Papst-Besuch in KanadaBedauern reicht nicht aus
Häuptling Gerald Antoine wirkt zuversichtlich. Das Bedauern des Papstes im März vor fast 200 Vertretern kanadischer Indigener in Rom erlebte er als wichtigen Schritt in Richtung Versöhnung. Franziskus’ Worte „Es tut mir sehr leid“ erinnerten ihn an eine Pirsch im Schnee, bei der man „frische Elchspuren sieht“, erklärte der Delegationsleiter der „Assembly of First Nations“. Nun müsse folgen, was Chief Antoine für die Indigenen im Vatikan gefordert hatte – eine offizielle Entschuldigung von Franziskus auf kanadischem Boden für das, was Zehntausende indigene Kinder im 19. und 20. Jahrhundert auch in katholischen Internaten erleiden mussten, wo sie zu „zivilisierten Christen“ erzogen werden sollten.
Ein historisch einzigartiges „Mea Culpa“
Der Besuch ist einzigartig. Auch wegen der üblichen Zurückhaltung von Päpsten, sich zu Fehlern der Kirche in der Vergangenheit zu bekennen. Franziskus weicht davon bei seiner 37. Auslandsreise ab, von der er sich – obwohl nach wie vor gesundheitlich angeschlagen – nicht abbringen lassen wollte. Die Visite in Übersee steht ganz im Zeichen eines kirchlichen Schuldbekenntnisses. Sie endet nach sechs Tagen in Iqaluit. Der „Ort mit viel Fisch“, wie der Name übersetzt heißt, liegt am Nordpolarmeer. Hier will der Papst Angehörige der Inuit treffen, ehemalige Schüler der berüchtigten „Residential Schools“.
Der Grund für das „Mea Culpa“ hatte für Aufsehen über Kanada hinaus gesorgt. Es geht um die Zwangsassimilierung indigener Kinder in mehr als 130 Internaten. Die ersten wurden Mitte des 19. Jahrhunderts eingerichtet. Viele der „Residential Schools“ standen unter Leitung der katholischen Kirche. Die kanadische Regierung entriss die Kinder ihren Eltern und steckte sie in die Erziehungsanstalten, wo die Mädchen und Jungen an Gesellschaft und Kultur der europäischen Einwanderer angepasst werden sollten.
„Vergebung für das Böse“
Mit einer ausführlichen Vergebungsbitte hat Papst Franziskus seine „Bußwallfahrt“ nach Kanada begonnen. „Ich bitte demütig um Vergebung für das Böse, das von so vielen Christen an den indigenen Bevölkerungen begangen wurde“, sagte das katholische Kirchenoberhaupt vor Überlebenden früherer Residential Schools auf dem Gelände einer früheren Internatsschule in Maskwacis/Alberta.
In seiner Ansprache vor rund 2000 Menschen, unter ihnen Generalgouverneurin Mary Simon und Premierminister Justin Trudeau , erinnerte der Papst an das Unrecht der staatlich errichteten und von Kirchen betriebenen Internate.
Franziskus erinnerte an das, was ihm Überlebende bereits berichtet hatten: Wie „eure Sprachen und Kulturen verunglimpft und unterdrückt wurden; wie Kinder körperlich und verbal, psychologisch und spirituell misshandelt wurden; wie sie von klein auf von zu Hause weggeholt wurden“. Daher, so der Papst, „kniet die Kirche vor Gott nieder und bittet um Vergebung für die Sünden ihrer Kinder“. Viele Christen, so der Papst weiter, hätten die Kolonisierung mit ihrer Unterdrückung unterstützt. Daher bitte er um Vergebung „insbesondere für die Art und Weise, in der viele Mitglieder der Kirche und der Ordensgemeinschaften“, durch Gleichgültigkeit an „kultureller Zerstörung und erzwungener Assimilierung“ mitgewirkt hätten.
Die Bitte um Vergebung, so der Papst weiter, könne nur ein erster Schritt sein. Weitere Aufarbeitung und ein gemeinsamer Einsatz für Gerechtigkeit, Würdigung und Beteiligung indigener Kultur und Menschen müssten folgen. Er selber wolle „weiterhin zum Einsatz aller Katholiken für die indigenen Völker ermutigen“. Zugleich bat Franziskus um Verständnis, dass er nicht alle Orte ehemaliger Residential Schools besuchen könne.
Die auf Spanisch gehaltene und mehrfach von Beifall unterbrochene Rede des Papstes wurde auf Englisch sowie im Stream in zwölf indigene Sprachen übersetzt. Während einer vorherigen Zeremonie war ein Banner mit den Namen von Opfern der Residential Schools in das Rund getragen worden. Begrüßt worden war der Papst von Chief Wilton Littlechild, der als Kind ein Schüler der örtlichen Residential School war. Zu Beginn der Zeremonie hatte Franziskus allein einen nahen Friedhof besucht, auf dem Kinder der früheren Internatsschule beerdigt wurden – etliche auch anonym. (kna)
Die Zustände dort waren verheerend. Die Kinder wurden von ihren Familien isoliert; Gespräche in ihrer Muttersprache waren unter Gewaltandrohung verboten. Mitunter mussten die Mädchen und Jungen für den Unterhalt der Schulen arbeiten. Überlebende berichten von Gewalt, Erniedrigungen und sexuellem Missbrauch. Die letzte Schule schloss erst in den späten 1990er Jahren ihre Pforten. Insgesamt lebten etwa 150000 indigene Kinder in diesen Einrichtungen.
