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Interview

Kölner Museums-Direktor
„Jede documenta hatte Einfluss darauf, wie ich über Kunst denke“

Lesezeit 6 Minuten
Yilmaz Dziewior Museum Ludwig

Yilmaz Dziewior, der Direktor des Kölner Museum Ludwig.

Seit der letzten Woche hat Yilmaz Dziewior eine zusätzliche Aufgabe: Er ist Mitglied der Findungskommission, die die kuratorische Leitung der nächsten documenta sucht.

Wie ist die documenta auf Sie zugekommen? Gab es einen Anruf oder eine Mail?

Eine Mail, in der gefragt wurde, ob ich Zeit für ein Gespräch hätte. Da habe ich mir schon gedacht, dass es vielleicht um die Findungskommission gehen könnte. Und dann haben wir einen Telefontermin ausgemacht, dabei kam konkret die Frage, ob ich mir vorstellen könnte, Teil der Findungskommission zu sein.

Und Ihre Antwort war natürlich...

Grundsätzlich ja, weil mir die documenta sehr viel bedeutet. Ich habe aber meine Zusage davon abhängig gemacht, ob das überhaupt zeitlich möglich ist. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, wer meine Kolleginnen und Kollegen sein werden, aber ich konnte mir vorstellen, dass alle einen vollen Terminplan haben. Man kann die documenta auf jeden Fall beglückwünschen, dass sie es geschafft hat, für dieses Jahr schon alle Termine vereinbart zu haben.

Inhaltlich hatten Sie keine Bedenken?

Mir ist bewusst, dass es eine ziemliche Herausforderung wird und es sicher viele Diskussionen gibt mit den fünf Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Das wird nicht einfach – und erst recht nicht für die Person, die die documenta dann letztendlich macht.

Zwei Kommissionsmitglieder kennen sie schon persönlich. Haben Sie sich schon ausgetauscht?

Nein, dazu hatte ich noch keine Muße.

Wie hat sich die documenta seit 1992, als Sie sie zum ersten Mal gesehen haben, verändert?

Ich muss sagen, nicht nur die documenta, sondern auch ich habe mich verändert. Jede Ausgabe der documenta hatte Einfluss darauf, wie ich über Kunst denke.

Inwiefern?

Etwa meine Sichtweise betreffend. 1992, da war ich Ende 20, hatte ich noch nicht realisiert, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt sehr westlich war. Ich erinnere mich an Cady Noland und Matthew Barney in einer Tiefgarage. Aber ich habe auch beeindruckende Arbeiten von Jimmie Durham und David Hammons gesehen, womit schon bei der Jan Hoet Documenta afroamerikanische und indigene Positionen vertreten waren.

Das war vor mehr als 30 Jahren, und Sie haben immer noch die Bilder vor Augen.

Auch von einer Installation von Anish Kapoor: ein Gebäude auf einem Platz. Wenn man es betrat, schaute man in ein Loch am Boden, in einen schwarzen Raum, der wirkte, als wäre er unendlich.

Als ich mich dann immer mehr für Formen der Politisierung der Kunst interessierte und für eine verstärkte Internationalisierung in Richtung von Lateinamerika, Afrika, Asien, habe ich das auch immer auf der documenta mitgelernt.

So hat mir Catherine David mit ihrer Ausgabe 1997 die Augen geöffnet für den Nahen und Mittleren Osten. Das war wirklich bahnbrechend für mich.

Bei Okwui Enwezor (2002) war ich zunächst eingeschüchtert von einigen seiner Vorträge und dem dezidiert intellektuellem Jargon. Umso überraschter war ich dann, als ich seine documenta sah, die bei aller Theorie sehr visuell war. Ich habe seit 1992 alle Ausgaben verfolgt – bis hin zu der von ruangrupa.

Jener documenta 15 vor zwei Jahren...

