Es geht vermutlich gar nicht um eine Blume, und sein Autor ist unbekannt: Der Kirchenklassiker «Es ist ein Ros entsprungen» gibt Rätsel auf. Ein Experte hat zu seiner Popularität eine Erklärung.
Vor 425 Jahren gedrucktMehr als ein Weihnachtslied: „Es ist ein Ros entsprungen“
Jubiläum für ein rätselhaftes Weihnachtslied: Vor 425 Jahren erschien ein Druck des bis heute populären „Es ist ein Ros entsprungen“. Aber woher stammt der religiöse Evergreen, der durch Aufnahmen etwa von Helene Fischer, Karel Gott oder Sting sogar Eingang in die Popkultur fand? Und warum sollte „mitten im kalten Winter“ eine Rose entspringen?
Die Spur führt nach Trier. Dort steht die älteste geschriebene Version in einem Andachtsbüchlein. „Es stammt von Frater Conradus, einem Mönch des Kartäuserordens“, heißt es vom Bistum Trier. Der Mönch habe es vermutlich vor 1588 aufgeschrieben. Das wertvolle Büchlein liegt heute im Stadtarchiv.
„Forscher meinen, dass das Lied schon länger in Trier verbreitet war“, sagt ein Stadtsprecher. Conradus sei wohl nicht der Urheber, aber der älteste Chronist der Strophen. „Den Text hat er offenbar aus der Erinnerung aufgeschrieben.“
Die Rose ist wohl keine Rose
Ein Kirchenmann, der damals von Trier nach Köln wechselte, gab das Lied dort vermutlich an den späteren Weihbischof von Speyer weiter. Wohl so erfuhr „Es ist ein Ros entsprungen“ vor 425 Jahren seine weitere Verbreitung. „Das Lied wurde im Speyerer Gesangbuch 1599 erstmals mit Noten abgedruckt“, teilt das Bistum Speyer mit. Der Komponist Michael Praetorius (um 1572 bis 1621) gab ihm mit dem vierstimmigen Chorsatz dann seine heute bekannte Form.
Indes ist die Rose, die da entspringt, möglicherweise in Wirklichkeit ein „Reis“ - ein Zweig. Der Urheber des Liedes habe sich dazu wahrscheinlich einen Bibelvers ausgeliehen, meint der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann. „Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor“, heiße es beim Propheten Jesaja. „Seither gehört das Bild des neuen Triebs an einem toten Baumstumpf zu den großen Hoffnungsbildern der Menschheit“, so Wiesemann in seiner diesjährigen Weihnachtsbotschaft in der Kirchenzeitung „Der Pilger“.
Bis heute sei „Es ist ein Ros entsprungen“ ein Zuversichtslied, entstanden angesichts gravierender Umbrüche in Kirche und Gesellschaft im 16. Jahrhundert. Auch Jesajas Satz sei beeinflusst vom Exil des Volkes Israel in Babylon. Bischof Wiesemann zieht Parallelen zu heute: Der Prophet habe Optimismus verbreiten wollen, aber viele hätten sich im Gestern eingerichtet.
Hoffnung in ein neues Morgen
„In der Tat setzen immer mehr Menschen ihre Hoffnung nicht in ein neues Morgen, sondern in die Rückkehr an das wärmende Stammesfeuer vergangener Zeiten“, so Wiesemann. „Wahlkampfslogans wie „Make America great again“ zeigen, dass sie ihre Kraft und Identität nicht aus der Idee einer besseren Zukunft nehmen, sondern aus der Flucht in eine verloren geglaubte und idealisierte Vergangenheit.“ Da ist „Es ist ein Ros entsprungen“ ein Statement. Andere deuten es auch als Marienlied mit Jesus als erwähntem „Blümlein“.
Bleibt die Frage, warum der Kirchenklassiker auch nach mehr als 400 Jahren so populär ist. „Kirchenlieder spiegeln den ganzen Kosmos von Gottesdienst und Frömmigkeit“, sagt Prof. Alexander Zerfaß von der Universität Salzburg. „Sie werden über Generationen hinweg immer wieder neu angeeignet: Wer ein Kirchenlied singt, leiht zunächst einmal fremden Worten seine Stimme.“
Etwas vom Geheimnis spüren
Gerade ältere Kirchenlieder „atmen“ oft eine große Weite. „Sie faszinieren uns, auch wenn die musikalischen und textlichen Formen fremd geworden sein mögen“, sagt der Experte für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Viele Weihnachtslieder würden nicht zuletzt atmosphärisch das Geheimnis spüren lassen, um das es an diesem Fest gehe und alles Verstehen übersteige.
Mit seinem rätselhaften, bildreichen Text, sagt Zerfaß, sei „Es ist ein Ros entsprungen“ ein Beispiel für die Wirkweise weihnachtlicher Dichtung. (dpa)