Viele gingen an Seuchen zugrunde oder begingen Selbstmord
Bereits in den 1980er Jahren berichteten ehemalige Schülerinnen und Schüler von den Zuständen, klagten auf Entschädigung. Internationale Aufmerksamkeit erlangte das Thema aber erst, weil seit Mai vorigen Jahres auf mehreren ehemaligen Internatsgeländen die sterblichen Überreste von mehr als 1000 Kindern gefunden wurden. Bislang ist der Tod von mindestens 4100 Kindern in den „Residential Schools“ nachweisbar, Experten gehen aber von deutlich höheren Zahlen aus. Viele gingen an Tuberkulose, Masern und Grippe zugrunde. Einige kamen auf der Flucht um, andere starben durch Unfälle oder begingen Suizid.
Nun will Franziskus das Gespräch mit den Indigenen-Vertretern in Kanada suchen: mit jenen der First Nations, der Metis und Inuit. Als First Nations werden alle indigenen Völker bezeichnet, die nicht den Metis – Nachfahren aus Beziehungen von Europäern und indigenen Frauen – und den im Norden lebenden Inuit angehören.
Die Entschuldigung macht rechtlich gesehen keinen Unterschied
Der „National Indian Residential School Circle of Survivors“ half in Vorbereitung des Papstbesuches, eine Entschuldigung auszuarbeiten, die den Erwartungen der Indigenen entspricht. Kurz vor Beginn der Visite unterbreiteten sie einen schriftlichen Entwurf. Der Papst möge die „schweren Schäden“ für die Opfer anerkennen und um Vergebung bitten. Auch Entschädigungszahlungen werden gefordert. Er glaube, dass die indigenen Völker es satt haben, immer nur zu hören, dass jemandem etwas „leid tut“, so der Indigenen-Forscher der Universität Ottawa, Veldon Coburn.
Franziskus erkennt das dunkle Kapitel der Kirche in Kanada an. Rechtsexperten wie Rob Talach bewerten die Konsequenzen einer starken Geste des Papstes aber mit Skepsis. Es komme dabei wenig Konkretes für die in die Jahre gekommene letzte Generation der Opfer an katholisch geführten Internatsschulen heraus, so seine Kritik. Der in London ansässige Anwalt hat Hunderte Klagen gegen die Kirche eingereicht. Passiert sei praktisch fast nichts. Die Entschuldigung von Franziskus auf kanadischem Boden werde, so Talach, „rechtlich gesehen nicht den geringsten Unterschied machen“.
Erst in der vergangenen Woche startete die kanadische Bischofskonferenz (CCCB) ein Hilfsprogramm für Indigene. Der in diesem Jahr eingerichtete Fonds soll den Aussöhnungsprozess mit den kanadischen Ureinwohnern unterstützen. Zur Verfügung stehen über 30 Millionen Dollar für die nächsten fünf Jahre. Der Fonds wird auch durch Spendengelder aus 73 kanadischen Diözesen gefüllt. Bislang sind rund 4,6 Millionen Dollar für Versöhnungsprojekte eingegangen.
„Bloßes Mitleid ist nicht nur zu wenig, sondern auch falsch“
„Wir wissen, dass es politisch sehr zweckmäßig sein kann, zu sagen, dass es einem leid tut“, so Indigenen-Forscher Coburn. Dies könne auch als Strategie missbraucht werden, „die indigenen Völker zu entwaffnen“. Etwa durch die Aussöhnungsgesetze, die in einigen kanadischen Provinzen versuchen, außergerichtliche Einigungen möglich zu machen.
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Es geht aber nicht nur um materielle Entschädigung. Für Kimberly Murray beginnt die Auseinandersetzung mit dem Leid der Indigenen nach der Papstvisite erst richtig. Die Beauftragte der kanadischen Regierung für das Auffinden der vermissten indigenen Kinder sagt, bloßes Mitleid mit dem Schicksal der Ureinwohner sei nicht nur zu wenig, sondern auch falsch. In dieser Ecke wollten die Opfer nicht stehen, so die Angehörige der Kanesatake Mohawk Nation. Tatsächlich hätten sie das Gefühl, auf diese Art anders „zum Schweigen gebracht zu werden“. Sie wollten das Gegenteil. Deshalb, fordert Murray, müssten die letzten Überlebenden der „Residential Schools“ jetzt an der Reihe sein, ihre Stimme zu erheben. „Sie haben sich bisher nicht verstanden gefühlt.“ (kna)