Bei ihrem lit.Cologne-Auftritt stellt sich Sandra Hüller mit ihrer Präsenz und ihrem Charisma ganz in den Dienst des Autors Wolfgang Herrndorf, an den an diesem Abend erinnert wird.
Ein Abend für den Autor von „Tschick“Wenn sich Sandra Hüller in den Dienst einer Sache stellt
Im Sommer 2012 die dritte Hirntumor-OP. Es folgt die nächste Chemo-Therapie. „Ohne wären Sie tot“, sagte der Doktor. Im folgenden September ist klar: Die Chemo nützt nichts mehr. Die epileptischen Symptome und Hirnaussetzer nehmen zu. Er findet auf der PC-Tastatur die Buchstaben nicht mehr. Seine Pistole liegt stets neben ihm.
Die letzten Monate im Leben des Malers, Cartoonisten und Schriftstellers Wolfgang Herrndorf sind erschütternd und bedrückend. Feuilleton-Journalist und Autor Tobias Rüther (50) hat ein Buch über diesen Künstler geschrieben. Am Samstagabend las er zusammen mit Star-Schauspielerin Sandra Hüller in der ausverkauften Köln-Mülheimer Stadthalle aus „Ich mache keine Fehler“, erschienen im August 2023.
Die literarische Reise durch das Leben Herrndorfs beginnt in seiner Kindheit. „Ich bin ein Stück Bettwäsche“, beschreibt der Künstler selbst einmal den ersten Eindruck von dieser Welt. Rüther fügt hinzu, dass es vor allem dieser kindliche Blick auf ein Feld in der Nachbarschaft seines damaligen Zuhauses in Norderstedt bei Hamburg war, der seine Malerei und wichtige Szenen seiner Bücher geprägt habe.
„Er hat es wieder und wieder in seinem bevorzugten Stil der alten Meister gemalt. Und in seinem Bestseller ,Tschick' liegen die ausgebüxten Jungs in einem Feld, schauen in die Sterne und philosophieren über die Welt.“
Tobias Rüther verbindet eindrucksvoll seinen analytischen Blick auf Wolfgang Herrndorf mit Zitaten aus unveröffentlichten Dokumenten, Erzählungen von Freunden und den Büchern „In Plüschgewittern“, „Tschick“ und dem letzten Roman „Sand“.
Sandra Hüller bei der Arbeit
Die jüngst bei den Oscars nominierte Film- und Theaterschauspielerin Sandra Hüller übernahm diese literarischen Fragmente und Zitate. In ihrem mit viel Applaus und einer Rose eines Fans begleiteten Auftritt nahm sich der Star bemerkenswert zurück und stellte sich ganz in den Dienst des Werkes.
Es entstand somit ein kurzweiliger, fesselnder Dialog, der das Publikum in das Leben dieses „viel zu früh verstorbenen Multitalents“ (Rüther) eintauchen ließ.
„Ich war fast immer allein. Fünf von sieben Frauen, die ich geliebt habe, wussten nichts davon. Die letzten drei Jahre waren die besten“, äußerte Herrndorf kurz vor seinem Tod gegenüber Freunden. Trotz aller Traurigkeit, die dieses Künstlerleben umgebe, „näherte sich Herrndorf seinen Themen stets, in dem er sich auch über sie lustig machte“, stellt Rüther heraus.
„Erkenntnis durch Pointe“, wie der Schriftsteller selbst definierte, prägte auch seine langjährige Arbeit in Berlin beim Satiremagazin „Titanic“.
Begraben im Lieblings-T-Shirt
Nachdem die letzte Chemo-Therapie endete und auch die Medikamente abgesetzt wurden, blickte Herrndorf auf drei produktive und erfolgreiche Jahre zurück. Vor allem seine Frau, die Kinderbuchautorin Carola Wimmer, war in dieser Zeit an seine Seite, die er drei Monate vor seinem Tod noch heiratete.
Sie war es auch, die bei der Einäscherung von Herrndorf darauf achtete, dass sein Lieblings-T-Shirt mit dem ironischen Aufdruck „Ich mache keine Fehler“ trug, der schließlich auch dem Leseabend den Titel gab.