Es ist sehr tragisch, dass diese Ausgabe in erster Linie wegen des Antisemitismus-Skandals in Erinnerung bleiben wird. Denn es war eine wichtige Ausgabe in Bezug auf das Kuratieren von Kunst. Wir konnten dort als Institution, die wir uns immer mehr öffnen wollen, so viel lernen über Gemeinschaft, über Enthierarchisierung, und auch über verschiedene Formate von Vermittlungsangeboten der Kunst. Das alles wird aber leider komplett überschattet von der berechtigten Kritik an den dort ausgestellten antisemitischen Arbeiten.

Wie haben Sie die Entwicklung erlebt?

Ich habe schon im Vorfeld die Artikel in den Feuilletons verfolgt. Und es war schon ganz zu Anfang eine verfahrene Situation, mit Beschuldigungen, bevor überhaupt etwas zu sehen war. Die antisemitischen Arbeiten waren so furchtbar, dass dann die Empörung berechtigt war.

Hat die documenta daraus gelernt?

Davon gehe ich aus. Ich erlebe das in institutionellen Zusammenhängen immer wieder: Man beruft eine Direktorin oder einen Direktor aus einem ganz anderen kulturellen Hintergrund, gibt ihr oder ihm die Position, und dann lässt man sie komplett alleine – und wundert sich, dass das nicht funktioniert und Probleme auftauchen. Ich glaube, dass man da viel mehr begleiten und unterstützen muss. Aber durch den Code of Conduct, den sich die documenta gegeben hat, gehe ich davon aus, dass die Fehler nicht noch mal gemacht werden. Dies werden natürlich auch alles Aspekte sein, die uns in der Findungskommission beschäftigen werden.

Wie empfanden Sie die Aufarbeitung im Nachgang?

Schwierig. Es muss eigentlich schon viel früher beginnen: Man hat als Gastgeber dem Gast gegenüber eine Verantwortung, aber auch umgekehrt.

Welche Erwartungen haben Sie an Ihre Arbeit in der Kommission?

Große Erwartung ist die falsche Antwort. Aber ich kann sagen, ich freue mich sehr auf die Arbeit in der Gruppe. Von einigen kenne ich die Arbeit gut. Was ich von den Publikationen, Ausstellungen und Projekten der anderen gelesen habe, macht mich sehr neugierig auf sie. Da bringt jedes Mitglied der Findungskommission etwas ganz anderes ein. Ich erhoffe mir auch, viel von den anderen in der Kommission zu lernen. Was ist ihnen wichtig in Bezug auf die spätere Leitung, was muss die Person oder die Personen mitbringen?

Und was wäre das?

Die kuratorische Leitung der kommenden documenta muss sich global hervorragend auskennen, da jede documenta bisher den Nerv der Zeit getroffen hat. Was wird gerade wo diskutiert und wer sind die Protagonistinnen und Protagonisten? Man darf auch nicht unterschätzen, dass dies eine extrem öffentliche Position ist. Sobald der Name bekannt ist, steht diese Person im Scheinwerferlicht, jeder Schritt wird verfolgt – und das heute sicher noch mehr als früher. Damit muss man umgehen können. Außerdem bedarf es der Fähigkeit der Vermittlung – an das Fachpublikum gleichermaßen wie an die breite Masse. Und man muss ein großes Team leiten können.

Die documenta verändert sich von Mal zu Mal, was darf sie aber nie verlieren?

Den Finger am Pulsschlag der Zeit.

Hatten Sie, als Sie das erste Telefonat geführt haben, eigentlich schon direkt Namen im Kopf?

Ja, einige. Denn die Kunstwelt ist zwar groß, aber in einem bestimmten besonders avancierten Segment auch wieder nicht. Ich würde schon sagen, dass ich mich international gut vernetze, trotzdem entgehen einem natürlich auch immer wieder Positionen. Deshalb bin ich so gespannt auf die Vorschläge der anderen - und darauf, was sie über meine Vorschläge denken.