „Oskars Kleid“

Ava Petsch (l.), Florian David Fitz (M.) und Laurì (r.) im Film „Oskars Kleid“
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Ihre Figur, der Vater Ben, hat nicht nur Probleme mit einem Trans-Kind, er ist auch noch Polizist und lebt in Bayern. Inwiefern ist es okay, in so einem Film Klischees zu bedienen?
Das mit dem Klischee würde ich auseinandernehmen. In dem Film entdeckt man Sachen, die man bei Ben anfangs nicht erwartet hätte. Du denkst die ganze Zeit, er ist eine deutsche Kartoffel, und plötzlich kommt er aus einem jüdischen Elternhaus und versucht das zu verdrängen. Und dass Polizisten eher eine männlich konnotierte Welt sind, in der du mit männlichen Stereotypen arbeitest – das wissen wir, glaube ich, alle.
Alice Schwarzer ist ein guter Promoter – und ein bisschen Macho.
Selbst die Mädels, die dort mitmachen, haben sich sehr an eine männliche Welt angepasst. Für uns war es wichtig, dass Oskar in einer Welt aufwächst, die eher männlich konnotiert ist. Das ist der interessantere Film, als zu sagen: Wir machen jetzt eine Ballettschule auf, und dann kommt Oskar hereingeschneit. Es ist viel spannender, Männlichkeit zu hinterfragen.
Wenn ich einen Text übers Gendern schreibe, rechne ich fest mit wütenden Leserbriefen. An Ihrer Stelle hätte ich mir ganz genau überlegt, wie ich diesen Film mache – um Stress zu vermeiden ...
Sie meinen, einen Film zu machen, der weder links noch rechts aneckt? Unter der Prämisse mache ich tote Filme. Als „Vincent will Meer“ in die Kinos kam, haben Angehörige oder Betroffene von Tourette Kritik geäußert. Die meinten, wenn so ein Film rauskommt und der auch noch lustig ist, dann stehen wir von den Kinos und verteilen Flugblätter, damit sich den keiner ansieht. Später hat die Community „Vincent will Meer“ aber als „ihren“ Film betrachtet, der für sie ganz toll war.
Unter dem YouTube-Trailer zu „Oskars Kleid“ schreiben viele Leute: Das ist Propaganda für Trans, ihr macht unsere Kinder kaputt. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die finden: Das Wort „trans“ und „Problem“ darf nicht mal ansatzweise im selben Absatz vorkommen ...
Das verstehe ich, aber: So macht man politische Pamphlete, keine Bücher oder Filme. Du erzählst von spezifischen Menschen. Und wenn wir Glück haben, berührt das andere spezifische Menschen, die vielleicht in einer ganz anderen Situation sind. Weil eine größere menschliche Erfahrung dahinter liegt.
Die Idee zu „Oskars Kleid“ kam ausgerechnet nach einer Begegnung mit Alice Schwarzer – die Ihnen nach einem gemeinsamen Auftritt ein Werbepaket geschickt haben soll. Wie passt Schwarzers kritische Haltung zu Trans-Rechten zum Film? Und was hat Sie Ihnen eingepackt? Socken mit dem „Emma“-Logo?
Emma-Socken, die sie mir gestrickt hat – das wäre so geil! Aber nein. In dem Paket war eine Emma-Ausgabe und ihre Autobiografie. Alice Schwarzer ist ein guter Promoter –und ein bisschen Macho. Das ist lustig, und das würde sie wahrscheinlich selbst zugeben. Aber sie hat natürlich nicht absichtlich am Film teilgenommen, sondern ist eher unabsichtliche Hebamme gewesen. Ich glaube, bei Alice Schwarzer mischen sich zwei Argumente. Erstens nimmt sie an, viele hauptsächlich junge Mädchen sind gar nicht trans, sondern erliegen einem gewissen Nachahmereffekt, und das Problem sei in Wirklichkeit was ganz anderes. Die These: Trans sei die neue Magersucht, ein sehr strittiges Schlagwort.
Den Nachahmereffekt gibt es vielleicht wirklich. Aber es tut doch der Sache keinen Abbruch, dass es wirklich Transkinder gibt. Zweitens hat Alice lange für eine bestimmte Gruppe, Frauen, gekämpft und hat jetzt vielleicht Angst, dass Frauen was weggenommen wird, wenn Trans-Menschen auch als Frauen anerkannt werden. Keine Ahnung. Ich finde es schade, denn eigentlich hat sie ja ein Leben lang für Benachteiligte gekämpft, da könnte ich mir etwas mehr Empathie vorstellen.
Florian David Fitz: Hauptdarstellerin Laurí ist ein „kluger Kopf“
Können Sie etwas über Ihre Hauptdarstellerin Laurí erzählen?
Wir haben am Anfang überlegt, ob wir zusammen mit der Presse sprechen wollen, und sie meinte: Eigentlich habe ich gar keine Lust mehr, über dieses Thema zu sprechen. Sie ist genauso wie das Kind in dem Film: ein kluger Kopf, sehr eigenständig, auch störrisch. Wenn sie keinen Bock mehr hat, dann hat sie keinen Bock mehr. Sie ist im Grunde wie ein altes Kind. Das ist herausgestochen. Bei all den Kindern im Casting war das ein bisschen wie Fasching: Die stellen sich vor, verstehen aber gar nicht, was das Problem ist. Das hat sich verkleidet angefühlt, bei Laurí nicht.
Habt ihr beim Casting nach Jungs, Mädchen oder Trans-Kindern gesucht?
Wir waren sensibel. Mehr kann ich dazu aber nicht sagen. Laurí möchte sich nicht erklären, und wie könnte ich mir das nach diesem Film nicht zu Herzen nehmen? Sie ist ein Mädchen, und sie möchte als solches respektiert werden.
„Es ist wichtig, dass Leute sichtbar sind“
Ist es Ihnen denn überhaupt wichtig, dass queere Rollen mit queeren Darstellern besetzt werden? Zum Beispiel im Fall des schwulen Lehrers im Film?
Wir haben Matthias, der den Lehrer spielt, nicht gefragt, ob er schwul ist. Ich verstehe hier beide Seiten: Es ist wichtig, dass Leute sichtbar sind. Und wenn man jemanden findet, der genau das im Film repräsentiert und spielen kann – toll. Im Theater gäbe es diese Frage gar nicht. Da muss man auch mal ein Eichhörnchen spielen. Wenn wir den Gedanken aber zu Ende spinnen, wenn jeder nur noch seine eigene Geschichte erzählen darf – dann ist das das Ende des Filmemachens und des Romaneschreibens.
Ich glaube nicht, dass Autobiografien das interessanteste Genre ist. Ich habe schon Gaus gespielt, bin aber bestimmt kein mathematisches Genie. Ich habe jemanden gespielt, der Tourette hat, jemanden mit ALS, der Sterbehilfe in Anspruch nimmt. Ich hätte nichts davon spielen können, nur mich. Dass man mehr Leute hat, die repräsentiert werden und in Erscheinung treten, ist doch super. Aber zum Beispiel ein schwuler Schauspieler möchte doch nicht den Rest seines Lebens nur noch schwule Rollen spielen.