Filmkritik „Keine Zeit zu sterben“Warum sich das Warten auf „James Bond“ gelohnt hat
„Keine Zeit zu sterben“ – schon allein der Titel des neuen James Bond entwickelte als Durchhalteparole in pandemischen Zeiten nahezu prophetische Qualitäten. Der Film gehörte zu den ersten Blockbustern, die schon Anfang letzten Jahres, als das Corona-Virus noch vorwiegend in China wütete, ihren globalen Kinostart aussetzten. Viermal wurde der Termin seitdem immer weiter verschoben. Während andere Produktionen ihr Heil in den Streaming-Diensten suchten, hielten die Bond-Produzenten mit eiserner Geduld an einer weltweiten Präsentation auf der großen Leinwand fest. Und so ist „Keine Zeit zu sterben“ auch ein Bekenntnis zum Kino, das als kollektiver Kulturerlebnisraum durch die Pandemie in seinen Grundfesten erschüttert wurde – und der wichtigste Hoffnungsträger einer stark gebeutelten Branche.
„Keine Zeit zu sterben“ hat alle Kinozutaten am Start
Aber sind die Schultern des Geheimagenten Ihrer Majestät wirklich breit genug, um diese Erwartungslast zu tragen? Darüber wird letztlich an der Kinokasse entschieden. Aber die Chancen stehen gut. Denn das, was in „Keine Zeit zu sterben“ auf der Leinwand zu sehen ist, gibt dem Kino jenen Ereignischarakter zurück, nach dem wir uns im monatelangen Home-Entertainment-Modus gesehnt haben: Spektakuläre Locations, atemberaubende Actionszenen, visueller Stilwillen und ein sorgfältig gedrechselter Plot, in dem der Held nicht nur gegen schaurige Schurken, sondern auch gegen eigene Dämonen ins Feld zieht – und dabei um eine große Liebe kämpft.
Und so fängt dieser Bond auch nicht mit einem wahllosen Einsatz des Geheimagenten an, sondern mit einer Kindheitserinnerung seiner Geliebten Madeleine Swann (Léa Seydoux), die in jungen Jahren mit ansehen muss, wie ihre Mutter von einem maskierten Eindringling ermordet wird. Mit Madeleine genießt James den geheimdienstlichen Vorruhestand, als eine massive Explosion ihn fast umbringt. Der Chef der Terrororganisation „Spectre“ Blofeld (Christoph Waltz), den Bond im letzten Film hinter Gitter gebracht hat, scheint dem Berufsaussteiger nicht verziehen zu haben.
Auch Verfolgungsjagden sind wieder phänomenal
Es folgt eine kraftvoll choreografierte Verfolgungsjagd durch die engen Gassen des italienischen Bergstädtchens Matera, in der Bond nicht nur vor den zahlreichen Finsterlingen flüchten muss, sondern auch die Liebe zu Madeleine aufkündigt, die ihn an Spectre verraten haben soll.Fünf Jahre später lebt er allein und zurückgezogen auf Jamaika, wo ihn sein früherer CIA-Kollege Felix Leiter (Jeffrey Wright) für einen letzten Job anwirbt. Ein Wissenschaftler hat die Daten eines geheimen MI6-Projektes gestohlen und an Spectre verkauft. Die tödlichen Nanorobots, die auf eine spezifische DNA codiert werden, ermöglichen gezielte Attentate genauso wie groß angelegte Völkermorde. Und so kehrt Bond als freier Mitarbeiter zurück nach London, auch wenn man seine Dienstnummer 007 schon längst an die ambitionierte Kollegin Nomi (Lashana Lynch) vergeben hat. „Ist nur eine Nummer“ sagt James achselzuckend und fängt an die Welt zu retten.
Ein echter Mann zeigt endlich auch Gefühle
Mit der Amtsübernahme Daniel Craigs in „Casino Royale“ wurden nicht nur veraltete Männer- und Frauenstereotypen überarbeitet, sondern auch über mehrere Folgen hinweg das Seelenleben des Meisterspions weiterentwickelt. Craigs Bond war nicht mehr nur ein harter Kerl mit verdammt coolen Sprüchen. Die melancholischste unter den Bond-Inkarnationen konnte nun auch echte Gefühle zeigen.
Gerade auf dieser Ebene hält „Keine Zeit zu sterben“ noch einige überraschende Wendungen bereit, die durchaus kunstvoll in den klassischen Weltretter-Plot hinein geflochten werden. Craig meistert es hier besser denn je, die Risse in der harten Schale und das pochende Herz, das sich dahinter verbirgt, sichtbar zu machen.
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Dieser 25.Bond-Film ist der letzte mit Daniel Craig und auf verschiedenen Ebenen ist „Keine Zeit zu sterben“ auch ein riesengroßes Abschiedsgeschenk an seine Figur, mit der sich das Franchise seit „Casino Royale“ nicht neu erfunden, aber grundlegend modernisiert hat. Mit 163 Minuten ist dies auch der längste Bond-Film, in dem US-Regisseur Cary Joji Fukunaga sich für die elegant orchestrierten Stunt-Sequenzen genauso viel Zeit lässt wie für die emotionalen Ver- und Entwicklungen.
Fukunaga, der nach künstlerischen Differenzen das Regiezepter von Danny Boyle übernommen hat, gelingt es Neues in Vertrautes nahtlos einzubinden. Eingefleischte Bond-Fans werden in diesem Film erneut ihren Spaß an dem breiten Geflecht aus Insider-Witzen und Querverweisen haben. Als kraftvoller Schlussakkord bereitet „Keine Angst zu sterben“ der Ära Craig einen würdigen Abschied – und den Kinos hoffentlich einen ökonomischen Neuanfang.