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„Die Heldin von Auschwitz. Leben und Widerstand der Mala Zimetbaum“Barbara Beuys erzählt in ihrem neuen Buch über Holocaustopfer

Lesezeit 4 Minuten
Das Porträt von Mala Zimetbaum auf einer Hauswand in Antwerpen.

Das Porträt von Mala Zimetbaum auf einer Hauswand in Antwerpen.

Die Kölner Autorin Barbara Beuys recherchierte über Mala Zimetbaum, die im Lager Auschwitz mutig für ihre Mitgefangenen sorgte und dort starb.

„Weint nicht“, sagt sie, „der Tag der Erlösung ist nahe... Erinnert euch an alles, das sie uns angetan haben!“ Und: „Zwei Jahre habe ich geschwiegen. Jetzt kann ich sagen, was ich will.“ Am 15. September 1944 sind das die letzten Worte von Mala Zimetbaum. Anschließend wird die 26-Jährige mit Klebeband zum Schweigen gebracht und ins Krematorium gefahren. Dort endet, von niemand bezeugt, das Leben „Der Heldin von Auschwitz“.

Kaum schriftliche Selbstzeugnisse

Während jüdische Opfer der NS-Schreckensherrschaft wie Anne Frank oder Fania Fénelon Teil des öffentlichen Bewusstseins wurden - Frank durch ihr berühmtes, posthum von ihrem Vater veröffentlichtes Tagebuch, die überlebende Musikerin und Résistance-Unterstützerin Fénelon durch ihren gleichfalls auf Tagebucheinträgen beruhenden Erfahrungsbericht „Das Mädchenorchester in Auschwitz“ - war Mala Zimetbaum dergleichen nicht beschieden. Mit ihrer Biografie „Die Heldin von Auschwitz. Leben und Widerstand der Mala Zimetbaum“ trägt die Kölner Autorin Barbara Beuys nun dazu bei, dass sich das ändert.

Der Weg, den die promovierte Historikerin dabei gegangen ist, war kein leichter. Denn anders als bei Frank und Fénelon gibt es im Leben der am 20. Januar 1901 in Brzeko, im heutigen Polen geborenen Malka „Mala“ Zimetbaum kaum schriftliche Selbstzeugnisse. Was von ihr, in eigenen Worten, blieb, sind Postkarten, die sie auf Geheiß der SS aus dem Lager an ihre Schwester Jooschka in Antwerpen verschickte, wobei vorab festgelegt war, was darauf stehen sollte: Sie sei gesund, es ginge ihr gut - man solle bitte ein Paket mit Lebensmitteln schicken.

Eine Unterschrift wie „In Gedanken immer bei Euch und erwartend baldige Antwort. Grüsse und Küsse Mala“ berührt dennoch über die Jahrzehnte hinweg. Und auch, dass verschlüsselt eingefügt wird, dass gemeinsame Bekannte, im Lager den Tod fanden. Alles Weitere, wie auch die oben zitierten Sätze, stammt von Augen- und Ohrenzeuginnen.

Transportlisten und Verwaltungsberichte

Mit Hilfe dieser Berichte, mit der Sichtung von Urkunden, Adressbüchern und Registern, Transportlisten, Verwaltungsberichten, Fotografien und Interviews macht sich Beuys dran, die Lücken zu füllen. Sätze in ihrer Biografie beginnen oft mit der Frage „Wie?“. Oder mit „Warum?“. Oder es folgen Mutmaßungen: „Wahrscheinlich....“. Spekulativ ist das alles aber trotzdem nicht.

Beuys weiß über das, was der jüdischen Bevölkerung an Repressalien auferlegt wurde, bis hin zur Freiheitsberaubung, Enteignung und Ermordung, bestens Bescheid. Sie legt das wie eine Blaupause über das Leben einer jungen Frau, die dreisprachig aufwuchs. In Belgien, wo die Familie ab 1928 ansässig war, lernte sie auch noch Französisch und Flämisch. Sie machte in einem berühmten Haute-Couture-Geschäft ihre Ausbildung, war in dieser Zeit frisch verliebt. Am 22. Juli 1942 wurde sie am Antwerpener Bahnhof verhaftet. Weil sie einen gelben Stern trug. Es ist die erste Razzia der Nazis in Belgien.

Vorher hat der Leser sich ihr und ihrem biografischen Hintergrund bereits angenähert - über Kapitel, die das Leben der Juden in Polen, am Rhein - zwischenzeitlich lebte die Familie in Mainz - und im weltoffenen Antwerpen beleuchten. Später, im Lager, macht sich Mala - aufgrund ihrer Sprachkenntnisse, ihrer Intelligenz und ihrer schnellen Auffassungsgabe - dann unentbehrlich. Sowohl bei den Verwaltern des Schreckens, als auch bei denen, die diesem ausgeliefert sind. Sie versorgt Menschen mit Brot, Schuhen und Kleidung, übermittelt Botschaften, bringt Trost und Hoffnung inmitten all der Hoffnungslosigkeit.

„Ich bin Mala, wenn du etwas brauchst, egal was, wende dich an mich“, zitiert Beuys die Schilderungen der Überlebenden Sara Nomberg-Przytyk, die Mitte Januar 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Für die polnische Jüdin, Lehrerin aus Lublin, ist Mala, wie Beuys weiter schreibt, „mutig bis zur Verrücktheit. Es gab keine Aktion, die ihr zu schwierig war.“

Liebe zu Edward Galínski

Im Frühjahr 1944 plant Mala die Flucht, gemeinsam mit dem Mann, den sie in Auschwitz lieben gelernt hat: dem polnischen Katholiken Edward „Edek“ Galínski. Die Flucht gelingt. Vorerst. Dann werden beide gefasst. „Und all meine Hoffnung und mein Glaube, die rosig durch meine Tage funkelten, sanken schwer und tief auf den Boden meiner Seele“ erinnert sich die Überlebende Margita Schwalbova. Beide, Mala und Edek, werden erst gefoltert und dann hingerichtet. Ihre Helferinnen und Helfer verraten haben sie nicht.

Ein umfänglich recherchiertes, durchweg packend zu lesendes Buch, das mit vielen Details und Hintergrundinformationen aufwartet. Teilweise sehr drastischen. Man muss das aushalten können. Um sich klar zu machen, wie viel Unmenschliches Menschen damals Menschen antaten. Indem sie diesen, Gipfel der Perfidie, das Menschsein absprachen.

Barbara Beuys: Die Heldin von Auschwitz. Leben und Widerstand der Mala Zimetbaum. Insel, 333 S., 26 Euro.